Die Wangenknochen zeichnen sich in James Bonds abgezehrtem Gesicht so scharf ab, dass man Steaks damit schneiden könnte; seine Hand mit der Pistole zittert: So sieht man aus, wenn man mit dem Tod etwas zu heftig geflirtet hat. Gleich in der furiosen Exposition wird Bond in eine Verfolgungsjagd durch Istanbul verwickelt, ein Crescendo der Tollkühnheiten, das fatal endet: Beim Versuch, Bonds Kontrahenten zu eliminieren, schießt seine Partnerin daneben und erwischt Bond. Zwar überlebt er die Verletzung, seine alte Form aber ist dahin. Beim Eignungstest, dem er nach seiner „Auferstehung“ in der MI6-Zentrale unterzogen wird, schneidet er schlecht ab. Im 50. Jahr des Filmfranchise mag die Marke „Bond“ tatsächlich mit ihrer Unsterblichkeit kokettieren können; die von Daniel Craig verkörperte Figur muss sich dagegen mit Verschleißerscheinungen herumschlagen, die eine „Waffe auf Beinen“ (so M über Bond in „Casino Royale“, fd 37 910) im blutigen Agentenalltag davon trägt. Craig/Bond mag ein harter Hund sein, aber die unsichtbare Teflon-Imprägnierung seiner Vorgänger fehlt ihm, psychisch und physisch. Genau das macht seine Figur interessant: Mehr als alle anderen Bond-Interpreten (mit Ausnahme vielleicht von Timothy Dalton) lässt Craig Risse in der Fassade cooler Professionalität aufscheinen und kommt damit an Ian Flemings literarische Vorlage am nächsten heran. Mit Sam Mendes („American Beauty“, fd 34 066) haben die Produzenten einen Regisseur verpflichtet, bei dem abzusehen war, dass ihm genau diese Aspekte der Figur besonders liegen dürften, und tatsächlich bietet „Skyfall“ viel Raum fürs Glimmen unterdrückter Emotionen: Die Weltpolitik gibt nur den Hintergrund ab für eine Familientragödie um den MI6, der unter Beschuss innerer Konflikte wie auch äußerer Attacken gerät. Damit geht es nicht zuletzt auch um M, die eiserne Matriarchin dieser Geheimdienst-Familie.
Mendes spielt sichtlich vergnügt mit dem Bond-Baukasten: Er verwöhnt mit spektakulären Schauplätzen, herrlich exaltierten Kampfsequenzen (wie einer Schlägerei Bond-Schurke-Riesengecko) und holt sogar den guten, alten Aston Martin aus der Garage; der Figurenreigen verbindet bis zur generalüberholten Mrs. Moneypenny die Huldigung an die Tradition mit gewitzten Neuinterpretationen – besonders gelungen im Fall von Q: Ben Wishaw spielt ihn als vorwitzig-selbstbewussten Nerd, der für die Schlagkraft der Doppelnull-Agenten nur ein spöttisches Lächeln übrig hat und „morgens vorm Frühstück im Pyjama am Computer mehr Unheil“ anrichten kann. Zwischen der Action findet der Film immer wieder Raum für pointierte verbale Schlagabtausche – sei es, wenn der sanft-bösartige Schurke Silva Bond eindeutig-zweideutig auf den Leib rückt, wenn Bond und der freche Q sich erstmals verbal beschnuppern, sei es bei Ms Konfrontationen mit dem Vorsitzenden des Sicherheitsausschusses oder einer Ministerin, vor der sie sich in einer Anhörung rechtfertigen muss.
Dabei gerät der Film nie zum stylischen Nonsense, wie es die „Bonds“ der Brosnan-Ära waren; vielmehr stößt Mendes gleich von der ersten Actionsequenz an in die wunden Punkte, an denen sich der Film abarbeitet: die Spannung zwischen dem unerbittlichen Pragmatismus, den die Geheimdienstarbeit erfordert, und den menschlichen Empfindungen, die diesem Kalkül zuwider laufen. Auch die Spannung zwischen Altem und Neuem, der Entgrenzung einer virtualisierten Welt und den Köpfen und Körpern, die immer noch den Grenzen verpflichtet sind, mit ihren patriotischen Bindungen, ihren Vergangenheiten, die sie nicht hinter sich lassen können, ihren Verletzlichkeiten. Der dubiose Bösewicht Silva (von Javier Bardem zwischen Tuntigkeit à la „Diamantenfieber“ und „No Country for Old Man“-Grausamkeit angelegt) scheint ganz der neuen Zeit der digitalen Entgrenztheit anzugehören: Als Meisterhacker und Cyber-Terrorist lässt er Bond, M und den MI6 so alt aussehen, dass die politisch Verantwortlichen der Geheimdienstchefin den Ruhestand nahe legen. Silva hat eine Liste mit den Identitäten aller Undercover-Agenten an sich gebracht und droht, diese preis und damit zum Abschuss frei zu geben. Sein eigentliches Ziel ist allerdings M. Dafür muss er freilich über Bonds Leiche gehen, was angesichts dessen Neigung zum Auferstehen sehr schwer ist.
007 ist schließlich klug genug, seinen Kampf mit Silva zurück auf eine archaische Ebene zu verlegen, in die wilde Naturkulisse der Schottischen Highlands, wo viel Platz für ein Kräftemessen ist, das sich wie das Finale einer Shakespeare-Tragödie anfühlt. Nicht zuletzt ist „Skyfall“ auch ein Sam-Mendes-Film, ein hemmungsloses Macho-Melodram, in dem die von der Coolness der Übermutter M beschädigten Männerseelen bei ihren brachialen Rangkämpfen ihren Alphamännchen-Status verteidigen. Bonds trotzige Klimmzüge haben da eine gewisse Ähnlichkeit mit Lester Burnhams Krafttraining in „American Beauty“. Was dem Spaß am 23. Bond-Abenteuer keinerlei Abbruch tut.