Biopic | Deutschland 2010 | 104 Minuten

Regie: Philipp Stölzl

Der junge Johann Wolfgang von Goethe als Held eines ausgesprochen unterhaltsamen und temporeichen Bio-Pics: Der Film klammert sich dabei nicht an authentische Details, sondern fabuliert frei über einen "Pop-Star" des 18. Jahrhunderts sowie die Geschichte seiner ersten, unerfüllten Liebe. Trotz der hohen Schauwerte und des souveränen Spiels auf der Klaviatur der Gefühle mangelt es ihm freilich an Tiefe, an der Ahnung, dass aus dem jungen Dichter bald ein Stürmer und Dränger, ein Revolutionär gegen eine verstaubte Gesellschaft wird. Eine stärkere zeitgeschichtlich-politische Grundierung hätte dem Film gut getan. - Ab 12.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2010
Produktionsfirma
Senator Film/deutschfilm/Warner Bros. Germany/SevenPic./Erfttal Film/Goldkind Film/HerbX Film/Magnolia Film/CC Medien/Summerstorm Ent.
Regie
Philipp Stölzl
Buch
Philipp Stölzl · Christoph Müller · Alexander Dydyna
Kamera
Kolja Brandt
Musik
Ingo L. Frenzel
Schnitt
Sven Budelmann
Darsteller
Alexander Fehling (Johann Goethe) · Miriam Stein (Lotte Buff) · Moritz Bleibtreu (Albert Kestner) · Volker Bruch (Jerusalem) · Burghart Klaußner (Lottes Vater)
Länge
104 Minuten
Kinostart
14.10.2010
Fsk
ab 6; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 12.
Genre
Biopic
Externe Links
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Heimkino

Die Extras enthalten u.a. ein Feature mit im Film nicht verwendeten Szenen (12 Min.).

