Das Gute an Facebook ist, dass man zum „Freund“ von Menschen werden kann, mit denen man es in der Realität keine fünf Minuten aushalten würde. Das Erfolgsgeheimnis sozialer Online-Netzwerke besteht darin, dass virtuelle Beziehungen an die Stelle realer Beziehungen treten. Was also erzählt uns Facebook über die Sehnsucht nach Nähe, Freundschaft, Anerkennung und Prominenz? Was über Eitelkeit und Hipness? Über aktuelle Haltungen zu Einsamkeit, Kommunikation, Öffentlichkeit, Privatheit? Über das soziale Gewebe der Gesellschaft? Dem Film „The Social Network“ scheint das alles eher egal zu sein; er schildert lieber „a tale about sex, money, genius and betrayal“ (so der Untertitel des dem Film zugrundeliegenden Doku-Romans von Ben Mezrich über die Gründung von Facebook).
Doch um das Erfolgsgeheimnis sozialer Netzwerke ist es „The Social Network“ gerade nicht zu tun; dafür transportiert das alte Medium Film seine Geschichte über das neue Medium Web 2.0 mittels Konflikte und Charaktere, die so alt sind, dass man sie auch in Stein gemeißelt in Mesopotamien finden könnte. Es geht um einen jugendlichen Zwangsneurotiker, der so unsympathisch und arrogant ist, dass nicht einmal seine Klugheit ihn aus seiner sozialen Isolation befreien könnte. Dass ausgerechnet dieser Computer-Nerd aus enttäuschter Liebe auf die Idee kommt, sich zunächst durch die Ranking-Site „Facemash“ an den Frauen auf dem Harvard-Campus zu rächen, bevor er auf die Idee verfällt, das komplette Campus-Leben unter dem Titel „thefacebook“ online erlebbar zu machen, verwundert nicht. Dieser Nerd heißt Mark Zuckerberg, er wurde der jüngste Milliardär der US-Geschichte und aus „thefacebook“ wurde wenig später kurz und knapp Facebook. Über den erstaunlichen Erfolg des sozialen Netzwerks soll Zuckerberg geäußert haben, dass er doch überrascht sei, wie voyeuristisch die Menschen sind. Und dass Privatsphäre doch ein altmodischer Begriff sei. Politik interessiert in „The Social Network“ allerdings eher nicht oder nur am Rande. Hier wird stattdessen lieber noch einmal dem Mythos des Start-up-Unternehmens gehuldigt, bei dem es darauf ankommt, die richtige Idee zum richtigen Zeitpunkt zu haben und zudem in Sachen Freundschaft und Loyalität flexibel zu sein.
Der besondere Kniff des Films liegt darin, dass er eine Erfolgsgeschichte erzählt, bei der sich sämtliche Akteure nur graduell in ihrem Unsympathisch-Sein unterscheiden. Mark Zuckerberg ist ein genialer Programmierer und Projektemacher, vielleicht etwas lax in Sachen des geistigen Eigentums, dafür aber mit fast schon autistischer Besessenheit seiner Arbeit verschrieben. Leider fehlt es dem Entrepreneur weniger an Ideen denn an Eigenkapital. Hier kommt Eduardo Saverin ins Spiel, der ihm anfänglich mit einigen Dollars aushilft und dafür sein zukünftiger Partner wird. Dann sind da noch die blasierten Zwillinge Winklevoss, Sprösslinge des Ostküsten-Geldadels, die auch Ideen haben, für deren Realisierung sie allerdings das Know-how Zuckerbergs brauchen, was sie später bitter bereuen werden. Der Film erzählt die Facebook-Gründungsgeschichte retrospektiv von verbrannter Erde aus: Gleich zwei Prozesse muss Zuckerberg führen, bei denen es um kreative Entscheidungen und Urheberrechte geht. Seine soziale Kompetenz als ungewöhnlich zu beschreiben, hieße, ihm eine solche zu unterstellen. Hier paart sich Selbstgefälligkeit mit Skrupellosigkeit spätestens dann zur brisanten Mischung, wenn der glamouröse Sean Parker erscheint, dessen Genie bereits die Musikindustrie in den Ruin getrieben hat. Parker kapitalisiert die Talente des an Geld wenig interessierten Nerds Zuckerberg.
Inhaltlich mag „The Social Network“ fast schon ärgerlich dürftig Klatsch und Tratsch den Vorzug vor dem Politischen geben; filmisch allerdings schöpfen die Macher aus dem Vollen. David Fincher, Kameramann Jeff Cronenweth und die Cutter Kirk Baxter und Angus Wall entwerfen ein komplexes Geflecht aus Rückblenden, Perspektivwechseln, Anekdoten und Abschweifungen, dessen gewagtes Tempo eine sogartige Wirkung entfaltet. Unterstützt von viel Rock’n’Roll und Techno von Trent Reznor erzählt der Film ungestüm vom Campus-Leben, vom jugendlich-selbstbewussten Aufbruch in neue (Geschäfts-)Welten. Dazu liefert Drehbuchautor Aaron Sorkin Dialoggefechte von absoluter Meisterschaft, deren Pointiertheit es mit avancierten Rappern aufnehmen kann. Neben Jesse Eisenberg, der ein abgründiges Porträt von Mark Zuckerberg liefert, glänzt Justin Timberlake , der als Sean Parker genauso auftritt, wie man sich einen charismatischen, paranoiden, drogen- und partysüchtigen Blender und skrupellosen Geschäftsmann vorstellt. Der Film präsentiert gewissermaßen die Zeit der Unschuld von Facebook; in welch schlechte Gesellschaft sich Zuckerberg seither begeben hat (Stichwort: Peter Thiel), muss man andernorts recherchieren.
Nach „Der seltsame Fall des Benjamin Button“
(fd 39122) erweist sich Fincher ein weiteres Mal als Hollywoods Parforce-Kunsthandwerker: ein Formalist, der dünne Geschichten mit viel Geschick auf die große Leinwand zu bringen versteht. Angesichts von fast 200 Mio. Facebook-Usern weltweit hätte man sich dennoch gewünscht, dass sich der Film nicht mit der persönlichen Ehrabschneidung der Protagonisten begnügt hätte. Aber vielleicht erreicht man ja die Facebook-User genau damit an ihrer empfindlichsten Stelle.