Der ehemalige Boxer Micky Ward verdankt seinen halbwegs legendären Ruf drei besonders unerbittlich geführten Kämpfen, die er sich 2002 und 2003 mit Arturo Gatti lieferte. Die rohe Aggressivität dieser Fights und das unfassbare Stehvermögen der Kontrahenten gipfelten in der neunten Runde des ersten Aufeinandertreffens, der „Runde des Jahrhunderts“. In diesen furiosen drei Minuten gerieten beide Boxer gleich mehrfach an den Rand eines K.O. Man fragt sich fragt, was diese Männer wohl angetrieben hat, warum sie – und das ist angesichts der potenziellen Folgen keine Übertreibung – ums Verrecken nicht zu Boden gehen wollten. Diese Frage hat sich Martin Scorsese vor mehr als 30 Jahren in seinem Biopic über Jake La Motta gestellt, der einen ähnlich sturen Kampfstil pflegte und im letzten, von Scorsese zum opernhaft-tragischen Höhepunkt stilisierten Kampf gegen seine Nemesis Sugar Ray Robinson einen ebenso unbegreiflichen Masochismus an den Tag gelegt hatte. „Wie ein wilder Stier“
(fd 22 856) suchte die Erklärung in der Psychologie und zeichnete La Motta als selbstzerstörerischen Neurotiker, dessen Aggression sich im Ruhestand gegen sich selbst richtet. Der inzwischen ebenfalls vom Boxen zurückgetretene Ward macht dagegen in aktuellen Fernsehinterviews den Eindruck eines sympathisch hemdsärmeligen, zurückhaltenden und ausgeglichenen Mannes. Dass er, wie La Motta in Scorseses Gefängnisszene, seinen Kopf immer wieder mit voller Wucht gegen eine Wand stoßen könnte, scheint unvorstellbar. Deshalb ist es angemessen, dass David O. Russell in seinem Ward-Biopic einen vergleichsweise lockeren, mitunter sogar burlesken Ton anschlägt. Der Handlungsbogen, den „The Fighter“ bis zu Wards erstem WM-Titelgewinn 2000 spannt, erinnert denn auch eher an einen anderen Klassiker des modernen Boxfilms, an „Rocky“
(fd 20 250). Zunächst malocht Micky im Straßenbau. Sein Bruder Dicky, der einst selbst boxte und einem Niederschlag gegen Sugar Ray Leonard bescheidenen Ruhm verdankt, firmiert als sein Trainer, ist aber dem Crack verfallen, sodass er nicht einmal bei der Abreise zu einem Kampf rechtzeitig zur Stelle ist. Die dominante Mutter Alice tritt als Managerin auf, deren Sorgen aber hauptsächlich ihrem Liebling Dicky gelten, weshalb es passieren kann, dass Micky im Ring unvorbereitet einem Gegner gegenüber steht, der eigentlich zwei Gewichtsklassen über ihm rangieren müsste. Dann muss er sich nach Strich und Faden verprügeln lassen, denn sowohl Alice als auch Dicky sowie sieben weitere Schwestern rechnen mit einem Anteil an der mickrigen Kampfbörse. Danach ist der Mann so zermürbt, dass ihn nur seine neue Freundin Charlene daran hindern kann, die Boxhandschuhe an den Nagel zu hängen. Die in jeder Hinsicht schlagfertige Kellnerin ermutigt ihn, sich von seiner Familie zu emanzipieren.
Mark Wahlberg (der den Film als Produzent über seine turbulente Entstehungsphase hinweg trug, in deren Verlauf Darren Aronofsky als Regisseur absprang) spielt die introvertierte Hauptfigur mit der ihm eigenen Zurückhaltung, mit dünner Stimme und gesenktem Blick. Die Nuancen seines unaufdringlichen Spiels wurden bei den „Oscars“ 2010 übersehen, während Christian Bale und Melissa Leo ihre großmäuligen Rollen zwei „Oscars“ einbrachten, Amy Adams immerhin eine Nominierung. Dabei grenzen die Darstellungen der vulgär gezeichneten Alice und Charlene – und erst recht die von Alice’ grotesk geschminkten Töchtern – an Karikaturen, worin ein interessanter Zwiespalt dieses herausragenden Films liegt. Denn „The Fighter“ ist ostentativ um Realitätsnähe bemüht. Mit agiler Handkamera und für ein vergleichsweise bescheidenes Budget wurde vor Ort gedreht, in der von leerstehenden Fabrikanlagen geprägten Stadt Lowell, die im 19. Jahrhundert der größte Industriestandort der USA war. Nebenrollen wurden mit örtlichen Laien besetzt, und nach drei Jahren Training kann Wahlberg sogar mit seiner Boxtechnik überzeugen, zumal die Kampfszenen akribisch den Original-Fernsehübertragung nachgestellt wurden, bis zur Verwendung derselben Videotechnik. In Interviews hat Russell seinen Respekt für das abgebildete Milieu bekundet, Parallelen zur eigenen Familie gezogen und Wahlbergs Affinität zu seiner Rolle betont, der in derselben Region in einer ähnlich armen Familie unter ebenfalls neun Geschwistern aufwuchs. Daher mag man den Film als ungeschönte Abbildung eines eigensinnigen, vitalen Subproletariats auffassen, das in den Medien sonst kaum sichtbar wird; allerdings stellt sich die Frage, wo wohl die Trennlinie zum herablassenden Stereotyp des „White Trash“ verläuft. Der Film reflektiert dieses Dilemma wirkungsvoll, indem er mehrfach ein Kamerateam auftreten lässt, das an einem Dokumentarfilm arbeitet. Wenn jener HBO-Film („High on Crack Street“, gratis im Internet verfügbar), in dem Dicky eine von drei drogensüchtigen Hauptfiguren abgibt, dann im Fernsehen ausgestrahlt wird, führt die erschütterte Reaktion von Micky und Alice vor Augen, wie demütigend selbst eine gutgemeinte mediale Außensicht auf jene Menschen wirken kann, die ihr Gegenstand sind. Daher ist es umso richtiger, dass Russell zwar die Dynamik innerhalb von Mickys Familie als Erklärung für dessen boxerischen Ehrgeiz anbietet, dass er aber erst gar nicht zu verstehen versucht, was den Mann später dazu bewegt haben mag, Arturo Gattis archaischem Schlaggewitter standzuhalten.