Toke Constantin Hebbelns Kinodebüt ist der nachgeborene kleine Bruder von „Das Leben der Anderen“
(fd 37 524): ein DDR-Drama über Menschen in der Zwangsjacke eines Systems, das ihnen keine Entscheidungsgewalt über ihr Leben zugesteht. Historische Aufnahmen und die unvermeidlich beige-braunen Sepia-Töne der Interieurs geben die Richtung vor. Selbst das Licht ist schmutzig. Der Regen macht kaum Pause. Kein gutes Omen in einer Geschichte, die mit ausgelassenen Freundschaftsbeschwörungen anfängt. Zwei junge Männer träumen 1982 in Rostock von einer Zukunft auf der See. Doch der Aufstieg will nicht gelingen. Nach drei Jahren schuften sie immer noch als Hafenarbeiter. Sie treffen auf einen Dritten, der offen von Republikflucht spricht. Alexander Fehling, August Diehl und Ronald Zehrfeld überschlagen sich in einer körperlichen Präsenz, die in dieser geballten Überdosis im deutschen Kino selten vorkommt. Ob ausgelassenes Feiern in maritimen Hafenspelunken oder tiefste Verzweiflung im Gefängnis: Auf das großartige Trio ist stets Verlass. Allerdings bietet das vornehmlich auf Emotion gebürstete Drehbuch ihnen auch genug Potenzial für schauspielerische Höchstleistungen.
Die simple berufliche Entscheidung für die Handelsmarine konfrontiert die Freunde mit Gewissensfragen von der Dimension eines griechischen Dramas. Die Staatssicherheit funkt mal wieder dazwischen, vergiftet die Chemie und schürt Misstrauen. Sie fordert die Seele und bietet einen Teufelspakt. Wer sich verkauft und andere verrät, kann mit Sonderkonditionen rechnen. Nicht jeder hält dem Druck Stand. Ohne Aussicht auf einen Ausweg, entscheidet sich das Duo, den fluchtwilligen Freund zu denunzieren. Bei einem von ihnen siegen im letzten Moment doch noch die Skrupel. Er zerstört das belastende Material. Das lässt August Diehl (als Andreas) nicht auf sich sitzen und fährt seine bewährten dämonischen Geschütze auf. Die Rolle des Opportunisten ohne moralischen Kompass nimmt man ihm sofort ab. Im Alleingang sorgt er dafür, dass das Opfer seiner Enthüllungen im Gefängnis landet. Die befreiende Weite des Meeres rückt für ihn trotzdem in weite Ferne. Nach einem Streit mit Alexander Fehling (als Cornelis), der nach den desillusionierenden Erfahrungen zunehmend einer Mischung aus James Dean und dem jungen Marlon Brando ähnelt, landet der Kollaborateur im Rollstuhl. Damit geraten die Freunde endgültig in das monströse Netz der Stasi. Während der Krüppel zum Spitzel im Offiziersrang aufsteigt, leistet der zum Anstand Bekehrte gegenüber dem zuständigen Oberst (eindringlich gespielt von Rolf Hoppe) Widerstand. Damit verspielt er in der DDR seine Existenz. Bei dem mit einer furios nervösen Kamera gefilmten Versuch, mit seiner vietnamesischen Freundin über die tschechische Grenze nach Hamburg zu flüchten, fliegt er auf und erfährt die Willkür des Regimes mit voller Wucht als politischer Gefangener.
Das Spiel der Macht geht hinter den Gefängnismauern weiter. Schikanen, Psychoterror, abgelehnte Ausreiseanträge und ein Wiedersehen mit dem dritten verhinderten Republikflüchtling dominieren von nun an die klaustrophobisch verdichtete Handlung. Man sieht diesen von einem zynischen Apparat in die Enge getriebenen Beaus gerne zu, merkt freilich allmählich doch, dass die überladene, mit der Streicher-Musik allzu deutlich illustrierte Handlung für drei Filme reichen würde. Was Christian Petzolds „Barbara“
(fd 40 925) an Eindeutigkeit abgehen mag, ist in diesem zunehmend ermüdenden Freiheitsepos im Übermaß vorhanden. Dennoch: Nach dieser insgesamt soliden Aufarbeitung der DDR dürfte sich dem Studenten-„Oscar“-Gewinner Hebbeln noch so manche Tür öffnen.