„Easy Virtue“ ist eines der unbekannteren Theaterstücke von Noel Coward, 1924 geschrieben, als der Autor gerade einmal 23 Jahre alt wahr. Cineasten kennen vielleicht den Stummfilm von Hitchcock, der allerdings nur sehr selten zu sehen ist. Coward legt in „Easy Virtue“ die Doppelmoral der englischen High Society zu Beginn der 1920er-Jahre bloß und thematisiert sexuelle Frustration, Schuld und Rache. Die alten Sicherheiten des Viktorianischen Zeitalters waren durch den Ersten Weltkrieg zerstört, das Jazz Age kündigte sich an. Regisseur Stephan Elliott erweist Coward und dem Stück seine Reverenz, indem er durch einen sich öffnenden schweren roten Vorhang den Blick auf die Leinwand freigibt. Es beginnt als Stummfilm in Schwarz-Weiß. John Whittaker, ein junger Engländer aus reichem Haus, verliebt sich in Monte Carlo in Larita, eine attraktive, selbstbewusste und glamouröse Amerikanerin, die soeben als Rennfahrerin den Grand Prix von Monaco gewonnen hat. Dieser Einbruch in eine Männerdomäne, der auch heute noch Aufsehen erregen würde, macht sie noch anziehender und unwiderstehlicher; Larita strahlt von Beginn an eine kämpferische Dominanz aus. Sie ist eine Abenteuerin, vielleicht auf der Flucht vor etwas, doch unabhängig und dem Leben zugewandt. John heiratet sie kurz entschlossen, vielleicht sogar übereilt, und kehrt mit ihr auf den Landsitz seiner Eltern nach England zurück. Mrs. Whittaker begegnet ihrer neuen Schwiegertochter mit unverhohlener Feindschaft und stellt zahlreiche Fettnäpfchen für sie auf, von der selbst zu kochenden Mahlzeit bis zur erzwungenen Teilnahme an einer Fuchsjagd.
Larita durchschaut rasch die Strategie ihrer Schwiegermutter. Fortan setzt die junge Frau alles daran, ihre Ehe nicht torpedieren zu lassen. Trotz aller Sticheleien bleibt sie auffallend ruhig und findet immer wieder den Mut für freche, mitunter überraschend-amüsante Gegenangriffe. Doch Mrs. Whittakers Gift wirkt schleichend: John und Larita entfernen sich immer mehr von einander. Dann kommt auch noch ein Geheimnis aus Laritas Vergangenheit ans Licht.
Amerikanische Lockerheit gegen englische Zugeknöpftheit, Abenteuerlust gegen „Comme il faut“, Moderne gegen Tradition – Elliott, der auch am Drehbuch mitwirkte, lässt die Gegensätze etwas zu aufgesetzt aufeinander prallen. Mit seinen Themen vom sozialen Wandel und den Anspielungen auf kulturelle und gesellschaftliche Unterschiede erscheint „Easy Virtue“ wie ein komplementäres Gegenstück zu „Wiedersehen mit Brideshead“
(fd 38 998), in dem ein junger Maler aus einfachen Verhältnissen in die britische Upper Class gerät. „Easy Virtue“ ist allerdings nicht als Drama, sondern als „comedy of manners“ angelegt. Im detailfreudig ausgestatteten Ambiente, dessen schwere, gediegene Möbel von längst vergangenen Zeiten zeugen, liefern sich die Beteiligten geschliffene Wortduelle, deren lakonisch-böser Humor mehr verletzt als alle Taten. „Dies ist die Fortsetzung des Krieges mit anderen Waffen“, heißt es einmal. Manchmal gibt sich Elliott stilistisch zu ambitioniert: Da spiegeln sich Gesichter in Sonnenbrillen, einmal ist Kristin Scott Thomas nach einem gewonnenen Schlagabtausch in einer blankpolierten Billardkugel zu sehen, die sie dann geschickt und mit Verve wegstößt. Trotzdem überzeugt der Film als bissiges Porträt einer Gesellschaft, die die Veränderungen zwischen den beiden Weltkriegen am liebsten ignorieren würde. Als besonderen Kontrapunkt setzt der Regisseur den Soundtrack ein. Neben zeitgenössischen Klassikern von Cole Porter gibt es auch modernen Pop wie Rose Royces „Car Wash“, Billy Oceans „When The Going Gets Tough, The Tough Get Going“ und Tom Jones „Sex Bomb“, die jedoch ganz im Stil der 1920er-Jahre umarrangiert wurden. Eine lockere Brücke zur Moderne, irgendwo angesiedelt zwischen Anachronismus und Überraschung.
Die interessanteste Figur des Films ist Mr. Whittacker, dargestellt von Colin Firth. Ein Bonvivant, der aus dem Krieg als desillusionierter, antriebsloser Mann zurückkehrt, weil er an der Front in Frankreich Schuld auf sich geladen hat. Ein Angehöriger der „Lost Generation“, dessen Verzweiflung im strengen Gegensatz zur Lebensfreude des Jazz Age steht. Die eigentliche Überraschung des Films ist allerdings Jessica Biel, die man bislang eher als Actionheldin kannte. In „Easy Virtue“ überzeugt sie als schöne junge Frau, die durch gefährlichen Rennsport zwar ein Trauma zu kompensieren versucht, sich aber mit Natürlichkeit, Humor und Schlagfertigkeit zu behaupten weiß. In den Charleston-Kleidern fühlt sie sich sichtlich wohl.