Dokumentarfilm | Deutschland 2008 | 98 Minuten

Regie: Tamara Trampe

Dokumentarfilm über Schlaflieder, festgemacht an in Berlin gesammelten Impressionen und Gesprächen. Während die sich dabei eröffnenden Einblicke in verschiedene kulturelle Varianten und Kontexte durchaus interessant sind, leidet der Film insgesamt an der Überfrachtung mit darüber hinaus gehenden Problemfeldern. Außerdem stören die konzeptlose Fokussierung auf ästhetisch reizvolle, aber ohne sichtlichen Zusammenhang zum Inhalt auf Dauer ermüdende Bildmotive sowie die Respektlosigkeit, mit der die allzu offensiv agierenden Filmemacher ihren Interviewpartnern Aussagen abtrotzen. - Ab 14.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2008
Produktionsfirma
Zero One Film/ZDF/arte
Regie
Tamara Trampe · Johann Feindt
Buch
Tamara Trampe · Johann Feindt
Kamera
Johann Feindt · Jule Cramer
Musik
Helmut Oehring
Schnitt
Stephan Krumbiegel
Länge
98 Minuten
Kinostart
25.02.2010
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Dokumentarfilm
Externe Links
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Diskussion
Was Mutter oder Vater einst am Kinderbett sangen, um den Nachwuchs in den Schlaf zu wiegen: das drängt sich als Thema eines Dokumentarfilms nicht gerade auf. Dass es trotzdem funktionieren könnte, lässt sich dem Film „Wiegenlieder“ durchaus entnehmen, allerdings nur in wenigen Szenen, die die ethnografische Vielfalt von Schlafweisen und deren jeweiligen kulturellen Hintergrund erahnen lassen. Die gezielte Konzentration auf diesen Aspekt wäre die erwartbare und womöglich auch ergiebigste Herangehensweise gewesen. Tamara Trampe und Johann Feindt versuchen sich stattdessen jedoch an einem poetisch überhöhten Filmessay über die Kindheit in all ihren Facetten, der sich zur thematisch weitgreifenden Skizze über Identitätssuche, Heimatlosigkeit, Kriegstraumata oder Gehörlosigkeit weitet – und dabei unter der Last seiner Inhalte und dem unbedingten Willen zur Atmosphäre in Beliebigkeit und Kunstgewerbe versinkt. Was umso erstaunlicher ist, als das eingespielte Autorenteam mit politisch-gesellschaftlichen Dokumentarfilmen wie „Weiße Raben – Albtraum Tschetschenien“ (fd 37 308) und „Der schwarze Kasten“ gezeigt hat, dass es die Kunst der dokumentarischen Annäherung beherrscht. Das oberflächlich betrachtet „softe“ Thema Wiegenlieder aber bekommen die Filmemacher nicht in den Griff, was neben dem allzu offenen Konzept vor allem an der unangenehm suggestiven Fragetechnik Trampes und dem exzessiven Einsatz allzu bedeutungsvoller Berlin-Aufnahmen liegt. Denn „Wiegenlieder“ will nicht nur ein Film über Kindheitserinnerungen, sondern auch eine Liebeserklärung an Berlin sein. Dabei gelingt dem Kamera-Duo Johann Feindt und Jule Cramer manches Bild, das von der Kultur, der Urbanität und der Internationalität dieser Stadt erzählt, was eine zeitlang durchaus zu fesseln vermag. Allerdings entpuppen sich viele Motive auf Dauer als reine Oberflächenreize, die ins Leere laufen: der transparente Plastikkubus etwa, dem die Kamera mal an diese, mal an jene Berliner Ecke folgt oder die ausführlich ins Bild gesetzten Menschengruppen vor Fotoautomaten. Das hohe atmosphärische Potenzial, über das „Wiegenlieder“ auf visueller wie akustischer Ebene verfügt, wird durch solche Manierismen nachhaltig beschädigt. Auch im Gespräch mit den Protagonisten, einem Komponisten aus taubstummem Elternhaus, einem auf die schiefe Bahn geratenen jungen Vater oder einem bei lieblosen Pflegeeltern aufgewachsenen Ostberliner, stört, was bei „Weiße Raben“ und „Der schwarze Kasten“ gerade so gelobt wurde: dass sich die Filmemacher selbst massiv einbringen. Mit teils geradezu maßregelnder Dominanz tritt Tamara Trampe hier auf. Ihre Gesprächsführung wirkt mitunter sogar gefährlich manipulativ, wenn sie einen durch Kindheitserfahrungen traumatisierten, völlig labilen, kurz vor dem emotionalen Zusammenbruch stehenden Protagonisten auf die von ihr vorgegebenen Stichworte wie Angst, Kindheit und Herz antworten lässt. Gerade im Umgang mit ihm, den man vor sich selbst hätte schützen müssen, anstatt sein großes Mitteilungsbedürfnis unter Zuhilfenahme verhaltenstherapeutischer Methoden für den Film auszuschlachten, zeigt sich ein frappanter Mangel an Respekt der Autoren gegenüber ihren Gesprächspartnern: statt sie geduldig „kommen zu lassen“, stülpen ihnen Trampe und Feindt ihre eigenen Erwartungen und Vorstellungen über. Interessant wird der Film meist dann, wenn in kurzen Schlaglichtern namenlos bleibende Berliner aus aller Herren Länder „ihre“ Wiegenlieder vortragen, die etwas über das jeweilige Herkunftsgebiet erzählen – etwa das erschütternde, offenbar aus Afrika stammende Lied „Mein Kind, mein liebes Kind, ich halte dich fest. Wenn du nicht stirbst, kaufe ich dir ein Kleid, wenn du nicht stirbst, kaufe ich dir Schuhe, wenn du nicht stirbst, kaufe ich dir Schmuck.“ Schade, dass sich der Film nicht stärker in diese Richtung auf Spurensuche begeben hat. So bleibt von „Wiegenlieder“, neben ethnographischen Mini-Einblicken in die Kultur der Schlafweise, wenig mehr als interessante Protagonisten sowie die ein oder andere stimmungsvolle Bild-Ton-Collage.
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