Die Pneumatik schleudert Margot und Daniel von einer Seite auf die andere. Der Buggles-Song „Video Killed the Radiostar“ wir mal lauter, mal leiser, je nachdem, wo sich die Gondel gerade befindet. Später bricht die Musik abrupt ab, das Karussell kommt zum Stillstand. Ein hässliches Neonlicht erhellt die schmucklose Halle, in der man sich leicht wackelig in Richtung Ausgang bewegt. Was für eine großartige Beziehungsmetapher! Sarah Polleys Film „Take This Waltz“ erzählt mit lauter wunderschönen Szenen und leisen Beobachtungen von der Liebe und ihrer größten Gefahr, der Verknalltheit. So, wie die Videotechnik dem Radio den Saft abdrehte, so kämpft auch das Bild gegen den Ton, wenn die äußere Attraktion „des Neuen“ gegen die niedlich exaltierten Liebesschwüre eines Ehelebens antritt.
Im historischen Louisbourg lernt die etwas absonderliche Margot, die seit fünf Jahren mit ihrem Mann Lou in Toronto lebt, den attraktiven Daniel kennen. Eigentlich wollte die Endzwanzigerin in der altertümlich rekonstruierten Festungsstadt nur auf Recherche für Werbe-Broschüren gehen. Doch dann findet sie sich auf dem Marktplatz wieder, wo ihr eine Peitsche in die Hand gedrückt wird, mit der sie einen „angeklagten“ Ehebrecher wie im 18. Jahrhundert bestrafen soll – angefeuert durch den jungen Mann, der später neben ihr im Flugzeug und im Taxi nach Hause sitzt. „Ich bin verheiratet“, platzt es am Ende der still-intimen Taxifahrt aus ihr heraus, die Margot und den Fremden an denselben Ort führt. Daniel ist kürzlich in Margots Straße gezogen; ihre Hoffnung, „aus dem Auge, aus dem Sinn“, geht nicht auf. Und so wird der Künstler und Rikscha-Fahrer Daniel zur verbotenen Frucht, die Margot früher aufstehen lässt, sie ins kühle Schwimmbad und bald auch in sein Einzimmer-Appartement treibt.
Ruhig und mit einem wunderbaren Gefühl für kleinste Erschütterungen entwickeln Sarah Polley und ihre Darstellerin Michelle Williams die Zerrissenheit einer jungen Frau zwischen der Sensation einer neuen Liebe und dem Trost, den ihr die alte immer noch geben kann. Denn Margot ist unsicher, sie hat Angst vor Phasen des Übergangs und der Verlorenheit. In Gelächter und Glück kann sie sich nur in Momenten des Augenblicks lösen, in den Neckereien mit Lou oder den verfänglichen Begegnungen mit Daniel. Neue Dinge glänzen, aber sie nutzen sich auch ab – so wie einst die alten Dinge. Das ist der Tenor in der Frauendusche nach der Wassergymnastik. Ein anderer Tenor ist der tägliche Schwall kaltes Wasser, den Lou seiner Frau bei jedem Duschen über den Kopf schüttet. Ein „Langzeit-Witz“, mit dem er Margot mit 80 zum Lachen bringen wollte – und der ihr jetzt die Tränen in die Augen treibt.
Die 34-jährige Sarah Polley arbeitete zuvor als Schauspielerin für Atom Egoyan, Wim Wenders und Isabel Coixet. Das sind berühmte Vorbilder der wortlosen Bildgewalt, die sich in Polleys Debütfilm „An ihrer Seite“
(fd 38 472) über ein Senioren-Pärchen mit Alzheimer finden ließ. Auch ihr zweiter Film dreht sich berührend und eindrücklich reduziert um die Vergänglichkeit von Liebe, um die kleinen Eigenheiten des langjährigen Partners, die einen abzustoßen beginnen, während die Kleinigkeiten des Fremden Begehren entfachen. Polley braucht nicht viel Handlung, um die innere Entwicklung Margots, deren Erinnerungen man hier folgt, treffsicher nachzuzeichnen. Die Kunst der Inszenierung besteht darin, den Kampf gegen die Versuchung ins Bild zu übersetzen, nicht eine Trennung auf Raten zu inszenieren. Daraus resultiert ein scheinbar bewegungsloser Film, der mit seinen sommerlich warmen, traurig schönen Bildern so melancholisch aussieht, wie sich ein Song von Feist oder Leonard Cohen anhören. Vor allem aber ist und stimmt er sein Publikum so melancholisch wie seine Hauptfigur. Diese Stimmung lässt einen nicht nur den „Schicksalsschlag“ der direkten Nachbarschaft Daniels verzeihen. Sie ist das Herzstück von „Take This Waltz“, in der Margot am Ende erneut im Kreis des Karussells gewirbelt wird, während ein Song zum Synonym der Geschichte wird: „Video killed the radio star – we can’t rewind we’ve gone too far – pictures came and broke your heart – put the blame on VTR.“