Lebewohl, meine Konkubine

Drama | Hongkong/VR China/Taiwan 1993 | 169 Minuten

Regie: Chen Kaige

Stationen aus dem Leben zweier gefeierter Darsteller der Peking-Oper zwischen 1924 und 1977, die auf unterschiedliche Weise in Konflikt mit ihren Bühnen- und Lebens-, aber auch ihren Geschlechterrollen geraten. Ein aufwendig inszenierter Bilderreigen von betörender Schönheit, zugleich ein vielfältig aufgefächertes, subtiles Beziehungsgeflecht aus individuellen und historischen Ereignissen, das von emotionaler wie politischer Unterdrückung sowie vom Verlust von und der Suche nach Identität erzählt. Der Film bezieht auch Position gegen jede Form repressiv-ideologischer Dogmen, die den Menschen die Möglichkeit ihrer Individualität rauben. (O.m.d.U.) - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
BAWANG BIEJI | FAREWELL MY CONCUBINE
Produktionsland
Hongkong/VR China/Taiwan
Produktionsjahr
1993
Produktionsfirma
Tomson/China Film Co-Productions Corporation/Beijing Film Studio
Regie
Chen Kaige
Buch
Lilian Lee · Lu Wei
Kamera
Gu Changwei
Musik
Zhao Jiping
Schnitt
Pei Xiaonan
Darsteller
Leslie Cheung (Douzi/Cheng Dieyi) · Zhang Fengyi (Shitou/Duan Xiaolou) · Gong Li (Juxian) · Lu Qi (Guan Jifa) · Ying Da (Na Kun)
Länge
169 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Drama | Literaturverfilmung
Externe Links
IMDb | TMDB

Diskussion
Zwei seltsam gekleidete Gestalten schreiten durch die Dunkelheit eines röhrenartigen Ganges, ein Licht ganz im Hintergrund läßt sie seltsame Schatten werfen. Als sich der Gang zum Innenraum eines großen Saales öffnet. begrüßt sie respektvoll eine Stimme über Lautsprecher (wahrscheinlich ein Hausmeister), im Kegel eines Scheinwerferlichtes erkennt man die überbordend prächtigen Kostüme der beiden Männer, ihre aufwendig geschminkten Gesichter: sie sind Schauspieler der berühmten Peking Oper. Doch ihre Körperhaltung. die eher Ratlosigkeit signalisiert. und ihre Stimmen, zaudernd und sogar etwas jammernd, stehen in einem eigenartigen Kontrast zu ihrer bombastischen äußeren Aufmachung. Da scheint eine Einheit verloren gegangen. man meint den Verlust einer Harmonie zu spüren, die Bühnengestalten und die Menschen hinter ihnen sind nicht in Balance: eine Diskrepanz zwischen "Bühne" und "Leben". So einfach läßt sich das zentrale Sujet von "Lebewohl meine Konkubine" benennen. und doch ist dies nur die Grundposition eines weit vielfältiger aufgefächerten, zugleich aufwendig und subtil gestalteten Beziehungsgeflechts aus individuellen und historischen Ereignissen - ein (Bühnen- und Film-)Spiel um emotionale wie politische Unterdrückung, Rollen-Zwänge sowie die Zwänge des Lebens, nicht zuletzt um den Verlust von und die Suche nach Identität - nicht nur eines einzelnen, sondern einer ganzen Nation.

Ausgehend vom Vorspiel der beiden Schauspieler im abstrakt-leeren Raum beginnt eine Zeitreise, die zunächst mehr als 50 Jahre zurückführt und dann etappenweise das Leben der beiden rekonstruiert. Die filmische Bühne füllt sich mil Leben in überschäumender Fülle. mit hastig-hektischen Turbulenzen, die im Jahr 1924 ihren Anfang in Peking nehmen. In der Schule der Peking Oper werden mit aller Härte Kinder als Bühnennachwuchs ausgebildet. unter ihnen Douzi. ein zarter, vergleichsweise schwächlicher Junge, den seine Mutler. eine Prostituierte, eines Tages hier "ablieferte". Seitdem ist er nicht nur den Torturen der Ausbildung ausgeliefert, sondern auch dem Gespött der Mitschüler, die sich als etwas Besseres als das "Hurenkind" wähnen. Douzi rindet einen Freund ihn Shitou, einem gewitzten. in jeder Hinsicht stärkeren Jungen, der ihn beschützt.

