Der demokratisch gewählte Präsident eines karibischen Inselstaates, auf dem einmal große Hoffnungen ruhten, hat sich auf seine Bergfestung zurückgezogen, um sich im Kreis engster Gefolgsleute auf einen Staatsakt vorzubereiten. Als sich die Aufstände gegen ihn zuspitzen, sagen die ausländischen Gäste der Reihe nach ab. In der Manier einer bösen Farce spießt der vorzügliche Film den Realitätsverlust eines Machthabers auf, der sich in Shakespeare’schen Dimensionen denkt, obwohl er nicht viel mehr als ein gewalttätiger Schmierenkomödiant ist. Die Parabel setzt auf eine anspielungsreiche Dekonstruktion, in der das Schäbige großartig inszeniert, wunderbar gespielt und opulent ausgestattet ist.
- Sehenswert ab 16.
Moloch Tropical
Drama | Frankreich 2009 | 106 Minuten
Regie: Raoul Peck
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Filmdaten
- Originaltitel
- MOLOCH TROPICAL
- Produktionsland
- Frankreich
- Produktionsjahr
- 2009
- Produktionsfirma
- Velvet Film/ARTE France
- Regie
- Raoul Peck
- Buch
- Jean-René Lemoine · Raoul Peck
- Kamera
- Eric Guichard
- Musik
- Alexei Aigui
- Schnitt
- Martine Barraqué
- Darsteller
- Zinedine Soualem (der Präsident) · Sonia Rolland (Michaelle) · Mireille Metellus (Rachel Corvington) · Nicole Dogue (Anne Labuche) · Gessica Geneus (Odette Vilbrun)
- Länge
- 106 Minuten
- Kinostart
- 17.09.2015
- Fsk
- ab 16; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Sehenswert ab 16.
- Genre
- Drama
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Böse Farce über einen abgehobenen Machthaber
Diskussion
Inspiriert von Alexander Sokurows „Moloch“ (fd 34 089), hat der umtriebige Raoul Peck 2009 das Obersalzberg-Szenario nach Haiti verlegt. Als „Moloch Tropical“ 2010 in Haiti gezeigt werden sollte, kam dann das verheerende Erdbeben dazwischen. Doch hat die Parabel nichts von ihrer Gültigkeit und Aktualität verloren, weshalb es sehr zu begrüßen ist, dass der vorzügliche Film jetzt zeitgleich mit Pecks „Mord in Pacot“ (fd 43 370) einen Kinostart bekommt.
„Moloch Tropical“ erzählt vom letzten Tag des für fünf Jahre demokratisch gewählten Präsidenten Jean de Dieu, der sich mit seinen engsten Mitarbeitern in einer wolkenverhangenen Bergfestung auf einen Staatsakt mit internationalen Gästen vorbereitet, während die politische Situation im Lande eskaliert. In der Manier einer bösen Farce wird der komplette Realitätsverlust und verzweifelte Machtwille eines Machthabers gezeigt, der mit großer Geste pathetische Ansprachen ans Volk hält, die Freiheit und Aufbruch versprechen und auf die Solidarität aller setzen. Frankreich soll in Milliardenhöhe für die Folgen der Kolonialherrschaft zur Kasse gebeten werden, wofür das Volk nur Hohn und Spott übrig hat, weil Korruption und Selbstbereicherung mit Händen zu greifen sind. Während in der luxuriös mit moderner Kunst ausgestatteten Bergfestung die Tagesgeschäfte und sexuellen Begehrlichkeiten anlaufen, dringen über die Medien Nachrichten über wachsende Ausschreitungen durch. Sollen die Schlägertrupps, die weder Vater noch Mutter kennen, von der Leine gelassen werden, weil die Polizei machtlos ist? Als die flammende Ansprache eines Regimegegners im Radio ertönt, wird der im Keller bereits gefoltert – und dann zu einem gespenstigen Dinner mit dem Präsidenten mühsam wieder hergerichtet. „Demokratie hat ihren Preis!“, und „Das Volk ist nicht reif für die Demokratie!“, erklärt der Präsident dem Geschundenen, um ihm dann vom einem Gemälde Francis Bacons vorzuschwärmen, das dem zerschlagenen Gesicht so ähnelt. Nein, zu einem Monster fehle dem einstigen Hoffnungsträger des Volkes Größe und Leidenschaft, erhält er zur Antwort. Kurz darauf wird der einstige „Freund und Bruder“ im Garten der Festung bei lebendigem Leib verbrannt.
Immer wieder erinnert „Moloch Tropical“ an „Lumumba – Tod des Propheten“ (1991) und „Lumumba“ (fd 34 969; 2000), Pecks zwei Filme über den einstigen Hoffnungsträger des Kongo. Nebenher werden vielfältige Bezüge zur internationalen Politik hergestellt: Von Bin Laden ist die Rede, Bilder der Verhaftung Saddams werden eingespeist, Quentin Tarantino ist am Telefon. Jean de Dieu ist eben eine Marionette der Amerikaner, eine kleine Figur in einem weit größeren geopolitischen Zusammenhang, die jetzt schmerzhaft bemerken muss, dass sie fallengelassen werden wird. Immer mehr Gäste sagen ihre Teilnahme am Staatsakt ab. Die Zeit läuft ab, Jean di Dieu verweigert die Pillen, hält wirre Reden („Ich bin Caesar und Cleopatra! Ich bin das Osterlamm!“, „I have a dream!“), steigt Personal und Gästen nach, opfert leichthin den begabtesten Saxophonisten Haitis und rennt schließlich nackt in den Dschungel hinaus.
Es ist eine Schmierenkomödie, die der Protagonist selbst wohl gerne als Shakespeare-Drama oder große Oper gestaltet hätte. Doch Raoul Peck hat sich für die anspielungsreiche Dekonstruktion entschieden: das Schäbige ist großartig inszeniert, wunderbar gespielt und opulent ausgestattet. Nur über die desolaten post-kolonialen Strukturen und die Natur des Menschen will sich der politische Filmemacher und Aktivist keinen Illusionen hingeben.
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