Verleih DVD
Warner (16:9, 2.35:1, DD5.1 dt.)
Verleih Blu-ray
Warner (16:9, 2.35:1, DTrueHD dt.)
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Diskussion
„Ist das die Wahrheit?“, fragt der Verleger, als ihm Charlotte das Manuskript von „Die Leiden des jungen Werther“ ausgehändigt hat. „Es ist mehr als die Wahrheit. Es ist Dichtung“, antwortet die junge Frau. Genau so will Philipp Stölzl seinen Film „Goethe!“ verstanden wissen: Er klammert sich nie an authentisch-dokumentarische Details über die Jugend des deutschen Dichterfürsten, sondern fabuliert frei und fröhlich drauflos, um heutigen Zuschauern gleichsam einen Pop-Star des 18. Jahrhunderts und die Geschichte seiner ersten, unerfüllten Liebe näher zu bringen. Dieser Goethe, so wie ihn Alexander Fehling spielt, ist in Sprache und Habitus ein moderner junger Mann, der seinen eigenen Weg ins Leben geht, sich um Althergebrachtes wenig schert und Autoritäten nur so weit achtet, wie es unbedingt sein muss. Er ist ein stürmischer, verwegener, unangepasster, von sich überzeugter und dann auch wieder an sich zweifelnder Held, dem unsere ganze Sympathie gehört. Gäbe es Referenzfilme für diesen „Goethe!“, dann wären dies sicherlich „Amadeus“ (fd 24 828) oder „Shakespeare in Love“ (fd 33 570), vielleicht auch Laurent Tirards Mantel- und Degenabenteuer „Molière“ (fd 38 786). Gegen diese Form strikt unterhaltender künstlerischer Ahnenpflege ist zunächst nichts zu sagen: „Goethe!“ hat Witz, Charme, Tempo und hoher Schauwerte. Die flinken Dialoge zitieren mit ironischem Understatement Verse aus späteren Werken des Meisters: „Mein liebes Fräulein, darf ich’s wagen...“ Für das Szenenbild wurden alle Register digitaler Technik gezogen: Das regnerische, schlammige Wetzlar, ganz ohne gepflasterte Straßen, gibt eine wunderbare Kulisse für Liebeslust und -leid ab; die Advokatenstube von Gerichtsrat Kestner, in der Goethe nach unvollendetem Jurastudium Frondienste leisten muss, wirkt mit ihren übermannsgroßen, erdrückenden Hängeregistraturen wie eine wahre Foltergrube für freiheitsliebende Teenager. Viele Schnittfolgen sind brillant ausgeklügelt, etwa wenn Goethe und Charlotte rennend, fahrend, reitend zu einem Rendezvous aufbrechen, einander verfehlen und sich dann, in einer weiten Totale, endlich in die Arme fallen. In entscheidenden Momenten, etwa wenn das junge Paar zum ersten Mal miteinander schläft, werden die Umweltgeräusche eliminiert, nur ein Klaviermotiv begleitet die Szene. Auch als sich Goethe von der für ihn völlig unerwarteten Verlobungsfeier zwischen „seinem“ Lottchen und Kestner zurückzieht, verzichtet der Film auf jeden störenden Ton: Die Konzentration liegt ganz auf der Figur, ihrer Einsamkeit und Verzweiflung. Eine beispielhafte Sequenz, nicht zuletzt deshalb, weil die sonst oft aufdringliche Musik hier stark zurückgenommen ist. Philipp Stölzl, dem es zuletzt mit seiner Berliner „Rienzi“-Inszenierung gelungen war, Oper und Kino wirksam zu verschmelzen, beherrscht die Klaviatur der Gefühle sichtlich souverän. „Goethe!“ muss gegenüber seiner letzten Kinoarbeit „Nordwand“ (fd 38 964) in fast jeder Beziehung als Fortschritt gewertet werden. Nur in einer nicht: Dem Film fehlt es an Tiefe. Die forcierte Unterhaltsamkeit täuscht kaum darüber hinweg, dass es nur selten gelingt, mehr als die schillernde Oberfläche der Hauptfigur zu erfassen. Konflikte, die im Goethe-Stoff angelegt sind, weichen einer Dramaturgie bloßer Missverständnisse: So wird es eher als lässlicher Irrtum, nicht aber als existenzielle Bedrohung für den jungen Mann erfahrbar, dass Goethes Vater seinem Sohn das Dichten untersagen will. Auch der unsichere, etwas steife, aber trotz allem ziemlich sympathische Advokat Kestner ist in keinem Moment ein tatsächlich bedrohlicher Rivale. Dass aus dem Teenager Goethe bald ein Stürmer und Dränger wird, ein Revolutionär gegen eine verstaubte Gesellschaft, gegen adlige Parvenüs und bürgerliche Speichellecker, dass in ihm schon der „Prometheus“ angelegt ist: Diese Ahnung bleibt der Film schuldig. Was man stattdessen erlebt, ist ein hedonistischer Jüngling, ein freundlicher Haudegen, ein ganz und gar privates Universum Goethe. Das aber scheint im Falle dieses Dichters zu wenig. Im Presseheft erklärt Produzent Christoph Müller: „Goethe ist Deutschlands berühmtester und bedeutendster Dichter und Denker, und trotzdem gibt es noch keinen relevanten Kinofilm über diese außergewöhnliche Persönlichkeit.“ Irrtum! Egon Günther inszenierte 1974 „Lotte in Weimar“ (fd 19 545), einen DEFA-Film nach Thomas Mann, der dem greisen Martin Hellberg als Goethe zu einem legendären Auftritt verhalf. An diesem Klassiker des deutschen Kinos hätte sich das junge Team um Philipp Stölzl durchaus ein Vorbild nehmen können: Egon Günther war es nämlich gelungen, das Goethe-Porträt auch zum Zeit-Bild einer Epoche werden zu lassen, zu einer Parabel auf Aufbruch und Niedergang. Damals handelte es sich zwar um den alten, zum Monument erstarrten Staatsrat, der seine Jugendliebe Charlotte trifft; eine Begegnung, aus der Günther ein flirrend ironisches Vexierspiel über Werden und Vergehen nicht nur des einzelnen Individuums, sondern ganzer Gesellschaften filterte. Doch auch dem Porträt des jungen Dichters hätte eine stärkere zeitgeschichtlich-politische Grundierung gut getan.
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