Am Ende hat sich der Mann mit seiner Vergangenheit versöhnt und Licht in das Dunkel der eigenen Erinnerung gebracht. Der Zug setzt sich wieder in Bewegung, und auch die Liebe kann nun ihren Weg gehen. „In ihren Augen“, der neue Film des argentinischen Erfolgsregisseurs Juan José Campanella, führt zurück in die Jahre vor dem Beginn des Terrors, die schon schrecklich genug waren: ins Jahr 1974, als sich die argentinische Demokratie langsam aufzulösen begann.
Wie geht man mit einer traumatischen Vergangenheit um? Ist es besser, weiter nach Ursachen zu suchen, in Archiven zu stöbern, oder sollte man lieber vergessen, nach vorne schauen, verlorene Zeit wieder aufholen? Der pensionierte Justizbeamte Benjamín Esposito versucht, die Gespenster der Vergangenheit zu vertreiben, indem er einen Roman über einen unaufgeklärten Mord zu schreiben beginnt. Es geht darin um den Fall Morales, bei dem vermutlich ein Unschuldiger ums Leben kam. Als damaliger Ermittlungsbeamter hat Esposito die Bilder noch klar vor Augen: eine vergewaltigte nackte Frau, tot und mit dem Messer verstümmelt, die Verzweiflung des Ehemannes. Er erinnert sich an die merkwürdige Langsamkeit der Behörden. Auch 25 Jahre später stößt er auf eine Mauer des Schweigens. Bei der Recherche wird er sich auch eigener Versäumnisse aus jener Zeit bewusst, als der Staatsterror in den letzten Regierungsmonaten von Isabel Perón anhob. Denn der Fall Morales ist die Geschichte eines brutalen Mörders, der unter dem Schutz des argentinischen Geheimdienstes weiter mordete und mit staatlicher Genehmigung zum Henker wurde. Esposito knüpft auch wieder an die alte Liebe zu seiner Kollegin Irene an, die er damals wegen seines bedächtigen Zögerns verlor. Ein Vierteljahrhundert später steht die noch immer attraktive Untersuchungsrichterin seiner Recherche zunächst sehr skeptisch gegenüber. Am Ende muss sich Esposito der Frage stellen, ob er das Recht selbst in seine Hände nehmen darf.
„In ihren Augen“ ist ein politisches Drama mit Thrillerelementen im „Film noir“-Stil. Spannend und unterhaltsam nähert sich Campanella elementaren Themen wie Justiz und Gerechtigkeit. Im Zentrum steht die Frage nach der Aufarbeitung der Vergangenheit, der Kampf gegen die „impunidad“, die Straflosigkeit für die Mörder, die die argentinische Gesellschaft bis heute beschäftigt. Der überzeugende Ausstattungsfilm lebt von Rückblenden, von Sprüngen zwischen der Gegenwart und der Vergangenheit. Für deren Glaubwürdigkeit sorgt neben den Maskenbildnern auch das hervorragende Darstellerensemble, angeführt von Ricardo Darín. Als schwerfälliger Idealist kämpft er sich auf der Suche nach dem Recht durch das Dickicht der Erinnerungen, Halbwahrheiten und Verschleierungen.