Dokumentarfilm | Deutschland/Palästina 2011 | 84 Minuten

Regie: Stephanie Bürger

Im Jahr 2002 sprengte die junge Palästinenserin Shadi Tobassi in Haifa 15 Israelis und sich selbst in die Luft, unter ihnen auch den israelischen Friedensaktivisten Dov Chernobroda, der für die Aussöhnung der beiden verfeindeten Völker stritt. Acht Jahre später bringen zwei junge deutsche Filmemacherinnen die Witwe Chernobrodas und die Familie des Jungen zusammen. Ihr Dokumentarfilm, der sich eher als emotionaler Appell denn als fundierte Recherche versteht, reflektiert offen über seine Schwächen und spiegelt eine verbreitete westliche Sichtweise wieder, kommt aber über die schlichte Botschaft einer gut gemeinten Versöhnung nicht hinaus. - Ab 14.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland/Palästina
Produktionsjahr
2011
Produktionsfirma
Cinema Jenin Prod./Filmperspektive/WDR
Regie
Stephanie Bürger · Jule Ott · Manal Abdallah
Buch
Stephanie Bürger
Kamera
Mareike Müller
Musik
Sven Kaiser
Schnitt
Jule Ott · Stephanie Bürger
Länge
84 Minuten
Kinostart
06.06.2024
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Dokumentarfilm
Externe Links
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Diskussion
Dass sie keine Ahnung haben, sagen sie gleich zu Beginn ganz offen: Keine Ahnung von der arabischen Kultur, kaum Kenntnis vom israelisch-palästinensischen Konflikt und nur jenes Maß an Erfahrung, das Filmstudenten mit ihrem Metier eben erst haben. Marcus Vetter, Regisseur von „Das Herz von Jenin“ (fd 39 276) und Initiator des Projekts „Cinema Jenin“, hat Jule Ott und Stephanie Bürger dennoch als Regisseurinnen für das erste Filmvorhaben der „Cinema Jenin“-Initiative ausgewählt. Vielleicht gerade wegen dieser Naivität, mit der sich die jungen Frauen ihrem Thema annäheren. Sie könnte ein Vorteil sein, wenn es etwa um das Vertrauen der Protagonisten vor allem auf palästinensischer Seite geht. Vetter war Dozent der beiden Medienwissenschaft-Studentinnen aus Tübingen in einem Filmseminar. „Nach der Stille“ bricht den Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern gewissermaßen auf ein Einzelschicksal herunter, vereinfacht eine komplexe, inzwischen viele Jahrzehnte andauernde Auseinandersetzung. Diese nahe liegende Kritik an dem Dokumentarfilm wird thematisiert, ebenso der gesamte Entstehungsprozess. Zu Beginn engagieren die beiden Regisseurinnen die junge Palästinenserin Manal Abdallah als Dolmetscherin und – weit wichtiger – als eine Art Mediatorin. Sie soll ihnen Zugang zur arabischen Welt verschaffen, die arabische Kultur vermitteln. Manal Abdallah wird als Co-Regisseurin aufgeführt, ihr Einfluss ist also nicht zu unterschätzen. Die junge Frau gibt ihren Bedenken vor der Kamera klar Ausdruck: „Die Idee des Films ist schwach“, sagt sie. Es sähe so aus, als wollten alle Israelis den Frieden. Ein wenig ist der Film wie ein Gegenbeweis konstruiert: Es werden alternierend immer beide Seiten gezeigt; auf beiden Seiten kommen „Hardliner“ zu Wort. Die unterschiedliche Rhetorik und Terminologie sind dabei sehr spannend, die naive Selbstreflexivität des Films ist meist eine Stärke. Der Blick der Regisseurinnen spiegelt eine verbreitete westliche Sichtweise auf den Konflikt, die sich primär aus Nachrichtenmeldungen speist. Der Film versteht sich als emotionaler Appell, nicht als nüchterne Hintergrund-Recherche. Dennoch arbeitet die Inszenierung nicht brachial emotionalisierend; der Einsatz von Musik beispielsweise ist verhältnismäßig zurückhaltend. Tatsächlich ging die Initiative für den Film und die finale Begegnung, um die er sich ausschließlich dreht, von einer Israelin aus. Yaël Chernobroda hat ihren Mann Dov verloren. Er starb als eines von 15 Opfern bei einem Selbstmordattentat in einem Restaurant am 31. März 2002. Der Selbstmordattentäter, Shadi Tobassi, der ebenfalls umkam, stammte aus Jenin. Dov war Architekt und Friedensaktivist, setzte sich Zeit seines Lebens für einen Dialog zwischen Israelis und Palästinensern ein. Seine Witwe schrieb einen Brief an Marcus Vetter, worauf dieser ihr vorschlug, die Familie des Attentäters in Jenin zu kontaktieren. „Nach der Stille“ ist ein filmisches Manifest der Versöhnung mit einer einfachen Botschaft. Kurz wird auch die Initiative des „Parents Circle“ erwähnt, eines Zusammenschlusses von Hinterbliebenen auf beiden Seiten. Der Sprecher der palästinensischen Seite verbalisiert diese Botschaft: „Wenn Opfer miteinander sprechen können, dann können das alle anderen erst recht.“
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