Eine Frau geht durch die Fußgängerzone einer deutschen Stadt. Plötzlich sieht sie ihren Mann vor sich. Er trägt Einkaufstüten. Sie ruft ihn, aber er reagiert nicht. Sie folgt ihm bis in eine steril eingerichtete, ihr unbekannte Wohnung. Sie stellt ihn zur Rede und spürt, dass ihr Mann einen Ort gesucht hat, an dem er ohne sie sterben kann. Anita und Fred sind seit fast 50 Jahren glücklich verheiratet, haben einen erwachsenen Sohn und eine erwachsene Tochter, das Abitur der Enkelin steht kurz bevor. Ihr Haus wirkt wie eine Festung bürgerlich kultivierter Behaglichkeit. Es scheint an nichts zu fehlen.
Der Titel „Satte Farben vor Schwarz“ bezeichnet ein ausgefülltes, im Wohlstand verbrachtes Leben vor dem Hintergrund der sich unausweichlich nähernden Dunkelheit des Todes. Fred ist in den Ruhestand getreten, kann aber von seinem Büro nicht lassen. Außerhalb des gewohnten Arbeitsrhythmus findet er keine Selbstbestätigung mehr und möchte im eigenen Heim nicht zum Gärtner werden. Er und Anita wissen um seine Krankheit, Prostatakrebs, die Kinder wissen noch nichts davon.
Der Film ist die Abschlussarbeit der 37-jährigen Regisseurin Sophie Heldman an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin (dffb). Bruno Ganz und Senta Berger sind in der Rolle des alternden Ehepaars zu sehen, das sich Liebe bis in den Tod geschworen hat und angesichts der schweren Erkrankung nach der definitiven Entscheidung sucht.
Sophie Heldman versteht ihren Film als eine tief romantische Liebesgeschichte, die zugleich ein Porträt der Generation ihrer Eltern ist und vom gesellschaftlichen Umgang mit Alter und Sterben handelt. Ihre Protagonisten charakterisiert sie über viele genauestens beobachtete Details: Anitas verzweifelte Ordnungswut, wenn sie die Scherben der vom Gewitter zerschmetterten Blumentöpfe zusammenklauben will, ihre dezente, aber sehr energische Eigenwilligkeit oder Freds verlorener Blick am Abend, wenn er sich als erster von der Familie zurückzieht, um später wieder aufzutauchen, seine Mischung von Charme und Traurigkeit. Die satten Farben sind dabei niemals extrem, die Gespräche in der Familie, die Annäherungen und Entfremdungen bleiben in einem zivilisierten Rahmen, in dem auch die Leidenschaften fast subtil wirken und sich Wut und Verzweiflung der guten Erziehung unterordnen.
Auch die Fluchtbewegungen vollziehen sich in geordneten Bahnen, die Wut wird im räumlichen Wechsel charakterisiert. Als Reaktion auf Freds Wohnung in der Innenstadt verlässt Anita das gemeinsame Haus, zieht in eine teure, aber sterile Seniorenresidenz. Der Wohlstand der beiden und die räumliche Distanz verhindern die gegenseitige Zerfleischung, wobei insbesondere das Zusammenspiel der beiden Hauptdarsteller fasziniert, die sich voneinander lösen, besinnen und wieder zusammen kommen. Vor dem Hintergrund der Krankheit überwiegen die lebensbejahenden Szenen und die Lebenslust, wenn Anita und Fred sich wieder versöhnen, auf der Abiturfeier wie zwei Teenager tanzen und dann wie zwei frisch Verliebte zu einer letzten Liebesnacht im Hotel absteigen.
Was fehlt, ist die Verzweiflung, die Angst vor dem Tod. Die dunkle Seite des Films bleibt im Hintergrund, weshalb das Ende so verstörend und abrupt ist. Als alles wieder gut scheint, als die Gräben zwischen dem Mann und der Frau zugeschüttet sind und alle Missverständnisse bereinigt zu sein scheinen, gehen die beiden in Freds sterile Innenstadtwohnung, nehmen auf dem Sofa Platz und setzen sich tödliche Spritzen. Wie unterschiedlich wirkt dieser aristokratische Selbstmord, der an die stoische Gelassenheit römischer Patrizier aus der Cäsarenzeit erinnert, im Vergleich zur bitteren Tragikomik des unfallartigen Selbstmords eines gescheiterten Familienvaters in Andreas Arnsteds „Die Entbehrlichen“
(fd 40 080)! „Satte Farben vor Schwarz“ lässt die Verzweiflung hinter dem Doppelselbstmord nicht spüren, weshalb der Selbstmord am Ende eines selbst bestimmten Lebens einen faden Beigeschmack hinterlässt.