Ein nahezu blinder Junge sucht Brennholz im sibirischen Wald und findet seine Gruppe nicht wieder. Es ist bitterkalt; in der Wildnis gibt es kaum Geräusche außer dem schwachen Pfeifen des Windes. Der Junge schreit die Namen seiner Freunde, doch er erhält keine Antwort. Man sieht, wie seine Füße sich unsicher Schritt für Schritt den Weg über den schneebedeckten Waldboden bahnen, als ihn plötzlich ein zweites Paar Füße begleitet. Es ist der „Professor“, der den Jungen im Gulag, aus dem er zusammen mit anderen Männern floh, vor Ungemach bewahrte. „Ich dachte, ich wäre allein“, sagt der Junge zu seiner Vision und setzt sich hin, um kurz auszuruhen. Das Letzte, was er durch seine schlechten Augen zu sehen glaubt, ist das Panorama einer nahen Stadt: „Wir haben es geschafft, wirklich geschafft.“ Am nächsten Morgen finden seine Kameraden die erfrorene Leiche des Jungen, unweit des Lagerfeuers, das die anderen vor dem Kältetod bewahrte.
Dabei hat die Flucht, die von Sibirien bis hinunter nach Indien gehen wird, noch gar nicht recht begonnen. Janusz wird nach dem Einmarsch von Stalins Armee in Polen von seiner Ehefrau verraten, die unter Folter ein falsches Geständnis unterzeichnete, und in ein Arbeitslager gebracht. Nach Wochen der Zwangsarbeit in der Mine reift in ihm der Entschluss zur Flucht. Begleitet wird er unter anderem von einem amerikanischen Emigranten, der sich nur Mister nennen lässt, und einem russischen Mörder, der unberechenbar bleibt, weil er nur an das Gesetz des Stärkeren glaubt, als einziger aber über ein Messer verfügt, das für ein Überleben in der Wildnis unabdingbar scheint. Die Flucht südwärts Richtung Indien ist eine Odyssee, die vor allem im Kampf gegen eine archaische Natur besteht – ein wiederkehrendes Thema im Werk des Regisseur Peter Weir.
Ursprünglich sollte die Flucht schon in der Mongolei enden, doch auch hier hat sich bereits die sowjetische Herrschaft etabliert. Die Gruppe, die mittlerweile von einer jungen Frau begleitet wird, fasst den Entschluss, die Mongolei als Durchreisestation zu passieren. Die Figur der Frau erfüllt mehrere Funktionen: Sie ist die einzige, die den stoisch ums Überleben kämpfenden Männern in Gesprächen die ein oder andere biografische Information entlockt und somit als dramaturgischer „Aufhänger“ dient, um die Charaktere zu vertiefen und einen Hintergrund zu geben. Zum anderen versuchen die Männer, sich in ihrer Anwesenheit etwas zivilisierter zu benehmen, wodurch das Thema der drohenden Entmenschlichung unter unmenschlichen Zuständen, um das der Film kreist, umso deutlicher konturiert wird. Zuvor verscheuchten die vom Hungertod betreuten Männer beispielsweise ein Rudel Wölfe von einem Kadaver, nur um sich selbst auf die Überreste zu stürzen und das rohe Fleisch hinunter zu schlingen. Janusz bleibt in dieser Szene ein Beobachter, der bestürzt dem Treiben seiner Kameraden beiwohnt.
Die Natur spielt in „The Way Back“ die Rolle des Antagonisten: In den kargen Wäldern, auf den vereisten Seen und in den Wüsten, in Eis- und Sandstürmen sind die Menschen Fremdkörper. Die Landschaftsfotografie des Kameramanns Russell Boyd lässt die Gruppe der Reisenden immer wieder in weiten Panoramen wie Zwerge erscheinen, die sich durch majestätische Urlandschaften quälen, um zurück zur Zivilisation zu finden. Bemerkenswert ist auch die Musik von Burkhard von Dallwitz, die ein Bad in einem Fluss zu einem fast spirituellen Ereignis zu überhöhen vermag. In solchen Szenen „kommentiert“ der Film auf seine Weise eine Diskussion, die bereits vor Beginn der Dreharbeiten für Diskussionen sorgte: der Realitätsgehalt der erzählten Geschichte. Auch wenn Texttafeln ankündigen, dass es sich um tatsächliche Ereignisse handelt (obwohl das dem Film zugrunde liegende Buch des Polen Slavomir Rawicz in seinem Wahrheitsgehalt umstritten ist), geht es Weir weniger um den Rapport eines historischen Ereignisses als vielmehr um ein auf dessen Basis entwickeltes „allgemeingültiges“ menschliches Drama, um die Kondensation menschlicher Erfahrungen in einer Grenzsituation. Auch bei „Picknick am Valentinstag“
(fd 20 381) inszenierte Weir eine wahre (wenn auch fantastisch anmutende) Geschichte nicht als authentischen Bericht, sondern nahm sie zum Anlass, um äußerst suggestiv und ins Surreale spielend über Figuren zu erzählen, die mit der ihnen angebotenen Realität nicht einverstanden sind und ihr zu entkommen versuchen, sei es durch die Kraft des Körpers, der sich gegen die Widrigkeiten bis zum Letzten wehrt, oder der Kraft des Geistes, der sich dem nicht Ertragbaren entzieht.
Auch „The Way Back“ schöpft seine Kraft vor allem daraus, mit welcher Bildgewalt hier das menschliche Aufbegehren gegen einen inhumanen Zustand gefeiert wird, unabhängig, ob er durch ein Regime, ein politisches System oder die rohe Natur aufgezwungen wird. Es gibt viele Filme, die auch funktionieren, wenn man sie nicht auf der Kinoleinwand sieht – „The Way Back“ aber ist einer jener Filme, für die die Leinwand geschaffen wurde.