Mickey 17
Drama | USA 2024 | 137 Minuten
Regie: Bong Joon-ho
Filmdaten
- Originaltitel
- MICKEY 17
- Produktionsland
- USA
- Produktionsjahr
- 2024
- Produktionsfirma
- Kate Street Pic./Offscreen/Plan B Ent./Warner Bros.
- Regie
- Bong Joon-ho
- Buch
- Bong Joon-ho
- Kamera
- Darius Khondji
- Musik
- Jung Jae-il
- Schnitt
- Jinmo Yang
- Darsteller
- Robert Pattinson (Mickey Barnes) · Naomi Ackie (Nasha) · Mark Ruffalo (Kenneth Marshall) · Toni Collette (Ylfa Marshall) · Steven Yeun (Timo)
- Länge
- 137 Minuten
- Kinostart
- 06.03.2025
- Fsk
- ab 12; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 14.
- Genre
- Drama | Literaturverfilmung | Science-Fiction
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Bong Joon-hos dystopisch-satirische Science-Fiction-Verfilmung um die Abenteuer eines "Entbehrlichen" auf der Weltraummission eines totalitären Polit-Gurus.
Über Unsterblichkeit werden keine Geschichten mit glücklichem Ende erzählt. Vampire verleben die Ewigkeit im Schatten, Tithonos zerfällt zur Stimme und Sisyphos müht sich jeden Tag aufs Neue mit seinem Felsen ab. Aber so jämmerlich wie das Schicksal von „Mickey 17“ ist ewiges Leben selten. Sisyphos‘ Arbeit wurde zumindest nicht ausgenutzt. Der linkische Mickey Barnes (Robert Pattinson) hingegen dient auf dem Kolonialraumschiff Drakkar als so genannter „Expandable“ (zuständig für besonders gefährliche Aufträge) sogar noch schlechten und grausamen Menschen. Ein biologischer 3D-Drucker, der aus organischen Abfällen und den entsprechenden genetischen Informationen Replikate von Menschen herstellen kann, verlängert in ferner Zukunft die Ausbeutung des Menschen weit über den Tod hinaus. Wenn ein Expendable bei einer Mission oder bei Experimenten stirbt, kann man ihn jederzeit neu ausdrucken und ihm die Bewusstseins- und Erinnerungsdaten der Vorgängermodelle implementieren.
Wo Unsterblichkeit bedeutet, unbegrenzt ausbeutbar zu sein
An Mickey, der mittlerweile als Variante 17 seiner selbst existiert, haben die Menschen immer wieder dieselbe Frage: „Wie ist es zu sterben?“ Immerhin ist er schon sechzehnmal verbrannt, verblutet oder erstickt, nur um danach aus seinen gespeicherten Erinnerungen rekonstruiert zu werden. Er antwortet nie. Wahrscheinlich würde er auch nicht die richtigen Worte finden. Mickey ist kein Poet, sondern eher schlicht – ein gescheiterter Macaron-Verkäufer, der vor seinen mafiösen Gläubigern zu den Sternen geflohen ist. Bong Joon-hos Adaption des Sci-Fi-Romans „Mickey7 – Der letzte Klon“ von Edward Ashton hat wenig Vertrauen in die Menschheit. Der Film zeigt ein Universum, in dem der homo sapiens vom technologischen Fortschritt nicht nur überholt, sondern gleich mehrfach überrundet und dann zur Karikatur verzerrt wurde. Aus der Schwellenerfahrung des Todes erwächst keine Weisheit und kein neuer Blick auf die Dinge – im unentdeckten Land findet er doch wieder nur sich selbst.
Aus Mickey wird ein Multiple
Dem siebzehnten Tod, der ihn nach allem Regeln der Wahrscheinlichkeit eigentlich bei einer gescheiterten Erkundungsmission auf einem fremden Planeten hätte ereilen müssen, entkommt Mickey. Denn die Alien-Rasse auf dem neu erschlossenen Eisplaneten Niflheim – von den menschlichen Kolonisatoren wenig schmeichelhaft „Creeper“ genannt – verschont ihn aus unerfindlichen Gründen und rettet ihm das Leben. Doch als er auf sein Raumschiff zurückkehrt, muss er feststellen, dass er bereits für tot erklärt und neu ausgedruckt wurde. Mickey 18 übernimmt nicht nur seinen Job, sondern führt auch seine leidenschaftliche Beziehung zu der Sicherheitsbeauftragten Nasha Barridge (Naomi Ackie) für ihn fort. Mickey wird von sich selbst ersetzt, was nicht nur befremdlich, sondern sogar illegal ist. Sogenannte „Multiples“ werden erbarmungslos gejagt. Gleichzeitig verschärft sich der Konflikt zwischen Menschen und Creeper immer weiter.
