Der Anfang gleicht einem Albtraum, in dem man am Samstagmorgen nackt in der Fußgängerzone steht: Prinz Albert von York soll am 31.1.1925 im Wembley-Stadion anlässlich der Eröffnung der British Empire Exhibition vor gefüllten Rängen eine Rede halten, doch er erstarrt vor dem Mikrofon förmlich zu Stein und zeigt sich unfähig, auch nur einen zusammenhängenden Satz herauszubringen. Es sagt einiges über die Zähigkeit und das unbedingte Pflichtgefühl dieses Menschen aus, dass sich der stotternde Prinz nach dem hochnotpeinlichen Versagen – das einen die Inszenierung in voller Länge durchleiden lässt – nicht absolut vernichtet aus dem öffentlichen Leben zurückzieht, sondern weiterhin in der zweiten Reihe hinter seinem Vater König George V. bei Hof seinen Mann steht und, so erfährt man nach einem Zeitsprung, unermüdlich zahllose Therapien ausprobiert hat, um seiner Sprachstörung beizukommen. Obwohl er vom bisherigen Scheitern der Kuren verbittert ist, konsultiert Albert auf Betreiben seiner Ehefrau Elizabeth einen weiteren Sprachtrainer. Dieser, ein Australier namens Lionel Logue, zeigt sich zwar nicht gerade untertänig vor den Royals, sondern beharrt von Anfang an darauf, dass die Spielregeln des Arzt-Patienten-Verhältnisses von ihm bestimmt werden; doch als Albert erst einmal akzeptiert, sich mit „Bertie“ ansprechen zu lassen und Lionels befremdliche Methoden auszuprobieren, zeigt sich, dass es die Sache wert ist: Der neue Therapieansatz kann das Stotter-Problem zwar nicht über Nacht lösen, eröffnet dem Prinzen aber doch eine Aussicht auf Besserung. Dann aber gerät Albert unter Zeitdruck: Als George V. stirbt und Alberts älterer Bruder Edward kurz nach seiner Inthronisierung abdankt, um eine geschiedene Bürgerliche zu ehelichen, sieht sich der Zweitgeborene gezwungen, die Krone des britischen Imperiums anzunehmen. Doch wie soll er auf diesem exponierten Posten bestehen, in Zeiten, in denen dank des Rundfunks die Eloquenz als Mittel der Repräsentation eine enorme Bedeutung erlangt hat? Umso dringlicher gestaltet sich diese Frage angesichts der Tatsache, dass der Faschismus auf dem europäischen Kontinent und der drohende Krieg Großbritannien in eine Lage bringen, in der Albert sich verpflichtet fühlt, seinem Volk ein Gewährsmann für die nationale Einheit und Stärke zu sein. Als beim Kriegseintritt Englands eine Radioansprache an die Nation ansteht, wird das zur Bewährungsprobe für Albert (nunmehr König George VI.) wie auch für Lionel.
Ähnlich wie Stephen Frears „Die Queen“
(fd 37 965) schlägt sich „The King’s Speech“ sympathisierend auf die Seite des britischen Königshauses und zeigt es als Institution, die auch in einer Demokratie ihren Wert als leibhaftige Verkörperung „britischer Tugenden“ besitzt. Wie bei Frears Elizabeth II. gerade durch ihre starrsinnige Immunität gegenüber den Meinungen der Massenmedien, die sie und das Ansehen der Monarchie nach dem Unfalltod von Lady Di in Bedrängnis bringen, Glaubwürdigkeit und Würde bekommt, so wirkt auch in „The King’s Speech“ der Schwachpunkt des Monarchen, das Stottern, letztlich als „Verstärker“ seiner Legitimation: Da er sich von dieser Schwäche nicht unterkriegen lässt, sondern zäh das tut, was er für seine Pflicht gegenüber dem Volk hält, wird er zur umso eindrücklicheren und liebenswerteren Führungsperson. Das „Volk“ bleibt auch hier mehr oder weniger außen vor, bekommt aber einen Vertreter: Was in „Die Queen“ Tony Blair war, leistet hier die Figur des kauzigen Sprachtrainers, die ähnlich wie der Premierminister sozusagen qua Amt die Möglichkeit erhält, mit dem Fürsten auf Augenhöhe zu kommunizieren; Logue hilft ihm dabei, den Respekt seiner Untertanen (zurück) zu gewinnen, indem sie sie im Umgang mit den Massenmedien schult.
Als Analyse der Rolle Alberts vor und während des Zweiten Weltkriegs sowie, allgemeiner, der gesellschaftspolitischen Rolle der „Royals“ in der modernen Gesellschaft ist das belanglos bis inadäquat; und obendrein unfair in der Darstellung der historischen Figur von Alberts älterem Bruder Edward, der hier als sentimentaler Lebemann erscheint, während er realiter wohl nicht nur wegen seiner skandalisierten Beziehung zu Wallis Simpson, sondern auch wegen seines fortschrittlichen, an sozialen Fragen interessierten Denkens den Rückhalt der erzkonservativen Regierung verlor. Auf der zwischenmenschlichen Ebene – als Porträt eines Menschen, der verbissen mit einer Sprachbehinderung kämpft, sowie als Porträt einer ungewöhnlichen Freundschaft – entfaltet „The King’s Speech“ allerdings dank des furiosen Zusammenspiels von Colin Firth und Geoffrey Rush (flankiert von vorzüglichen Nebendarstellern wie Helena Bonham Carter, Michael Gambon oder Timothy Spall) so viel Charme, Witz und Wärme, dass man den Film mit Genuss ansieht. Während das Set-Design den royalen Räumen mehr bedrängende Schwere als Glanz verleiht und die Kamera unaufdringlich eine leicht klaustrophobische Raumpoetik etabliert, die Prinz Alberts situative Zwickmühle visuell dezent umsetzt, schafft es Firth mit Bravour, seine Figur zwischen Komik und Tragik auszubalancieren, ihre inneren Nöte durchs zugeknöpft-steife Äußere durchscheinen zu lassen und mal emotionale, mal humoristische Funken daraus zu schlagen, wenn Albert doch einmal aus sich heraus geht (bzw. von Lionel aus der Reserve gelockt wird). Geoffrey Rush macht aus dem Therapeuten weit mehr als einen komisch-kauzigen Sidekick des Prinzen: Sein Lionel ist eine schillernde, ebenso windige wie souveräne Figur, die auf der Handlungsebene zwar die britische Gesellschaftsordnung stützt, indem sie Albert hilft, seine Rolle als George VI. auszufüllen, die jedoch ihrem bürgerlichen Status zum Trotz irgendwie jenseits oder über dieser Ordnung zu stehen scheint – ein „Hofnarr“, der sich als Scharlatan und gescheiterter Shakespeare-Mime entpuppt. Und seinen Schützling vielleicht gerade deshalb erfolgreich auf das große Theater vorbereitet, als das die Macht hier dargestellt wird.