Ein Zimmermädchen lernt einen Wachmann kennen und schätzen, doch ein gewaltsamer Überfall sabotiert das neue Glück. Für die junge Frau beginnt ein nicht enden wollender Albtraum aus Trauer und Verunsicherung. Raffinierter Psychothriller, der geschickt erzählerische Haken schlägt und in hitchcockscher
Manier ein Spannungsszenario entfaltet, in dem bei Protagonisten wie Zuschauern das Zutrauen in andere Figuren wie auch die Solidität der eigenen Wahrnehmung erschüttert wird. Der Film vereint harmonisch Krimi-Elemente, melancholische Liebesgeschichte sowie Mystery-Ankläge und überzeugt besonders durch die hervorragende Hauptdarstellerin.
- Ab 14.
Die doppelte Stunde
Psychothriller | Italien 2009 | 102 Minuten
Regie: Giuseppe Capotondi
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Filmdaten
- Originaltitel
- LA DOPPIA ORA
- Produktionsland
- Italien
- Produktionsjahr
- 2009
- Produktionsfirma
- Indigo Film/Medusa Film/Mercurio Cinematografica
- Regie
- Giuseppe Capotondi
- Buch
- Alessandro Fabbri · Ludovica Rampoldi · Stefano Sardo
- Kamera
- Tat Radcliffe
- Musik
- Pasquale Catalano
- Schnitt
- Guido Notari
- Darsteller
- Ksenia Rappoport (Sonia) · Filippo Timi (Guido) · Antonia Truppo (Margherita) · Gaetano Bruno (Riccardo) · Fausto Russo Alesi (Bruno)
- Länge
- 102 Minuten
- Kinostart
- 19.05.2011
- Fsk
- ab 12; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 14.
- Genre
- Psychothriller
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Heimkino
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Ein Zimmermädchen kommt in ein Hotelzimmer und möchte sauber machen. Die Bewohnerin, eine junge Frau, ist noch da; sie bittet die Hotelangestellte herein. Zuerst soll das Bad geputzt werden. Während das Zimmermädchen seine Gummihandschuhe überzieht und zu schrubben anfängt, hört es aus dem Zimmer nebenan ein alarmierendes Geräusch. Als sie nachschaut, steht das Fenster offen; mehrere Stockwerke tiefer liegt der tote Körper der jungen Frau auf dem Asphalt. Offensichtlich hat sie Selbstmord begangen.
Von Anfang an schafft Regisseur Giuseppe Capotondi in seinem raffinierten Psychothriller eine Atmosphäre latenter Verunsicherung und konfrontiert seine Protagonistin, aber auch die Zuschauer mit Bildern und Ereignissen, die sie nicht richtig einordnen können. Der Titel „Die doppelte Stunde“ bezieht sich auf die Doppelung der Ziffern auf dem Display von Digitaluhren: Wenn man den Moment erwischt, wo Stunden- und Minutenanzeigen identisch sind – um 23:23 oder 5:05 –, darf man sich laut einer der Hauptfiguren des Films etwas wünschen: ein kleines, irrationales Spiel mit den Mächten des Schicksals, das gleichwohl bezeichnend ist für den Einbruch von etwas Numinosem. Was ist Schicksal, was Zufall, was Teil eines Plans, was Einbildung? Der Selbstmord, mit dem Capotondi seinen Film eröffnet, bleibt als ungelöstes Rätsel stehen – Fragment eines Lebens bzw. eines Lebensendes, das man nicht deuten kann. Das Fragmentarische, Brüchige ist ein zentrales Mittel seiner Erzählung und Spannungsdramaturgie: Stück für Stück werden die Facetten zweier Leben eröffnet, die man zu Bildern zusammen setzt, welche sich bisweilen aber als trügerisch entpuppen, weshalb man sie verwerfen und neu überdenken muss. Im Mittelpunkt dieses unheimlichen Vexierspiels steht das Zimmermädchen Sonia, das eigentlich aus Slowenien stammt, länger durch Italien mäanderte und nun in Turin lebt, wo die junge Frau ihr Geld im Hotel verdient. Beim Speed-Dating lernt sie Guido kennen, einen Witwer und ehemaligen Polizisten, der jetzt als Wachmann arbeitet. Die beiden verabreden sich zu gemeinsamen Unternehmungen, eine neue Liebe entsteht. Als Guido Sonia zu der luxuriösen Villa mitnimmt, die er bewacht, soll das ein romantischer Höhepunkt sein, doch das zum Greifen nahe Glück wird im Keim erstickt: Als Guido die Alarmanlagen ausschaltet, um mit seiner Liebsten in den Wäldern des Anwesens spazieren zu gehen, dringen maskierte Männer ein und rauben die Villa aus. Guido und Sonia werden gefangen und gefesselt. Als einer der Männer Sonia belästigt, wirft Guido sich dazwischen; prompt wird auf ihn geschossen. Schwärze senkt sich herab. Sonia überlebt die Tragödie, doch es gelingt ihr nicht mehr, in ihrem alten Leben Fuß zu fassen: Die Erinnerung an Guido lässt sich nicht abschütteln; mehr und mehr nimmt ihre Realität albtraumhafte Züge an. Dass ein alter Kollege Guidos sie verdächtigt, bei dem Überfall die Hände im Spiel gehabt zu haben, setzt Sonia zusätzlich unter Druck.
In bester Hitchcock-Manier hält Capotondi Zuschauer und Figuren damit in Atmen, dass er sie immer wieder spüren lässt, wie unzuverlässig die erzählte Realität ist: Wie weit kann man den Menschen/Figuren trauen, denen man nahe zu kommen glaubt, obwohl man von ihrer Persönlichkeit doch nur einen kleinen Ausschnitt sieht? Und: Inwieweit kann Sonia eigentlich ihrer eigenen Wahrnehmung trauen? Dass dieses Spiel zwischen psychologischem Krimi, melancholischer Liebesgeschichte und Mystery so gut gelingt, liegt vor allem an Capotondis geschicktem Verwalten der Informationen und Indizien, Andeutungen und Ahnungen, aber auch am beeindruckenden Spiel von Ksenia Rappaport, die für ihre Darbietung 2010 in Venedig mit dem Darstellerinnenpreis ausgezeichnet wurde. Sie bewältigt das Kunststück, als zentrale Identifikationsfigur, deren Perspektive man über weite Strecken teilt, die Anteilnahme des Zuschauers zu fesseln, sich andererseits aber nie zu tief in die Karten schauen zu lassen und eine gewisse Undurchschaubarkeit zu wahren, um das Gespinst aus Unsicherheiten, Zweifeln und Hoffnungen nicht vorschnell zu zerreißen. Dank ihrer Schauspielkunst ist „Die doppelte Stunde“ ein mustergültiger Genrefilm für Liebhaber anspruchsvollen Spannungskinos.
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