Der dicke Schuljunge, der mit ein paar Freunden auf Super 8 einen Zombiestreifen dreht, hat die Funktionsmechanismen des Hollywoodkinos bereits durchschaut. Auf die Frage, warum er seinem Protagonisten über Nacht im Drehbuch eine Ehefrau angedichtet hat, erklärt Charles seinen Mitstreitern, dass diese private Facette die Anteilnahme des Publikums verstärken werde. Bei einem heimlichen Nachtdreh macht der eifrige Schmalspur-Auteur sich wiederum einen anderen Eckpfeiler des populären Kinos zu eigen, wenn er einen Güterzug, der zufällig auf nahen Bahnschienen heran donnert, mit einem hektischen Ausruf sogleich zum „production value!“ umdeklariert. Solche „production values“, also Schauwerte, die Filmemacher gemeinhin teuer bezahlen, bekommt man dann tatsächlich geboten: Der Zug entgleist, sodass einem ein Waggon nach dem anderen um die Ohren fliegt – so lange und so laut, bis man realisiert, dass J.J. Abrams, der Regisseur, Drehbuchautor und Co-Produzent von „Super 8“, dieses fulminante Spektakel zu einem Statement nutzt.
Bis dahin war seine Regie fast eine halbe Stunde lang sorgsam darauf bedacht, dem Protagonisten private Facetten zu verleihen, die mit der Kinderfigur mitfühlen lassen. Gleich zu Beginn verliert Joe, der bei dem Super-8-Zombiefilm für Production Design und Make-up zuständig ist, bei einem Unfall seine Mutter, woraufhin sich Abrams viel Zeit nimmt, das Trauma des introvertierten Jungen und seines hemdsärmeligen Vaters Jackson anzudeuten, der am provinziellen Handlungsort als Sheriff arbeitet. Mitschülerin Alice, die für die Frauenrolle im Zombiefilm rekrutiert wird, weckt in Joe derweil erste romantische Gefühle, die wunderbar rührend wirken, weil Abrams es sich verkneift, präpubertäre Ungeschicktheit zu verspotten. Vor diesem Hintergrund erscheint die dröhnende Zugkatastrophe in ihrer unverhältnismäßigen Furiosität wie ein Signal, als wollte der Filmemacher andeuten: „Ich könnte auch anders!“ Was man Abrams umstandslos abnimmt. Nachdem er den Serienhit „Lost“ erfunden hat und mit „Mission: Impossible 3“
(fd 37 614) sowie dem jüngsten „Star Trek“-Film
(fd 39 291) auch als Kinoregisseur reüssierte, hätte Abrams bei diesem Sommerblockbuster gewiss die Möglichkeit gehabt, aus dem computeranimierten Vollen schöpfen – weshalb es umso bezeichnender ist, dass er hier das Hauptaugenmerk auf subtilere Aspekte legt.
Mit der spektakulären Entgleisung beginnt der eigentliche Plot: An der Unfallstelle taucht umgehend die Armee auf; einzelne Bewohner der Kleinstadt in Ohio verschwinden; die Hunde des Ortes laufen in alle Himmelsrichtungen davon. Bald ist klar, dass etwas im Busch ist. Aber dort bleibt es vorerst auch, denn Abrams belässt es lange dabei, das zunehmende Chaos zu skizzieren, ohne seine Ursache offen zu legen. Derweil konzentriert die Inszenierung sich geradezu zärtlich auf die Darstellung kindlicher Naivität und Abenteuerlust. Es nicht schwer, in der Nebenfigur des Amateurregisseurs Charles ein Alter Ego des Filmemachers zu erkennen: Im Jahr 1979, in dem die Handlung angesiedelt ist, war Abrams 13 und somit im Alter seiner Kinderfiguren, und wie diese drehte er Filme auf Super 8. Es verwundert deshalb nicht, dass in dieser Schilderung ereignisreicher Sommerferien Nostalgie mitschwingt; doch im gleichen Maße, wie sie Autobiografisches reflektiert, gilt sie auch dem Kino jener Jahre. Man kann gar nicht anders, als in dem Chaos am Küchentisch, in der kindlichen Geheimniskrämerei, in den BMX-Fahrten jene Bilder wiederzuerkennen, mit denen Steven Spielberg einst in mehreren (von ihm teilweise bloß produzierten) Filmen dem Aufwachsen in Suburbia seinen Stempel aufdrückte. Es ist deshalb auch kein Zufall, dass Spielberg „Super 8“ co-produziert hat – zumal Spielberg mit Abrams eine alte Freundschaft verbindet; er wurde einst auf Abrams’ jugendliche Super-8-Filme aufmerksam und betraute ihn mit der Restaurierung jener Schmalfilmstreifen, die er selbst als Jugendlicher drehte. Das Bemühen, die Anmutung eines etwa 30 Jahre alten Films zu evozieren, hat sich in irritierenden Blendenflecken in nächtlichen Szenen niedergeschlagen, und vielleicht ist es auch für die antiquierte Passivität verantwortlich, die Abrams gegen Ende des Films der einzigen Mädchenrolle zuschreibt.
Im besten Sinne altmodisch ist dagegen die Zeit, die er seinen Figuren widmet. In gewisser Weise lässt sich „Super 8“ als Experiment betrachten, wie weit sich bei einer großen Hollywoodproduktion jene beiden Grundpfeiler des populären Kinos, die Charles benennt – das Publikumsinteresse an Figuren und die „production values“ –, wieder so austarieren lassen wie in den Filmen, mit dem Spielberg einst das Blockbusterkino mitbegründete. Schon damals kam den Spezialeffekten eine gewichtige Rolle zu. Je länger „Super 8“ aber dauert, desto weniger erinnert er an „E.T.“, umso mehr aber an die stumpfsinnige Abrams-Produktion „Cloverfield“
(fd 38 579). In Erinnerung bleiben erfreulicherweise andere Aspekte: die erschrockene Verliebtheit zum Beispiel, die ein Zombie-Biss auf Joes Gesicht zaubert; oder die Beklommenheit eines todtraurigen Mannes, der seinem Sohn erklärt, warum er ihn während des Sommers in ein Feriencamp abschieben möchte.