Das Konzept einer Virus-Epidemie, die sich innerhalb kürzester Zeit rund um den Globus verbreitet, mag zu der Annahme verleiten, dass eine Hollywood-Version dieses wissenschaftlichen Albtraums nur von Zerstörungs- und Endzeiteffekten à la Michael Bay beherrscht sein könnte. Dem ist jedoch nicht so, wenn der Regisseur Steven Soderbergh heißt. Auch dessen Story eines aus Asien eingeschlepp-ten Killer-Virus hat alles, was zu einem hysterischen Katastrophen-film Anlass geben könnte; doch was sich in „Contagion“ auf der Leinwand abspielt, ist über weite Strecken eher eine distanzierte Bestandsaufnahme der Folgen einer epidemiologischen Stunde Null. Wie schon in „Traffic“
(fd 34 766) bewahrt Soderbergh auch hier die Ereignisse davor, in nervenaufreibende und tränenreiche Dramatik abzutreiben, indem er die Handlung auf mehreren ineinander verzahnten Erzählebenen ablaufen lässt.
Noch bevor der Zuschauer das erste Bild des Films zu sehen bekommt, hört er ein Husten. Mit diesem Husten wird Gwyneth Paltrow als eine aus Hongkong nach Minneapolis heimkehrende Geschäftsreisende eingeführt, die zu ihrem Mann und ihrer Familie fliegt. Doch kaum ist sie zu Hause, stirbt sie einen unschönen, rätselhaften Tod mit epileptischen Zuckungen und Schaum vor dem Mund. Die private Story des von Matt Damon gespielten Ehemanns bildet die erste Ebene des Films. Sie sorgt dafür, dass das Publikum einen emotionalen Anker erhält, an dem es sich während der schnell überbordenden Infektionsgeschichte festhalten kann. Auf der zweiten Ebene demonstriert Soderbergh, wie sich die Epidemie in Windeseile über alle Kontinente verbreitet. Einen japanischen Busreisenden ereilt dasselbe Schicksal wie Paltrow – und von da an springt der Film von einer Großstadt zur nächsten. Mit beiläufiger Akkuratesse demonstriert er, welche tödlichen Auswirkungen ein Händedruck, ein Kuss oder auch nur eine gemeinsam geleerte Schale mit Erdnüssen haben kann. Auf einer dritten Ebene geht es um die Bemühungen der alarmierten Wissenschaftler, das Virus zu identifizieren, ein Gegenmittel zu entwickeln und die Epidemie einzudämmen. Dabei stehen Lawrence Fishburne als Direktor des Center for Disease Control and Prevention, eine nach Minneapolis entsandte Ärztin (Kate Winslet) und eine nach China entsandte Epidemiologin der Weltgesundheitsorganisation (Marion Cotillard) im Mittelpunkt. Für ein wenig Unruhe sorgt zwischendrin ein allgegenwärtiger Konspirationstheoretiker, dessen Internet-Blog binnen Tagen an Popularität gewinnt.
Steven Soderbergh nennt sein Virus „MEV-1“ und dichtet ihm eine Infektionsrate von 25 Prozent an, relativ bescheiden, wenn man an das Nipah-Virus denkt, das unter Menschen eine wesentlich höhere Mortalitätsrate besitzt. In Anlehnung an dieses Nipah-Virus hat Soderbergh sein „MEV-1“ offenbar gestaltet. Das wird spätestens zum Schluss des Films deutlich, wenn er die Infektionskette auf südasiatische Fledermäuse zurückführt, deren Absonderungen Schweine und deren Züchter sowie die Verbraucher anstecken. Virologen und Epidemiologen haben dem Film inzwischen bescheinigt, dass er in den Details der gezeigten Ereignisse weitgehend glaubhaft ist. Es ist nicht nur diese wissenschaftliche Genauigkeit, die „Contagion“ von anderen Katastrophenfilmen unterscheidet, sondern auch die unterkühlte, fast ganz auf superdramatische Zuspitzungen verzichtende Machart. Wäre nicht die durch den ganzen Film hingezogene, aber ebenfalls sehr nüchtern behandelte Ehe- und Familiengeschichte der von Matt Damon gespielten Figur, so könnte man beinahe von einer mit großem Star-Ensemble besetzten Quasi-Dokumentation sprechen: ein Kompromiss zwischen Independent-Philosophie und großem Hollywood-Kino.
Mit seinem distanzierten Stil und dem Insistieren, der wissenschaftlichen Glaubwürdigkeit mehr Gewicht als den breitenwirksamen Effekten einzuräumen, hat Soderbergh möglicherweise – wieder einmal – sehenden Auges auf die Chance verzichtet, einen Kassenhit zu produzieren. Das Publikum verlässt diesen Film weniger aufgeregt als dazu angehalten, sich öfter gründlich die Hände zu waschen.