Ein alternder Misanthrop gerät an eine naive Landpomeranze, die sein Leben gründlich umkrempelt. Für ihn wie für diverse andere Figuren eröffnet sich im Schmelztiegel New York eine unerwartete Chance auf Glück. Zurückhaltend inszenierte und ganz auf temporeichen Dialogwitz sowie lustvoll überzeichnete Charaktere setzende Komödie von Woody Allen, der im Rekurs auf seine Klassiker wie "Der Stadtneurotiker" beim Streifzug durch den urbanen Gefühlsdschungel den Pessimismus seiner Hauptfigur auf die Schippe nimmt und in der pragmatisch-positiven Philosophie des "Whatever Works" auflöst.
- Ab 14.
Whatever Works - Liebe sich wer kann
Komödie | USA/Frankreich 2009 | 92 Minuten
Regie: Woody Allen
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Filmdaten
- Originaltitel
- WHATEVER WORKS
- Produktionsland
- USA/Frankreich
- Produktionsjahr
- 2009
- Produktionsfirma
- Perdido Prod./Wild Bunch/Gravier Prod.
- Regie
- Woody Allen
- Buch
- Woody Allen
- Kamera
- Harris Savides
- Schnitt
- Alisa Lepselter
- Darsteller
- Larry David (Boris) · Evan Rachel Wood (Melody) · Patricia Clarkson (Marietta) · Ed Begley jr. (John) · Conleth Hill (Leo)
- Länge
- 92 Minuten
- Kinostart
- -
- Fsk
- ab 12; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 14.
- Genre
- Komödie
- Externe Links
- IMDb | TMDB | JustWatch
Diskussion
„Das Grauen, das Grauen“, brüllt er vor sich hin, als hätte er ins „Herz der Finsternis“ geblickt; rast die Stufen der schicken Maisonette-Wohnung hinunter und malträtiert seine Frau mit der Angst vor dem nicht gerade jetzt, aber doch auf jeden Fall irgendwann eintretenden Tod. Sie selbst sei zu schön, zu brillant, die Ehe nur aus rationalen Gründen geschlossen. Dann springt das selbst ernannte Genie Boris Yellnikoff kurzerhand aus dem Fenster. Man befindet sich mitten in der suizidalen Panikattacke einer Woody-Allen-Figur, wie sie im (Dreh-)Buch steht. Allen lässt den „Stadtneurotiker“ (fd 20 385) wiederauferstehen, und zwar dort, wo er sich selbst immer am heimischsten fühlte: in New York. Kein Wunder, schließlich entstand die Figur Yellnikoff ungefähr zur selben Zeit wie der stadtneurotische Alvy Singer – sie könnten Brüder sein, zumindest aber Nachbarn. Dann verschwand das Skript für 30 Jahre in der Schublade, um nun wieder aufzutauchen – zum Vergnügen eines Publikums, das von Allens schrulligem Alter Ego, seinem mitreißenden Dialogwitz und der fiesen Lust an der Überzeichnung einmal mehr mitgerissen wird.
Seine 40. Regiearbeit ist ein inszenatorisch tiefstapelnder Film mit nicht sonderlich tiefgründigen Zutaten; dennoch ruft sie einem in Erinnerung, wie leichthändig der 74-Jährige im eigens kreierten Genre der intellektuellen Selbstzerfleischungskomödie nach wie vor seine Vorherrschaft behauptet.
Sein Boris gibt den Misanthrop und zynischen Katastrophen-Analytiker, gebeutelt von einem ganz ordentlichen Päckchen Psychosen. Kein angenehmer Zeitgenosse, der zu Beginn einer gemütlich schwadronierenden Männerrunde offenbart, dass sie gerade von einer Reihe Zuschauer beobachtet wird, denen für ihr teures Kinoticket endlich was geboten werden müsse. Also humpelt Boris mit dem lahmen Bein, das er seit dem „missglückten“ Selbstmord mit sich herumschleppt, in Richtung Kamera, durchbricht die „vierte Wand“ und reicht dem Zuschauer ein narratives Sahnehäubchen aus seinem Martyrium namens Leben, das am besten die einfache Philosophie des „Whatever Works“ illustriert. Frei übersetzt: „Jeder, wie er lustig ist“, und das bezieht sich bei Allen natürlich größtenteils auf die Sexualität. Dabei fing alles so platonisch an: Der fast schon kahle Frührentner Boris beherbergt nur widerwillig eine unter Zeitungen frierende und hungernde junge Ausreißerin in seinem heruntergekommenen Apartment. Auf seiner 10er-Schönheits-Skala belegt Melody St. Ann Celestine aus Mississippi eine gute 5 oder (gebadet) eine knappe 6. Er reicht ihr eine Büchse Sardinen, überzieht sie mit unverstandenen, ins Leere schneidenden Sarkasmen, „durchleidet“ für sie eine Stadtführung und implantiert in ihren alles aufsaugenden Geist einige nihilistische Lebensweisheiten. Eines Abends verleiht er ihr im Philosophen-Freundeskreis dann doch eine 8 und hat schon bald den Ehering am Finger. „Ist es denn zu glauben, dass ich sie wirklich geheiratet habe?“, fragt er mit entschuldigendem Lächeln.
Wie so vieles in Boris’ zunehmend surrealer anmutenden Erzählungen entbehrt diese Ehe jeglicher Rationalität, um dem allmächtigen „Whatever Works“ zu huldigen. Melody ist das Gegenteil von Boris’ brillanter Ex-Frau: eine ehemalige Schönheitskönigin, jung, blond, naiv bis zur Doofheit, leicht beeinflussbar und mit religiös verbrämtem elterlichen Background, der irgendwann gar nicht so hintergründig an Boris’ Tür klopft. Betrogene Hausmütterchen vom Lande werden daraufhin in der „Stadt der Städte“ zu schwarz gekleideten Künstler-Sirenen, die sich in eine befreiende, aber immer noch falsch ausgesprochene „Ménage à trois“ stürzen. Der Waffenlobby angehörende, untreue Ehemänner entdecken ihre Homosexualität beim Gespräch mit der Bar-Bekanntschaft über Gott – den begnadeten Dekorateur. Und das alles in einem schlichten Innen-Setting, in dem die Kamera, als wenn sie verloren vor sich hinträumte, einfach auf den Gesichtern der schockierten Figuren hängen bleibt, während sich vor deren Augen die dramatischsten Szenen abspielen. Bei der Interaktion nämlich gilt das „Mehr ist mehr“. Alles ist erlaubt, solange es die Figuren beziehungsweise den Zuschauer glücklich macht. Das ist Allens zeitlose und doch zeitgenössische Kunst, mittels sich selbst therapierender Charaktere aberwitzig und zugleich leicht melancholisch gegen die Schwere des Lebens anzugehen – so ganz ernst nimmt er sich oder seine neurotischen Stellvertreter dabei natürlich nicht. Augenzwinkernd mokiert sich Allen über das Flüchten in gesellschaftliche Nischen, in Religion, Kunst, in Beziehungen und Sex, und erschafft dabei doch selbst die schönste Ablenkung. Im fast schon altersweise versöhnlichen Happy End führt dann doch nur eine Quintessenz zum Glück, gegen das zuvor gewettert wurde und von dem Allens Figuren nie loslassen: dem zur Psychose oder zum Intelligenzquotienten passenden und vom Zufallsprinzip bereit gestellten Partner. Auch wenn der vier Arme und zwei Nasen oder dieselben Geschlechtsmerkmale besitzt.
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