Eigentlich sollte es ein schöner Abend werden, doch so etwas gab es schon lange nicht mehr: Yuichi und Naofumi sitzen einmal mehr zusammen und reden. Besser gesagt, das Mädchen redet, und Yuichi reagiert allenfalls. „Haben Sie jemals darüber nachgedacht, gegen wen wir da kämpfen?“ „Nein, wieso sollte ich das?!“ „Obwohl wir doch einander töten?“ „Schon, aber es ist doch nur ein Job!“ Yuichi Kannami und Naofumi Tokino sind Zimmergenossen und Kampfkumpane. Es ist noch nicht allzu lange hier, dass der Junge auf der Basis seinen Dienst im Fliegerhorst der „Rostock“ tut. Er ist trotz seiner jungen Jahre ein perfekter Kampfpilot, ganz so wie einst der nun tote Jin-roh, dessen Ersatz er ist. Zusammen mit seinen kaum älteren Kollegen ziehen sie in die Lüfte, um gegen die Einheiten der verfeindeten Organisation „Lautern“ zu kämpfen. Warum? Es ist nun mal der Job! Die ewigen Kinder kennen nichts anderes. Sie sind so genannte Kildren, können nicht altern – nur, manche früher, manche später, im Kampf sterben. Ob sie das Ergebnis eines Experiments sind? So genau weiß das niemand. Aber sie sind nun einmal da, kennen nichts anderes und fügen sich ihrem Schicksal. Im Gegensatz zu Yuichi aber fragt Naofumi wenigsten nach dem Sinn des Ganzen; allerdings nur in seiner Gegenwart, denn anderen traut sie nicht, schon gar nicht jenen Erwachsenen, die den Horst kommandieren. Yuichi ist gleichmütig. Allenfalls gegenüber seiner Kommandantin Suito Kusanagi zeigt er ein merkwürdiges Interesse, denn sie war es, die seinen Vorgänger auf dessen Wunsch hin getötet hat – und das ist nicht ihr einziges dunkles Geheimnis.
Das Universum, das Mamoru Oshii in seinem Anime „The Sky Crawlers“ entwirft, ist nicht von dieser Welt, mutet aber trotzdem sehr realistisch an. Angesiedelt irgendwo in einem fiktiven Europa, wahrscheinlich in Polen, und in einer nicht näher definierten Zeit, existiert eine Gesellschaft, die keine Feinde hat und sich daher ihre Konflikte selbst erschafft. In dieser retro-futuristischen Welt ist die Technik anachronistisch und die Zivilisation moralisch eingefroren. Innerhalb dieser Versuchsanordnung stellt Oshii diesmal nicht, wie in seinen beiden Erfolgsanime „Ghost in the Shell 1 & 2“, die Frage nach einem möglichen Seelenleben von Maschinen, sondern konstatiert die seelische Degeneration von Menschen. Das Schlimme sei nicht der Tod vor Augen, meint Naofumi in einer der emotionalsten Szenen des betont unterkühlten Films; schlimm sei vielmehr, nicht zu wissen, wie weit die Erinnerungen an eine glückliche Kindheit in der Vergangenheit liegen; eine Kindheit, die durch eine immerwährende Jugend im Kampfanzug abgelöst und ausgelöscht wurde. „The Sky Crawlers“ ist eine stille Tragödie ohne Pathos, ohne Rebellentum und ohne Perspektive. Oshii inszeniert die bildgewaltigen und tontechnisch atemberaubenden Luftkampfszenen in fast schon plastischem 2D-CGI und nimmt ihnen dennoch jegliche „Top Gun“-Attitüde. Die Menschen, die in dieser Glitzerwelt leben, sind bleich, desillusioniert und fast bis zur Unkenntlichkeit abstrahiert. Den Silberstreif am Horizont, den Oshii seinen Cyborgs in „Ghost in the Shell“
(fd 32 343) noch vage erahnen ließ, stellt er den Menschen in „The Sky Crawlers“ nicht in Aussicht.