Ein Junge, dessen familiäre Verhältnisse durch Arbeitslosigkeit desolat wurden, hält den Selbstmord seines Vaters geheim, um nicht ins Heim zu müssen. Mit rauem Humor entwickelt die darstellerisch vorzügliche Sozialgroteske über Rückblenden die Geschichte einer gescheiterten Familie im Hartz-IV-Zeitalter. Präzise und fern von Klischees zeichnet der Film menschliche Porträts aus einer von der Gesellschaft weitgehend ignorierten, chancenlosen Unterschicht und verdichtet sich zu einer bemerkenswerten sozialen Bestandsaufnahme.
- Ab 14.
Die Entbehrlichen
- | Deutschland 2009 | 105 Minuten
Regie: Andreas Arnstedt
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Filmdaten
- Produktionsland
- Deutschland
- Produktionsjahr
- 2009
- Produktionsfirma
- Question Mark Ent.
- Regie
- Andreas Arnstedt
- Buch
- Andreas Arnstedt
- Kamera
- Patricia Lewandowska
- Musik
- Masha Qrella · Contriva
- Schnitt
- Sylvain Coutandin
- Darsteller
- André M. Hennicke (Jürgen Weiss) · Steffi Kühnert (Silke Weiss) · Oskar Bökelmann (Jacob Weiss) · Ingeborg Westphal (Rosemarie Weiss) · Mathieu Carrière (Gerhardt Rott)
- Länge
- 105 Minuten
- Kinostart
- 30.09.2010
- Fsk
- ab 12; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 14.
- Externe Links
- IMDb | TMDB | JustWatch
Diskussion
Der Gestank wird ja immer schlimmer, Papa, wenn die das entdecken, dann komme ich ins Heim“, flüstert der zwölfjährige Jakob in Richtung Wohnzimmercouch, hinter der seit Tagen ein Toter liegt. Der Junge verheimlicht den Selbstmord seines Vaters, damit er in der Wohnung bleiben kann. Die Mutter ist auf Alkoholentzug, und die Oma kauft dem Jungen die Geschichte von der angeblichen Weiterbildung des Vaters ab. „Die Entbehrlichen“, das Regiedebüt des Schauspielers Andreas Arnstedt, erzählt über Rückblenden die Geschichte eines gescheiterten Lebens und einer gescheiterten Familie. Der Film erzählt von Opfern und Tätern der Wirtschaftskrise: davon, dass Jürgen, Jakobs Vater, nach dem Ende seiner Firma kein Bein mehr auf den Boden bekommen hat, zwischen unerfüllbaren Träumen von einer neuen Selbstständigkeit und dubiosen Jobs, etwa in einem Großhandel, der mit Gammelfleisch handelte. Auch davon, dass der Vater immer stärker Zuflucht im Alkohol fand und seine Frau den Absprung suchte. Der Film beschreibt die absurde Realität der Hartz-IV-Bürokratie, die Löcher im sozialen Netz, die viel mit Wegschauen, Vorurteilen und der Ignoranz einer wohlhabenden Gesellschaft zu tun haben; er beleuchtet aber auch das Geflecht aus Lebenslügen, Illusionen und Hoffnungen, das die Familie zusammen hält, bis es nicht mehr geht. „Ich habe mir so oft gewünscht, dass er einfach weg ist. Jetzt, wo er weg ist: Scheißgefühl“, sagt Jakob zu seiner Freundin Hannah, die in seine Klasse geht, aber aus einer wohlhabenderen Schicht kommt, wo Sushi gegessen wird, klassische Musik läuft und die Hochschulkarriere der Kinder längst beschlossene Sache ist.
„Die Entbehrlichen“ vermittelt keine Hoffnung auf wundersame Wendungen und Schicksalsfügungen. Er negiert die großen Mythen der Leistungsgesellschaft, nach denen Arme reich werden können und Erfolglose erfolgreich. Trotzdem wird der Film nie zur kalten Karikatur, sondern bleibt auch in der absoluten Hoffnungslosigkeit menschlich und vermittelt die manchmal angestrengte Lebensfreude jener, die überleben wollen. Dass dies funktioniert, verdankt der Film seinen ausgezeichneten Schauspielern: Oskar Bökelmann als ebenso träumerischer wie Katastrophen gewohnter Jugendlicher, Steffi Kühnert als seine Mutter, die in ihren vorgeblichen „Gesangsstunden“ bei den Anonymen Alkoholikern versucht, den Absprung aus Alkoholsucht und häuslichem Elend zu schaffen, und ganz besonders André M. Hennicke als Jürgen Weiss, der als arbeitsloser Malermeister den Teufelskreis aus Alkohol und Aggression durchbrechen will.
„Die Entbehrlichen“ ist ein programmatischer Titel, denn Andreas Arnstedt zeichnet ein soziales Milieu, das in den sensationsgierigen „Sozialreportagen“ privater Fernsehsender längst zum Abziehbild geworden ist: Unterschicht, Arbeitslosigkeit, Alkoholismus. Dabei lebt der Film davon, dass er an wichtigen Stellen genau diese Klischees vermeidet. Auch entwickelt er einen sehr volkstümlichen, aber niemals platten Humor; seine Figuren sind menschlich in ihrer Zwiespältigkeit, keine klassenkämpferischen Heiligenbilder. Wenn Jürgen das grinsende Konterfei von Ex-Kanzler Schröder von der Laterne reißt, dann reagiert er aus dem Bauch heraus, weil er keine Schuldigen finden kann für seine Misere in eine Gesellschaft, die ihn mit freundlicher Gleichgültigkeit behandelt.
Der Film ist eine bittersüße Bestandsaufnahme der neuen sozialen Realität der Bundesrepublik Deutschland und immer bereit, den schmalen Pfad der politischen Korrektheit zu verlassen. Förderungen von kinophilen Fernsehredaktionen hat Andreas Arnstedt nicht bekommen; er hat seinen Film selbst finanziert. Vielleicht wirkt er deshalb so vehement, so wenig harmlos, zeigt soziales Kino, das unter die Haut geht, mit einem galligen Humor, bei dem einem das Lachen fast im Halse stecken bleibt.
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