Ein Film über die Adoption eines Babys, das eine weiße Frau mit einem schwarzen Mann gezeugt hat: Das klingt nach gut gemeinter Langeweile, nach Situationen und Konflikten, die ausschließlich erdacht wurden, um dem Appell für Toleranz und gegen Rassismus eine Plattform zu geben. Doch das vorschnelle Urteil führt in die Irre: „Mütter und Töchter“ bietet Beobachtungen statt Botschaften und interessiert sich weniger für Thesen als für grundsätzliche Fragen über das Miteinander von Eltern und Kindern.
Zwei Teenager küssen sich leidenschaftlich in einem Schlafzimmer. Die junge Frau entbindet. In mittlerem Alter erwacht sie aus einem Albtraum und legt sich zu ihrer greisen Mutter ins Bett. Drei knappe Sequenzen genügen Regisseur Rodrigo García, um das Leben seiner Hauptfigur auf den Punkt zu bringen: Seit ihre Mutter sie im Alter von 14 Jahren zwang, ihre neugeborene Tochter Elizabeth zur Adoption frei zu geben, leidet Karen unter deren Abwesenheit. Dennoch hat sie sich längst in ihrem freudlosen Dasein eingerichtet. Da stirbt ihre Mutter, und ein neuer Mann tritt in ihr Leben. Das Interesse ihres Kollegen, der als Pfleger im selben Seniorenheim wie sie arbeitet, kommt unerwartet und provoziert zunächst instinktive Abwehr. Doch er lässt sich nicht beirren, heiratet sie und stellt ihr schließlich die entscheidende Frage: „Hast Du versucht, sie zu finden?“ Elizabeth lebt ebenfalls in Los Angeles, arbeitet als Anwältin und ist auf maximale Unabhängigkeit bedacht – finanziell wie emotional. Sex reduziert sich in ihrem Leben auf ein unverbindliches Freizeitvergnügen, dem sie mit ihrem Nachbarn, aber auch mit ihrem Chef frönt. Dann passiert, was nicht passieren durfte: Sie wird schwanger – reagiert aber mit Wut und Empörung auf den Vorschlag, abzutreiben. Sie entscheidet sich für das Kind, findet einen neuen Job in einer kleinen Kanzlei, zieht in eine andere Wohnung und macht sich auf die Suche nach ihrer eigenen Mutter. Dann gibt es da auch noch ein schwarzes Ehepaar, das selbst keine Kinder bekommen kann und ein Baby adoptieren möchte.
Was macht Elternschaft aus? Ist es der biologische Akt der Zeugung, oder sind es Jahre liebevoller Fürsorge? Die Tonspur gibt eine eindeutige Antwort: „Was zählt, ist die Zeit, die man miteinander verbringt“, lautet sinngemäß ein Satz, dessen Bedeutung unterstrichen wird, indem verschiedene Figuren ihn wiederholen. Doch das Verhalten der Protagonisten spricht eine andere Sprache: Sowohl Karen als auch Elizabeth sehnen sich nach dem jeweils anderen, wollen mehr über die Frau erfahren, die sie nicht kennen und die trotzdem eine zentrale Rolle in ihrem Leben spielt. García lässt diese Widersprüche zu, denn der Film ist weniger dem Bemühen geschuldet, einem festgefügten Weltbild Ausdruck zu verleihen, als vielmehr eine offene Versuchsanordnung: Erst aus der genauen Betrachtung des ebenso unterschiedlichen wie widersprüchlichen Verhaltens der Figuren ergeben sich die Fragen, die den Kern der Handlung ausmachen, ohne je ausgesprochen zu werden. So dringt man nach und nach in das Leben der „Mütter und Töchter“ ein, beginnt, über die wenig attraktive Oberfläche ihres Alltags hinwegzusehen und sie als Menschen schätzen zu lernen. Dass dieses Konzept (ähnlich wie bei Mike Leigh) funktioniert, liegt an der klaren Inszenierung, die Präzision dem Pathos vorzieht, und an den Darstellern, die trotz großer Namen ausnahmslos hinter ihren Charakteren verschwinden – inklusive Samuel L. Jackson, der keinerlei Coolness zur Schau stellt, sondern als Chef von Elizabeth Liebhaber und Vaterfigur in einem verkörpert.
„Warum hat sie mir das nicht selbst gesagt?“, heult Karen an zentraler Stelle auf, als sie über ihre Haushälterin erfährt, dass ihre Mutter sich zeitlebens die Schuld am Unglück der Tochter gegeben habe – und erhält als Antwort: „Weil sie Angst vor Dir hatte.“ Wie kann es sein, dass das Verhältnis von Eltern und Kindern von so großer Nähe und ebenso großen Missverständnissen geprägt ist? Warum ist man eher in der Lage, die Fehler Wildfremder zu tolerieren, als die von Menschen, die man am meisten liebt? Entscheidend für das Gelingen des Films ist, dass er solche Fragen nicht mit Antworten abtötet. So bleibt das Ringen der Charaktere mit ihren engsten biologischen Bindungen unmittelbar – und erzeugt im Idealfall Momente der Selbsterkenntnis, die die Sinne für die elementare Bedeutung des Miteinanders schärfen – im Umgang mit den eigenen Müttern und Töchtern, Vätern und Söhnen.