Drama | Türkei/Deutschland 2008 | 105 Minuten

Regie: Özcan Alper

Ein wegen seines sozialistischen Engagements zehn Jahre lang inhaftierter Polit-Aktivist kehrt krank in sein Heimatdorf im Hinterland der Schwarzmeerküste zurück. Vor dem Hintergrund einer veränderten Weltordnung und seines nahenden Todes kann er sich nur schwer einfügen und bleibt ebenso verschlossen wie vereinsamt. Der Film entwickelt sich behutsam und psychologisch glaubwürdig als eine Reise ins Innere, wobei sich die Beziehung zwischen Individuum und beeindruckender Landschaft bildstark zur Sinnfrage verdichtet. (Teils O.m.d.U.) - Sehenswert ab 14.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Originaltitel
SONBAHAR
Produktionsland
Türkei/Deutschland
Produktionsjahr
2008
Produktionsfirma
Kuzey Film/Filmfabrik
Regie
Özcan Alper
Buch
Özcan Alper
Kamera
Feza Çaldıran
Musik
Yuri Rydahencko · Ayssenur Kolivar · Sumru Agiryürüyen
Schnitt
Thomas Balkenhol
Darsteller
Onur Saylak (Yusuf) · Raife Yenigül (Gülefer) · Megi Kobaladse (Eka) · Serkan Keskin (Mikail) · Nino Lejava (Maria)
Länge
105 Minuten
Kinostart
13.05.2010
Fsk
ab 6; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Drama
Externe Links
IMDb | TMDB

Diskussion
Nach zehn Jahren Haft kehrt Yusuf, der als 22-jähriger Student wegen seiner politischen Aktivitäten verhaftet wurde, in sein Heimatdorf in der Nordosttürkei zurück. Dort ist nichts mehr, wie es vorher war: Der Vater ist gestorben, die Mutter krank, und die meisten Freunde haben den abgelegenen Ort Richtung Stadt verlassen. Yusuf leidet an Lungenkrebs, er wird nicht mehr lange zu leben haben. Der türkische Regisseur Özcan Alper nutzt in seinem ersten Spielfilm die Kulisse der bis zu 3.000 Meter hohen Berge an der Schwarzmeerküste für eine bildstarke Reflexion der Sinnfrage. Wenn sein Protagonist aus dem Haus tritt, schweift der Blick über die dicht bewaldeten Hänge eines mächtigen Tals, das satte Grün der Natur harmoniert mit dem dichten Blau des Himmels, wenn Regen, Wolken und Schnee gerade mal nicht die Sicht versperren. Yusuf schafft es nicht, hier wieder Fuß zu fassen. Er macht sich ein letztes Mal zusammen mit seinem Jugendfreund Mikail auf den Weg zu den Almhütten in den Kaçkar-Bergen. Genauso wie Yusufs Mutter will auch Mikail dort weitermachen, wo das gemeinsame Leben vor zehn Jahren unterbrochen wurde. Doch die Seelenlandschaft des zurückgekehrten Freundes präsentiert sich ähnlich nebelverhangen wie das Gebirge – verschlossen und vereinsamt. „Herbst“ nimmt den Zuschauer mit auf eine Reise in eine Welt, in der die Natur den Rhythmus des Lebens vorgibt und der Mensch klein wird angesichts der hoch aufragenden Wellenberge, die sich an den Schiffsanlegern des Schwarzen Meeres brechen, der majestätischen Gipfelketten und tiefen Täler des Hinterlands. Doch hier geht es nicht um naturmystischen Pathos. Eher spröde als elegisch protokolliert Alper den Rückzug seines Protagonisten, fragt nach dessen politischer und regionaler Identität und denkt damit ganz nebenbei über die weltpolitische Wende des Jahres 1989 nach. Yusuf wurde 1987 wegen seines Engagements für den Sozialismus verhaftet, seine Freundin Eka, die er in der Stadt an der Küste kennen lernt, stammt aus Georgien. Als ehemalige Sowjetbürgerin kann sie Yusufs großer politischer Idee nur wenig abgewinnen. Weil sie in ihrer vom Bürgerkrieg versehrten Heimat keine Arbeit mehr fand, arbeitet sie nun im Nachbarland als Prostituierte. Alper zieht, an der türkisch-georgischen Grenze, einer der ehemaligen Nahtstellen des Eisernen Vorhangs, seine persönliche Bilanz aus den Umbrüchen der 1990er-Jahre: Was bleibt nach dem politischen Engagement, wenn sich die Weltordnung verschiebt? Die politischen Veränderungen vollziehen sich hier ebenso im Schatten der Natur wie die Genese der Persönlichkeiten. Bei der Erörterung der Sinnfragen geht die Inszenierung behutsam vor, legt großen Wert auf die Psychologie des Protagonisten. Eine Reise ins innere Ich, dessen filmische Umsetzung souverän eine der Stärken des türkischen Autorenkinos ausspielt: die Beziehung zwischen Individuum und Landschaft.
Kommentar verfassen

Kommentieren