Eine lange, ruhige Kamerafahrt, deren Fokus sich auf ein einzelnes Fenster eines mehrstöckigen Gebäudes verengt, erinnert in ihrem Stil an die Paranoia-Thriller der 1970er-Jahre. Aber das New Yorker Stadtviertel wirkt seltsam unglamourös für einen Hollywood-Film, und auch die Musik ist viel spärlicher eingesetzt, als man es aus dem amerikanischen Kino gewohnt ist. Ein rein funktionaler Anfang. Von der ersten Einstellung an hat „Side Effects“ die Anmutung eines Independent-Films, der sich am klassischen Kino-Handwerk orientiert.
Die Handlung kreist um Emily (Rooney Mara), eine junge Frau, die sich als Nervenbündel entpuppt. Ihr Mann, ein Börsenmakler, kommt nach ein paar Jahren Haft wegen Insiderhandels frei, doch Emily tut sich schwer mit der neuen Situation. Ihre Vergangenheit aus Therapeutenbesuchen, Medikamentenmissbrauch und Depressionen holt sie ein. Nach einer halben Filmstunde tötet Emily im Medikamentenrausch ihren Gatten. Am nächsten Morgen kann sie sich an nichts mehr erinnern. Ihr Psychiater Jonathan Banks versucht zu beweisen, dass sie nicht wusste, was sie tat. Die Polizei sucht nun einen neuen Sündenbock und konzentriert sich auf Banks und sein angebliches ärztliches Fehlverhalten.
Das ist die Ausgangsposition von Steven Soderberghs angeblich letztem Film - nach 26 Filmen in 24 Jahren insistiert dieser variantenreichste unter Amerikas Autorenfilmern, dass „Side Effects“ sein letztes Kinowerk auf absehbare Zeit sein werde. Die angekündigte Abschiedsvorstellung erinnert auch darin ans klassische Studiokino, dass sie klar und effektiv inszeniert ist, alles Überflüssige und Ornamentale abgestreift hat. Nachdem der Film wie eine Slasher-Version von „Desperate Housewives“ begann, bietet der Mittelteil das sarkastische Porträt einer medikamentensüchtigen Mittelstandsgesellschaft, in der in erster Linie frustrierte Ehefrauen, depressive Geliebte und vom Burnout geplagte Karriereweiber mit vielen, vielen Pillen jonglieren, und Ärzte als Interessenvertreter von Pharmafirmen dazuverdienen. Im spätkapitalistischen Kontext aus Leistungsstress, Effizienzdenken und Selbstoptimierung haben Drogen, so suggeriert es der Film mit bissigem Unterton, ihre feste soziale Funktion; ihr Konsum ist längst zum Standardverhalten der Moderne geworden: „Sie verändern einen nicht. Sie machen es nur leichter, man selbst zu sein“, heißt es an bezeichnender Stelle.
Im letzten Drittel rückt der von Jude Law gespielte Psychiater in den Vordergrund. Während er sich noch zu orientieren versucht, wird er zum Spielball fremder Kräfte; allmählich entgleitet ihm sein Leben – ein kafkaeskes Netz, das er zerreißen muss, um sich auch innerlich zu befreien. So wird diese Story zum Psycho-Thriller, der nicht nur vage an Hitchcock erinnert, ein Drama um Schuld und um deren Übertragung von einer Figur auf eine andere. Und um Manipulation. Der klügste (und verräterischste) Satz des Films lautet: „Girls learn to fake things at an early age. The same time boys learn to lie.“
Man kann „Side Effects“ als Blaupause für eine Moderne verstehen, die sich aus Voyeurismus und Lüge, aus Schaulust, Wahrheitsscheu und Selbstmanipulation zusammensetzt. Wie schon in seinen amoralischen „Ocean’s“-Filmen, wie im Wunschmaschinen-Melo „Solaris“ (2002), dem neoliberalen „Der Informant!“ (2009) oder auch seinem romantischsten Film „Out of Sight“ (1998) verdampft das moraltrunkene Wahrheitspathos. Einmal mehr gelingt es Soderbergh, viele Dinge anders zu machen als seine Kollegen, und durch seinen selbstbewussten, originellen und sehr freien Umgang mit Erzähl- und Genreregeln das Publikum zu verblüffen.