Eine echte Räuberpistole hat der deutschtürkische Regisseur Cüneyt Kaya mit „Ummah – Unter Freunden“ auf die Beine gestellt. Eingangs erwacht ein Mann namens Daniel nach einem blutigen Shootout mit Neo-Nazis, angeschossen und schwer verletzt. Mit Mühe kann er den Tatort verlassen, bevor die Polizei eintrifft. Denn Daniel wurde als verdeckter Ermittler in die rechtsextreme Szene eingeschleust. Irgendwas ist am Ende aber schief gelaufen; Daniels Vorgesetzter hat dabei offensichtlich die Hände im Spiel. Jetzt muss Daniel jedenfalls schleunigst von der Bildfläche verschwinden. Der Verfassungsschutz verschafft ihm eine ziemlich heruntergekommene Wohnung im Berliner Stadtteil Neukölln. Doch damit fängt eine ganz andere Geschichte an. Als Daniel, der offenbar nicht ganz grundlos in der Neo-Nazi-Szene eingesetzt wurde, vor dieT ür tritt, taucht er ganz langsam, misstrauisch und widerstrebend in die „Ummah“ ein, die islamische Gemeinschaft seines neuen Kiezes.
Der Filmemacher, selbst türkischer Herkunft, hat davon gesprochen, dass er einen realistischen, kritischen, aber vor allem auch humorvollen Blick auf das Milieu werfen werde. Mal etwas anderes zeigen als die Klischees von der Parallelgesellschaft und der Kleinkriminalität. Die Sache mit dem Humor funktioniert dabei sehr gut: die Szene, in der Daniel in dem kleinen Elektroladen einen gebrauchten Fernseher angedreht bekommt, ist ein komödiantisches Kleinod, das nicht ohne Grund schon auf Youtube zu bestaunen ist. Mit Hilfe seiner neuen Freunde Abbas und Jamal findet sich Daniel im Kiez-Alltag zurecht und öffnet sich allmählich einer anderen Kultur.
Das Bild, das der Film vom islamischen Leben in Berlin zeichnet, ist differenziert; es mahnt zur Toleranz und Neugier und spart nicht damit, divergierende ideologische Haltungen innerhalb der Ummah auszubreiten. Manche Muslime sind so lässig und undogmatisch wie Abbas und Jamal, andere aber reagieren brüsk, wenn Daniel eine Flasche Sekt als Geschenk mit zu einer islamischen Hochzeit bringt. Dafür wird er anschließend Zeuge, wie seine neuen Freunde auf dem Heimweg von der Polizei schikaniert werden.
Hatte Daniel zuvor vielleicht schon Zweifel an seinem Job als Undercover-Agent, ist er jetzt wild entschlossen, auszusteigen und Herr in seinem eigenen Leben zu werden. Doch da steht auch schon sein Kontaktmann in der Tür und verlangt von ihm, die neuen Freunde ans Messer zu liefern. Die Beamten brauchen einen Erfolg bei der Terror-Bekämpfung, um von einer kleinen Korruptionsaffäre abzulenken. Doch Daniel, der jetzt auch von der Community geschütztwird, geht stattdessen zum Privatfernsehen.
Die Grenzen zwischen sympathischer Milieuschilderung und großspuriger, thesenhafter Räuberpistole verlaufen hier fließend. Mitunter scheint das Drehbuch etwas zu lückenlos konstruiert, damit Daniel auch Kontakte zum Privatfernsehen knüpfen kann. Viele Szenen geben Daniels Bewusstwerdungsprozess zudem etwas Didaktisches, aber das ändert nichts am grundsätzlich sympathischen Eindruck dieses Films, der es vielleicht nur mit der Freundschaft zu seinen Figuren etwas zu gut meint.
Am Schluss wird dann noch einmal mit so großer Münze ausgezahlt, dass sich Cüneyt Kaya selbst entschlossen hat, in der Postproduktion eine etwas weniger spektakuläre, dafür aber unmissverständliche Variante zu wählen. Diese Entscheidung kann man bedauern. Doch in der allerletzten Szene, die die Qualitäten der Inszenierung noch einmal in einer Art Traumsequenz bilanziert, weiß man drei herausragende und sehr einnehmende Hauptdarsteller und ein extremes Gespür für das Timing in den Dialogen auf der Habenseite des Films.