Drama | Ungarn/Deutschland 2012 | 97 Minuten

Regie: István Szabó

Eine Schriftstellerin zieht im Ungarn der 1960er-Jahre mit ihrem kranken Mann aufs Land und stellt eine ältere Haushälterin ein. Zwischen Herrin und Bediensteter entspinnt sich ein spannungsvoller, von Zuneigung, aber auch von Misstrauen geprägter psychologischer Zweikampf, wobei die Autorin die sorgfältig gehüteten Geheimnisse in der bewegten Lebensgeschichte der alten Frau lüften will. Eine sich in ruhigem Erzählfluss entfaltende Romanverfilmung als atmosphärisch dichte Reise in menschliche Abgründe. Dank der beiden vorzüglichen Darstellerinnen und sorgfältig aufgebauter Szenen, die ihnen den nötigen Spielraum geben, regt der Film zum Mitfühlen und Nachdenken an. - Ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
AZ AJTÓ | THE DOOR
Produktionsland
Ungarn/Deutschland
Produktionsjahr
2012
Produktionsfirma
Filmart Stúdió/Intuit Pic./Bankside Films/ARD Degeto
Regie
István Szabó
Buch
István Szabó · Andrea Vészits
Kamera
Elemér Ragályi
Schnitt
Réka Lemhényi
Darsteller
Helen Mirren (Emerenc) · Martina Gedeck (Magda) · Károly Eperjes (Tibor) · Gábor Koncz (Leutnant) · Enikö Börcsök (Sutu)
Länge
97 Minuten
Kinostart
05.04.2012
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Drama
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Diskussion
Im Idealfall wird Neugier sofort bestraft. So etwa, wenn eine Hausherrin in die Privatsphäre ihrer Bediensteten eindringt und sich dabei eine unstandesgemäß heftige Abfuhr einholt. In der Verfilmung des Romans „Die Tür“ von Magda Szabó (1917-2007) übernimmt Martina Gedeck den Part der nachforschenden Unruhestifterin. Sie spielt die ungarische Schriftstellerin Magda, die nach Jahren der künstlerischen Unterdrückung durch die Zensur des stalinistischen Regimes Anfang der 1960er-Jahre mit ihrem kranken Mann in ein Landhaus zieht. Um sich in Ruhe ihrem Schreiben widmen zu können, stellt sie eine Aushilfe ein. Diese spielt Helen Mirren, und fast könnte man meinen, es mit einer glatten Fehlbesetzung zu tun zu haben, würde die grandiose Darstellerin von Königinnen und intelligenten Klassefrauen mit Macht und Einfluss nicht auch in der kümmerlichen Erscheinung einer verhärmten Haushälterin auf Anhieb glänzen. Ihre undurchsichtig launische Emerenc, die in einem verbarrikadierten Haus nebenan lebt, liefert den idealen Nährboden für einen von Zuneigung und Misstrauen gleichermaßen getragenen Zweikampf. Schon der Einstellungsvorgang bringt die Machtverhältnisse durcheinander. Die zugezogene Magda, unverkennbar autobiografisch angelehnt an die Autorin, muss sich bei Emerenc bewerben und ihre Integrität beweisen. Schließlich wasche diese „nicht von allen Leuten die Wäsche“. Wenn sie es aber tut, dann mit höchster Diskretion, was ihr einen exquisiten Ruf eingebracht habe. Der Genuss, zwei Schauspielerinnen auf der Höhe ihrer Kunst zuzuschauen, lässt über die mitunter allzu routiniert zwischen Rückblenden, nebligen Landschaften und temperierter Klaviermusik plätschernde Inszenierung des in die Jahre gekommenen Großmeisters István Szabó hinwegsehen. Er findet für das, was ein Romancier mit Worten sagen kann, in Sepia-Tönen schwelgende Bilder, die zwar nicht stören, aber auch nicht das cineastische Herz höher schlagen lassen. Als Zaungast des mit allerlei Geschichtsverweisen durchsetzten Geschehens folgt man trotzdem aufmerksam dem langsamen Erzählfluss, eingetaucht in eine Atmosphäre der Erschöpfung, hinter der sich allzu menschliche Abgründe auftun. Nach und nach bringt das psychologische Kammerspiel Details ans Licht, die Emerencs sprunghaftes Benehmen erklären. Zwei ihrer Schwestern sind bei einem Unwetter verbrannt, die Mutter beging Selbstmord, und im Krieg riskierte sie ihr eigenes Leben, um ein jüdisches Pflegekind zu retten, das sich später in ihren Augen als undankbar erwiesen hat. In dem herrischen Befehlston und den kantigen Bewegungen spiegeln sich die vielen Verlusterfahrungen wider. Sie ziehen reichlich Verbitterung über die Vergangenheit nach sich, aber auch über die Privilegiertheit der subtiler leidenden „Herrin“, die Emerenc überversorgt, aber auch immer wieder mit verächtlichen Blicken traktiert. Tägliche Konfrontationen breitet das Drehbuch wie ein gut geöltes Uhrwerk aus. Die Arbeitgeber müssen nicht nur ihren Alltag nach den Wünschen des Hausdrachen einrichten. Ihren Gehorsam bekommen sie mit geschmacklosen Porzellangeschenken entlohnt, die, aufgestellt in Wandschränken, den Charakter ihrer Wohneinrichtung grotesk verändern. Begleitet wird der ästhetische Terror von einer demonstrativen Wohlanständigkeit, die jeden Widerspruch zum Verstummen bringt. Trotz der allmählichen Annäherung, die sich Magdas Geduld und vor allem dem detektivischen Rechercheinstinkt ihrer Profession verdankt, baut sich eine Grenze auf, die auch über Jahre keine weitere Nähe zuzulassen scheint. Je mehr die Dienerin die Schwelle ihres Hauses zum Tabu erklärt, desto stärker wächst in Magda der Drang, das Geheimnis des mit so viel Vehemenz verborgenen Treibens zu lüften, zumal ihre Nachforschungen bei Behörden und Nachbarn ein Verbrechen vermuten lassen. Als sich die gebrechlich gewordene Emerenc weigert, ihr Zuhause zu verlassen, muss ihre einzige Vertraute, inzwischen eine hofierte Erfolgsautorin, eine Entscheidung treffen, die den schwer erkämpften Nichtangriffspakt auf die Probe stellt. Szabó gelingt es, den Psychothriller-Aspekt dieser in ein Wechselbad der Gefühle mündenden Begegnung in aller Ambivalenz auszuspielen. Es ist aber nicht die kontrastreiche Konstellation, im ersten Teil stark an Joseph Loseys „Der Diener“ (fd 13 042) erinnernd, die „Hinter der Tür“ zu einem Erlebnis macht, sondern die detaillierte Ausformung der Szenen. Sie greifen im Finale ineinander wie ein perfekt gewebter Teppich und laden zum produktiven Grübeln ein, das aus einem Mehr an Wissen entsteht. Nicht zuletzt bieten sie den beiden brillanten Darstellerinnen den Raum zur Entfaltung, der ihrem Können gebührt – so eindrucksvoll körperlich und zugleich transparent in der Bereitschaft zur Einfühlsamkeit, wie man es sich im Kino wünscht.
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