Drama | Norwegen 2008 | 121 Minuten

Regie: Erik Poppe

Ein junger Mann hat als Teenager den Tod eines Kindes mitverschuldet. Nach seiner Haftentlassung versucht er, als Organist ein normales Leben zu beginnen, doch die Vergangenheit holt ihn in Gestalt der Mutter des toten Jungen wieder ein. Überzeugendes Psychodrama über den Umgang mit Schuld, das auf moralische Urteile über seine Figuren verzichtet. Trotz bedeutungsschwangerer Bilder und eines plakativen Showdowns gelingt dem Film durch die feinfühlige Inszenierung der Hauptfiguren ein berührender Einblick in das existenzielle Dilemma, in das die Gewalttat sowohl Täter als auch Hinterbliebene verstrickt. - Ab 16.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Originaltitel
DE USYNLIGE
Produktionsland
Norwegen
Produktionsjahr
2008
Produktionsfirma
Paradox Spiellefilm
Regie
Erik Poppe
Buch
Harald Rosenløw-Eeg
Kamera
John Christian Rosenlund
Musik
Johan Söderqvist
Schnitt
Einar Egeland
Darsteller
Pål Sverre Valheim Hagen (Jan Thomas) · Trine Dyrholm (Agnes) · Ellen Dorrit Petersen (Anna) · Fredrik Grøndahl (Jens) · Trond Espen Seim (Jon M)
Länge
121 Minuten
Kinostart
18.03.2010
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Drama
Externe Links
IMDb | TMDB

Heimkino

Verleih DVD
Kool (16:9, 2.35:1, DD2.0 norw., DD5.1 dt.)
DVD kaufen

Diskussion
Im Taufbecken, im Schwimmbecken, unter der Dusche, als Regen, als reißender Bach, als Musikstück: Wasser ist im dritten Spielfilm des norwegischen Regisseurs Erik Poppe auch über den Filmtitel hinaus allgegenwärtig; reinigend, beseelend, befreiend, bedrohlich. Als Leitsymbol oder als das, was Paul Heyse in seiner Novellentheorie als „Falken“ bezeichnete, gibt es dem „Unsichtbaren“, von dem der norwegische Originaltitel spricht, eine konkrete Gestalt, ohne es aber festzulegen. Wasser ist flüchtig, kaum greifbar, auch metaphorisch äußerst vieldeutig. An diesem sinnbildlichen Ort begegnen sich in „Troubled Water“ Leben und Tod. Als Jugendlicher entführte Jan Thomas zusammen mit einem Gleichaltrigen einen kleinen Jungen in einem Kinderwagen. Wenig später wird der Kleine tot aus einem Bach gefischt. Jan landet im Jugendarrest. Was genau sich damals ereignete, erfährt man lange nicht. Acht Jahre danach beginnt der eigentliche Film. Jan, der in der Gefängniskapelle Orgel spielen lernte, kommt als Organist in einer kleinen Kirche unter. Der schweigsame junge Mann, der sich mittlerweile nur noch Thomas nennt, rührt mit seinem aufwühlenden Spiel und besonders seiner mitreißenden Simon & Garfunkel-Interpretation von „Bridge Over Troubled Water“ nicht nur die Gemeinde zu Tränen, sondern spielt sich auch ins Herz der jungen Gemeindepfarrerin Anna. Beide verlieben sich ineinander. Auch von Thomas’ verbitterten Gotteszweifeln lässt sich Anna nicht abschrecken. Einen zweifelnden Thomas gab es schließlich schon in der Bibel. Doch so einfach wird Thomas seine Vergangenheit nicht los. Anna ist eine alleinerziehende Mutter, ihr Sohn sieht dem Jungen, den Jan damals entführte, zum Verwechseln ähnlich. Dann taucht auch noch Agnes, die Mutter des toten Jungen, in Thomas’ Kirche auf und erkennt in dem Organisten den Mörder ihres Kindes. Während Agnes nun endlich wissen möchte, was an jenem Tag wirklich passierte, ist Thomas nicht bereit, sich der Vergangenheit zu stellen, ehe er von Agnes gewaltsam dazu gezwungen wird. Bis zu diesem sehr dick aufgetragenen, unglaubwürdig inszenierten und allzu plakativen Showdown hat der Film seine schwächsten Momente immer dann, wenn er seinen „Falken“ überstrapaziert, indem er etwa Agnes mehrfach in übertriebener Symbolik ins Schwimmbad schickt und bedeutungsschwanger unter Wasser tauchen lässt. An solchen Stellen treibt der ansonsten still-poetische Film kitschige Blüten. Sie bleiben aber zum Glück seltene Ausnahmen. Am stärksten ist „Troubled Water“ dagegen, wenn er das „Unsichtbare“ auch so belässt, zwischen den Zeilen, zwischen den Frames allenfalls erahnbar macht. Es ist dann vor allem das wunderbar melancholische Spiel von Pål Sverre Valheim Hagen, das dem Film den nötigen Tiefgang verleiht. In seinem Gesicht ertastet die auf sanfte Weise intime Kamera das Spannungsfeld von Schuld und Sühne, Erinnern und Vergessen. Ohne zu moralisieren oder einseitig Partei zu ergreifen, lotet der Film die widersprüchlichen Perspektiven von Tätern und Opfern aus und wirft dabei grundsätzliche Fragen auf nach dem Umgang mit Schuld und Verbrechen, nach Gut und Böse. Trine Dyrholm, die zuletzt in „Little Soldier“ zum Overacting tendierte, trifft als verzweifelte und in der Konfrontation mit Thomas zunächst hilflos überforderte Mutter meist den richtigen Ton. Zwischen Agnes, die endlich wissen will, was mit ihrem kleinen Söhnchen damals wirklich geschah, und Thomas, der endlich die Vergangenheit hinter sich lassen und ein kleines Glück finden will, fühlt man sich als Zuschauer lange hin und her gerissen, weil Poppe für Agnes und Thomas gleichermaßen Verständnis zeigt. In dieser quälenden moralischen Verunsicherung liegt die größte Stärke dieses tiefgründigen und einfühlsamen Psychodramas. Die Irritation, die davon ausgeht, ist so nachhaltig, dass sie auch die aufgesetzte kathartische Schlusssynthese des Films noch lange überdauert.
Kommentar verfassen

Kommentieren