In dieser Zeit der Unruhen unter den sich autonom fühlenden Militärkommandanten, den "Warlords", die China in verschiedenen Regionen kontrollieren, ist die Peking Oper noch eine allseits respektierte Institution, ihre Protagonisten sind emphatisch gefeierte Helden, Legenden zu Lebzeiten, Vorbilder und unerreichbare Ideale. Die Zuschauer kennen und umjubeln jede Bewegung der Schauspieler. die diese unter höchster körperlicher Mühe erarbeitet und zu nur für den Eingeweihten lesbaren Ritualen verfeinert haben. Einflüsse von außen. Veränderungen als Möglichkeit einer Weiterentwicklung, sind da geradezu verpönt: die Peking Oper bleibt, was sie ist, ein hermetischer Raum, dessen Stärke - der hart erarbeitete präzise künstlerische Ausdruck des Immergleichen - zugleich aber seine Schwäche ist: anpassungsunfähig, kann sie nicht annähernd am sozialen wie politischen Geschehen teilhaben, wird vielmehr zum Spielball der Ereignisse und ihrer jeweiligen Repräsentanten. Auch die Schauspieler der Oper sind hin- und hergerissen zwischen den widersprüchlichen Positionen innerhalb und außerhalb ihrer Bühnenwelt, vor allem Douzi, dessen Wille zu einer eigenen Rolle und Identität außerhalb des Theaters bereits in der Ausbildung gewaltsam gebrochen wird. Aul Grund seiner Physiognomie dazu ausgewählt, weibliche Rollen zu spielen, soll er rezitieren: "Ich bin von Natur eine Frau", und sagt doch immer, daß er ein Junge sei. Dies weniger aus rebellischer Renitenz, sondern aus dem Unvermögen. zwischen Rolle und Lehen trennen zu können und zu wollen: solche Aussage ist "gegen seine Natur", und wenn er schließlich nach schlimmer Pein durch Lehrer und Mitschüler seinen Widerstand aufgibt und den Satz vorlagengemäß "richtig" ausspricht, dann verabschiedet er sich zugleich vom Leben als Mann auch außerhalb der Bühne.

Solche Art der "Anpassung" beschert Douzi zugleich aber eine glanzvolle Bühnenkarriere. ebenso seinem Freund und Partner Shitou. 1937, unmittelbar vor der japanischen Invasion. stehen die beiden als Protagonisten des Stücks "Lebewohl meine Konkubine" auf der Bühne, der Geschichte eines Königs, der mitten im Krieg seine Niederlage auf dem Schlachtfeld vorausahnt und seiner Konkubine die Freiheit schenken will. Diese liebt ihn jedoch zu sehr, um sich von ihm zu trennen und tötet sich mit dem Schwert, während sie ein letztes Mal für ihn tanzt. Auch der König begeht Selbstmord. Ihn spielt Shitou, nun unter dem Künstlernamen Xiaolou. während sich Douzi Dieyi nennt und Triumphe als Konkubine feiert. Doch sein Leben spielt sich nur noch auf der Bühne ab, und wenn sich seine Gesten ins alltägliche Dasein verlängern, dann sind es Versuche. Xiaolou seine Zuneigung zu zeigen - Gesten einer Liebe, die nicht sein kann, für Dieyi aber alles bedeutet. Xiaolou indes sucht den Weg ins Leben, will Ruhm und Reichtum auskosten. In einem berühmten Pekinger Bordell begegnet er der Prostituierten Juxian und umwirbt sie - bezeichnenderweise in einer bühnenreifen Darbietung, die die attraktive Frau kurze Zeit später aufgreifen wird. wenn sie Xiaolou einen Heiratsantrag macht. Der willigt zur Bestürzung Dieyis ein: nicht nur. daß Dieyi nun des Traums seiner Liebe beraubt ist, erwächst ihm zugleich eine Rivalin, die wie die eigene Mutter Prostiuierte war. Enttäuscht und verletzt gibt er sich Meister Yuan, einem reichen und dekadenten Ästheten, hin und kündigt Xialou die gemeinsame Bühnendarbietung.