Der Kampf zwischen zwei Versionen desselben Menschen beginnt, die politische Ordnung zu destabilisieren. Große Veränderung beginnt mit einer inneren Dissonanz. Auf der Drakkar herrscht eines jener strikten Regime, die Bongs Kino bestimmen. Machtfragen beschäftigen ihn, seit er als Teil der Demokratiebewegung so oft gegen Diktator Chung Doo-Hwan demonstrierte, dass ihn das Tränengas bis in die Träume verfolgte. Mark Ruffalo spielt knapp 40 Jahre später einen Trump-artigen Politguru und Sektenführer mit dem Namen Kenneth Marshall, der das Raumschiff gemeinsam mit seiner Ehefrau Ylfa (Toni Collette) beherrscht. Sie bringen einen besonders schrillen satirischen Tonfall in den Film.
Vielfach reanimiert
Bong Joon-ho strebt natürlich immer nach einer hybriden Tonalität. Die Bandbreite der menschlichen Empfindungen abzubilden, ist ihm wichtiger als Kohärenz. Auch „Mickey 17“ setzt sich wieder aus vielen verschiedenen Filmen zusammen. Bong ist längst sein eigenes Bezugssystem geworden und reproduziert Figuren und Situationen aus „Snowpiercer“, „Okja“ oder „The Host“. Nicht nur Mickey, sondern auch alle anderen Charaktere wirken, als wären sie seinem persönlichen Menschendrucker entstiegen. Gerade Toni Collette spielt einen Archetyp, den Tilda Swinton in seinen Filmen schon mehrfach verkörpert hat. Vor allem aber sieht man „Starship Troopers“ ohne seine totalitäre Konsequenz, „Nausicaä aus dem Tal der Winde“ ohne Miyazakis Sinn für das Apokalyptische und Robert Pattinson in seiner Version von Jerry Lewis‘ „Der verrückte Professor“.
Der politische Widerstand entfaltet sich in „Mickey 17“ aus einem vielfach reanimierten Körper. Und er manifestiert sich einmal mehr als „Body Politics“: Den Machstrukturen entkommt man bei Bong Joon-ho meist durch Bewegung. Seit seinem Debütfilm „Hunde, die bellen, beißen nicht“ neigt er zum Slapstick, seine Helden sind ungelenk, stürzen Treppen und Hügel hinunter und werden uns ähnlicher mit jedem Sprungkick ins Leere. Slapstick befreit die Körper von der Schwermut von Zeit und Herrschaft. Auch in Vulgarität, im Fluchen, Spucken und Ausrasten, verortet Bong die humane Essenz. Im Niederen, Gemeinen und Verworfenen. Am Rande des Universums ist der Mensch seiner Lust und seiner Gier schließlich nicht weniger ausgeliefert.
Keine aufregenden Schocks
Der Film scheitert dabei an der eigenen Immanenz, er schafft nicht mehr plötzliche Übergänge oder Metamorphosen des Tons, sondern überschaubare Plateaus. Wenn die trauernden Familienmitglieder in „The Host“ einander im Moment größter Verzweiflung zu Boden reißen oder das Kind der wohlhabenden Parks in „Parasite“ an einem dramatischen Wendepunkt steif umkippt wie eine Comicfigur, dann entstehen ästhetische, politische und dramatische Widersprüche. Hier jedoch fehlt es an Reibungshitze. In „Mickey 17“ ist alles gleichermaßen ernst und grotesk, zu eifrig verwischte Farben bilden ein ödes Grau. Alles wird untotes Spektakel, nie gänzlich langweilig, aber auch nicht von jenen aufregenden Schocks durchzogen, die man bei diesem Filmemacher eigentlich sucht.
Allen Monstern und Plot-Volten zum Trotz streckt sich Bong schließlich immer auch in Richtung Gegenwartsbeschreibung, nach Leinwand-Chaos, das wir als unsere eigene Verunsicherung erkennen. In den letzten Jahren wurde oftmals behauptet, die Welt wäre nicht mehr zu parodieren; man wird das wohl auch in anderen Epochen gedacht haben. Und wahrscheinlich wäre es eine harsche Anforderung an die Satiriker der Gegenwart, die Parodie der Parodie zu erfinden, die Reflexion eines Spiegelkabinetts. Aber die Fragen, Bilder, Ideen, Antworten und Zweifel von „Mickey 17“ wirken so einfach und langweilig. Es ist nicht die kataklystische Erneuerung von „Snowpiercer“, die grimmige Beschwörung der Monster in unseren Reihen von „Memories of Murder“ oder die mühsam aus Unterwerfung geborene Hoffnung von „Parasite“.
Verschmitzter Reformer
Für einen Film über Unsterblichkeit ist das Ende sogar merkwürdige hoffnungsvoll. Der Radikale, den viele in Bong nach „Parasite“ sehen wollten, entpuppt sich als verschmitzter Reformer. Wenn ein Mensch sechzehnmal vergiftet, zerfetzt und verbrannt werden kann, und dann doch unbekümmert in Richtung Zukunft marschiert, dann ist die Welt ein Videospiel geworden. Würden alle Menschen unsterblich, Romanzen oder Actionfilme wären vermutlich sanfter, zärtlicher und weniger mitreißend. Bis dahin sollte man Geschichten über Unsterblichkeit mit allzu glücklichem Ende aus Prinzip misstrauen. Und wahrscheinlich auch danach noch.