Ein geistig beschränkter junger Mann wird des Mordes an einer Schülerin beschuldigt. Nur seine Mutter glaubt an seine Unschuld und fahndet nach dem Täter. Ihre Ermittlungen zerren dunkle Geheimnisse ans Licht, offenbaren aber auch eine besessene Mutterliebe. Im Blick auf die Titelfigur, deren Bild sich ständig ändert, ohne an psychologischer Stimmigkeit zu verlieren, wandelt der Film zwischen Drama, Krimi und Horrorfilm und spielt luzide mit den Erwartungen des Zuschauers; zugleich hält er der koreanischen Gesellschaft einen sarkastischen Spiegel vor.
- Sehenswert ab 16.
Mother (2009)
Kriegsfilm | Südkorea 2009 | 129 Minuten
Regie: Bong Joon-ho
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Filmdaten
- Originaltitel
- MADEO
- Produktionsland
- Südkorea
- Produktionsjahr
- 2009
- Produktionsfirma
- Barunson/CJ Ent.
- Regie
- Bong Joon-ho
- Buch
- Park Eun-kyo · Bong Joon-ho
- Kamera
- Kyung-pyo Hong
- Musik
- Lee Byung-Woo
- Schnitt
- Bong Joon-ho · Moon Sae-Kyoung
- Darsteller
- Kim Hye-ja (Yoon Hye-ja) · Won Bin (Yoon Do-jun) · Gu Jin (Tae Jin) · Yoon Jae-Moon (Je-mun) · Jun Mi-sun (Mi-sun)
- Länge
- 129 Minuten
- Kinostart
- 05.08.2010
- Fsk
- ab 12; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Sehenswert ab 16.
- Genre
- Kriegsfilm | Horror | Drama
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Heimkino
Diskussion
Ob dies der mit dem Kino verwandten Psychoanalyse geschuldet ist? Jedenfalls sind Mütter im Kino ein fast noch komplexeres Sujet als im wirklichen Leben. Zahllose Varianten des Mutter-Kind-, insbesondere des Mutter-Sohn-Verhältnisses kennt die Leinwandgeschichte, wobei die unglücklichen Varianten, unabhängig vom kulturellen Hintergrund, deutlich überwiegen. Auch „Mother“ gehört in diese Kategorie. Man kennt nicht viele Filme, die ähnlich abgründig sind: „Mother“ ist Psycho-Studie und Horrorfilm, ein zartes Werk über Mutterliebe und ein erschütterndes Drama über die Kraft der Emotionen.
Der Film eröffnet mit seiner Titelfigur und einem friedlichen Bild: Die ältere Dame steht inmitten grüner Pflanzen, ihr Blick ruht auf dem Filius. Er drückt uneingeschränkte Liebe aus. Diese Mutter ist glücklich. Sie wird es nicht lange bleiben. Ihr Sohn bekommt Ärger, weil er eine Gruppe von Golfspielern, offenkundig reiche und mächtige Leute, beschimpft. Der kurze Vorgang ist nur eine unscheinbare Vorwegnahme all dessen, was folgt. Zunächst lernt man aber die häuslichen Verhältnisse kennen: Sohn Do-joon ist zwar nicht gerade geistig behindert, aber offenkundig beschränkt und ein Objekt von Hänseleien. Der 27-Jährige lebt bei seiner verwitweten Mutter, die einen kleinen Kräuterladen betreibt und sich rührend um ihr Kind kümmert. Doch das Verhältnis ist auch von einer befremdenden Intimität: Mutter und Sohn teilen sogar dasselbe Bett. Dann folgt ein schreckliches Ereignis: Eines Abends begegnet Do-joon einem Schulmädchen und verfolgt es eine Weile, bevor sich ihre Wege trennen. Am nächsten Tag wird die Schülerin ermordet aufgefunden; einige Indizien weisen auf Do-joon, der dem Verdacht hilflos begegnet und sogar ein Geständnis unterschreibt.
Regisseur Bong Joon-ho gehört zu den besten Filmkünstlern Südkoreas. Mit seinem letzten Film „The Host“ (fd 38 084) bewies er überdies, dass er sich auch auf große Kassenerfolge versteht, wobei dieser Monster-Thriller die Qualitäten eines Blockbusters mit der Subtilität und untergründigen Sozialkritik seiner vorherigen Filme verband. All diese Qualitäten finden sich auch in „Mother“. Zugleich demonstriert dieser Film die Virtuosität eines Regisseurs, der sich ganz offenkundig auf diversen Feldern wohl fühlt. Der Plot von „Mother“ ist scheinbar einfach: Ein junger Mann wird eines Mordes beschuldigt und gesteht; nur seine Mutter glaubt an seine Unschuld und fahndet nach dem wahren Täter. Doch dann wird alles erheblich komplizierter. Denn die Ermittlungen der Mutter, die zahllose Zeugen befragt, die Polizei kritisiert und sogar mit der Familie des Opfers Kontakt aufnimmt, bringen allerlei Verdrängtes und Verborgenes zutage und sind geeignet, den Frieden in der ländlichen Gemeinde empfindlich zu stören: So stellt sich beispielsweise heraus, dass das ermordete Mädchen Mitglied eines Prostitutionsrings war. Zugleich entpuppt sich die Liebe der Mutter als obsessiv und zerstörerisch.
Der vorherrschende Tonfall in „Mother“ ist Sarkasmus. Er gilt zum einen den Zuschauern, deren scheinbare Sicherheiten ein ums andere Mal zerstört werden. So durchläuft das Bild der Mutter denkbar unterschiedliche Stadien, ohne dass dabei die psychologische Glaubwürdigkeit der Figur erschüttert würde: Diese Mutter ist eine Miss Marple, eine Lady Macbeth und, auf ihre Art, auch eine Medea. Auf ähnliche Weise wandelt sich der Film von einer heiteren Komödie zur archaischen Tragödie. Der Sarkasmus gilt freilich nicht minder der koreanischen Gesellschaft, der Bong Joon-ho einmal mehr den Spiegel vorhält. Gepaart ist diese Grundhaltung mit einem großartigen Sinn fürs Visuelle, der für die eigentliche Wirkung des Films sorgt. Die Kamera besticht ähnlich wie die erzählerische Eleganz des Regisseurs. Es ist, als würde die psychologische Tiefe Henri-Georges Clouzots, die Eleganz Alain Corneaus und die abgründige Fantasie von Alfred Hitchcock ins Korea der Gegenwart übersetzen. „Mother“ ist ein weiteres Indiz für den Reichtum des koreanischen Kinos. Gemeinsam mit den stilistisch sehr unterschiedlichen Regisseuren Park Chan-Wook und Hong Sang-soo gilt Bong Joon-ho heute als wichtigster Filmemacher Koreas. „Mother“ macht deutlich, warum das zu Recht der Fall ist.
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