Noch in derselben Nacht rücken japanische Truppen in Peking ein, und Dieyi, Xiaolou und Juxian geraten in den Strudel der politischen Ereignisse. So wie die Japaner die Peking Oper als rechtmäßige Beute ihrer Invasion ansehen, so spüren die drei die Vereinnahmungen auf allen Ebenen des Daseins. Und so wie Dieyi Xiaolous Heirat als Verrat und mangelnde Loyalität empfand, so setzen sich diese Konflikte auf allen Ebenen des Daseins wie in einem nicht mehr zu kontrollierenden Strudel fort: unter Erpressung und Verrat, Verfolgung und Repression, dem Zwang zu Lüge und Selbstverleugnung werden in den kommenden Jahrzehnten vor allem die "unpolitischen" Menschen leiden - mehr noch als andere, weil sie sich dem jeweiligen "Wind" nicht anzupassen vermögen und den Schikanen hilflos ausgeliefert sind: den Japanern, nach ihnen den Soldaten der Kuomintang-Partei, ab 1949 den kommunistischen Rebellen und ihrer Hatz auf "Konterrevolutionäre", schließlich in den 60er Jahren den Rotgardisten, die mit beispielloser Rücksichtslosigkeit die Kulturrevolution vorantreiben. Xiaolou, Dieyi und Juxian werden regelrecht zerrissen zwischen den Mühlsteinen der Geschichte. Nicht mehr länger ist die Peking Oper die Bühne eines Schauspiels, und nicht mehr länger bestimmen die drei selbst die Nuancen ihres eigenen, sich oftmals verändernden Beziehungsgeflechts, vielmehr wird die Straße zum Schauplatz öffentlicher Erniedrigungen, die Menschen aburteilen und vernichten.

Alles dreht sich. entwickelt sich in fatale Richtungen, und doch kehrt zugleich vieles in leicht verschobener Motivik wieder: die Welt der Protagonisten bleibt eine Bühne, in der sich "nur" die Kostüme ändern, dabei aber die überschäumende Farbenpracht alter Gewänder an das monotone Einheitsblau der kommunistischen Einheitspartei abtreten müssen. Wenn die Rotgardisten den Raum der Peking Oper mit Gesängen "entweihen", in denen sie ihre revolutionäre Stärke beschwören, dann erinnert das fatalerweise an die Lieder, mit denen die Kinder 40 Jahre zuvor auf die Peking Oper eingeschworen wurden: "Ich bin so stark, ich kann Berge versetzen." Die Voraussetzungen mögen gänzlich verschieden sein, und dennoch zieht jede Art der Vereinnahmung und des Zwangs Deformierung und Leid nach sich - im Politischen wie im Privaten. Chen Kaige verbindet solche Argumente zu einem grandiosem Geflecht mannigfacher innerer und äußerer Bezüge, bei dem Fiktives und Historisches eine dichte Einheit bilden. Extrem aufwendiges Historienkino verbindet er virtuos mit subtilen Augenblicken eines fragilen Kammerspiels, Augen und Ohren des Zuschauers wird im selben Maße höchster Genuß wie Bestürzung beschert. Dabei dient auch das dem Film den Titel gebende Bühnenstück als Dreh- und Angelpunkt: "Lebewohl meine Konkubine" geht zurück auf Texturen des 13. und 14. Jahrhunderts, wurde aber erst 1921 in der Version des legendären Frauen-Darstellers Mei Lanfang zu einem Standardwerk der Peking Oper, das jahrzehntelang viele Spielpläne bestimmte: Mei Lanfang und sein Co-Autor Yang Xiaolou spielten zugleich mit beispiellosem Erfolg König und Konkubine. Das Stück, das hierzulande, aber in gewissem Maße wohl auch den Chinesen selbst als ein Stück wirklichkeitsferner "Exotik" erscheinen mag. setzt Chen Kaige immer wieder in Realitätsbezug -bis hin zur fatalen Wiederholung des Doppelselbstmordes aus Verzweiflung und Indiz des Scheiterns an der Wirklichkeit.

Immer wieder auch wiederholt er in Variationen das Bühnen- und Lebensprinzip, das der Meister der Peking Oper seinen Schülern Douzi/Dieyi und Shitou/Xiaolou mit auf den Weg gab: "So mächtig man auch sein mag, man kann seinem Schicksal nicht entkommen." Bezeichnenderweise "lehrte" die Bordellbesitzerin Juxian Ahnliches: "Lebe deinen Traum. aber eine Hure bleibt immer eine Hure - das ist dein Schicksal!" Und in der Tat erfüllen sich zum Ende alle Schicksale - wie auf der Bühne, so im Film als Abbild des "wirklichen Lebens". Es wäre zu einfach, Chen Kaige zu unterstellen, daß er sich konturlos hinter dieses Bild der Schicksalsgläubigkeit stellen würde, im Gegenteil: immer wieder formuliert er auch seine Kritik an einem solchen Unvermögen, eigenes Verschulden zu erkennen und es in Bezug zu setzen, als politische Schwäche. Dies tut er, indem er sich jenseits aller vorzüglichen äußeren Unterhaltungselemente seines Films stets auch auf die Gefühle seiner Protagonisten einläßt. Erst dadurch macht er deutlich. welche Wunden repressive ideologische Dogmen wirklich in einem Menschen schlagen, und wie sie ihm jede Möglichkeit zur Individualität rauben. (Vgl. auch Artikel und Interview in fd 16/1993. )
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