„Our Father, Who Art in the Trees“, heißt die von der australischen Autorin Judy Pascoe geschriebene Romanvorlage – ein Titel, der bereits mit der Doppelbedeutung von Vater/Gott die jenseitige Dimension der Geschichte andeutet. Julie Bertucelli erzählt in ihrem Film von einem plötzlichen Verlust. Peter, Ehemann und Vater von vier Kindern, erliegt auf der Heimfahrt einem Herzinfarkt. Mit seinem Auto fährt er direkt in den neben dem Haus stehenden mächtigen Feigenbaum hinein. Der Alltag der Familie bricht zusammen. Dawn, die Ehefrau und Mutter, zieht sich vor Trauer gelähmt in ihr abgedunkeltes Schlafzimmer zurück und „funktioniert“ nicht mehr, die Kinder versuchen, allein zurechtzukommen. Die achtjährige Tochter Simone findet ihren Trost in dem Feigenbaum, verlagert ihre Trauerarbeit ganz in das naturhafte Gegenüber, konstruiert dort ihr ganz eigenes „Jenseits“ als einen Ort, an dem sie eine Verbindung zum abwesenden Vater herstellen kann. Sie richtet ein Wohn- und Schlaflager auf dem Baum ein, schmückt ihn mit Spielzeug und kleinen Schätzen, spricht mit ihm und versucht, auch ihre Mutter von der „Baumpräsenz“ des Vaters zu überzeugen, die nach anfänglicher Skepsis nun ebenso wiederholt seine Nähe sucht.
„Er war nicht nur dein Vater“, sagt einmal der ältere Bruder zu Simone, in deren Trauer sich nicht zuletzt Besitzdenken mischt. Eine feine Beobachtung, die im Verlauf des Films aber keine angemessene Fortsetzung findet, kommt Bertucelli doch die Distanz zu ihrer altklugen Heldin immer mehr abhanden. Nach dem ersten Schock geht das Leben der Familie annäherungsweise wieder in die Normalität über. Kleider werden aussortiert, der Anrufbeantworter neu besprochen. Und Dawn lernt mit George einen Mann kennen, mit dem etwas Neues entstehen könnte. Der Film aber verliert das Interesse an den unterschiedlichen Formen und Abstufungen der Trauerarbeit und verlagert den Fokus (mit Simone) gänzlich auf den Baum, seine wachsende Macht und die Komplizenschaft zwischen Tochter und Natur, die immer verschwörerischere Züge annimmt, je mehr sich die Mutter wieder dem Leben, der Gegenwart und einer möglichen neuen Liebe zuwendet. Als Studie über das Weiterleben einer Familie nach einem Verlust bleibt „The Tree“ durch seine Wendung zum Naturmystischen etwas eindimensional, speziell im Vergleich zu Mia Hansen-Løves „Der Vater meiner Kinder“
(fd 39 884), der sich dem Thema sehr differenziert und leise angenommen hat. Aber in der imposanten archaischen Landschaft der australischen Outbacks gestaltet sich der Umgang mit dem Tod anders als im urbanen Umfeld von Paris.
Problematisch wird der Film, als er die „Baumbeziehung“ nicht mehr nur als eine mögliche Form der Trauer und des Trosts behandelt, sondern ihr geradezu übersinnliche Kräfte zuschreibt. Wenn die Wurzeln des Feigenbaums die Wasserrohre verstopfen und nach der ersten Annäherung zwischen Dawn und dem Klempner George ein schwerer Ast durch das Fenster des Schlafzimmers direkt auf ihr Ehebett bricht („Was hast du gemacht?“, fragt daraufhin Simone), verbreitet der Film auf penetrante Weise ein übersteigertes Naturpathos, das in der Folge immer biblischere Ausmaße annimmt. Frösche kommen aus den Wasserrohren, eine Fledermaus taucht wie aus dem Nichts auf, Schlingpflanzen überwuchern den Baum, dessen monströse Wurzeln das Haus ernsthaft in Gefahr bringen. Der Baum droht sogar, Mutter und Tochter zu trennen, und es kommt zu einer dramatischen Kraftprobe, aus der die Familie neu zusammengeschweißt hervorgeht. Allzu grobmaschig macht der Film an dieser Stelle zwei Lager auf: die naturverbundene, spirituelle Familie auf der einen Seite, die rein materialistisch denkende Umgebung auf der anderen (die spießigen Nachbarn, die den Baum gefällt sehen wollen, da er ihren Zaun beschädigt, und auch der nette Pragmatiker George). So geht nach einem gewaltigen Wirbelsturm nicht nur das Haus an der übermächtigen Kraft des Baums zugrunde; auch die Erzählung über Verlust und Trauer, die dank der subtilen Darstellung Charlotte Gainsbourgs immer wieder intensive Momente entfaltet, wird von der Gewalt dieses Naturwunders letztendlich niedergedrückt.