Ein junger Lehrer lässt sich von Prag in ein Dorf in der böhmischen Provinz versetzen. Dort freundet er sich mit einer Bäuerin an, die eine gescheiterte Ehe hinter sich hat. Während sie sich ihn verliebt, entwickelt der stille Städter eine Neigung zu ihrem fast erwachsenen Sohn, der seinerseits unter dem Scheitern seiner Beziehung zu einer Gleichaltrigen leidet. Sensibel-zurückhaltendes Drama um die Sehnsucht nach Liebe und den Schmerz der Zurückweisung, spannungsreich gespiegelt in großartigen Bildern der sommerlichen Landschaft und komödiantisch angelegten Nebenfiguren aus dem Dorfkosmos. Bei allem angesprochenen Leid wird die sorgfältig und ruhig entwickelte Erzählung von einer lebensbejahend hoffnungsvollen Haltung geprägt.
- Ab 16.
Der Dorflehrer
Drama | Tschechien/Deutschland/Frankreich 2008 | 120 Minuten
Regie: Bohdan Sláma
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Filmdaten
- Originaltitel
- VENKOVSKÝ UCITEL | COUNTRY TEACHER
- Produktionsland
- Tschechien/Deutschland/Frankreich
- Produktionsjahr
- 2008
- Produktionsfirma
- Negativ Film Prod./Pallas Film/Why Not Prod.
- Regie
- Bohdan Sláma
- Buch
- Bohdan Sláma
- Kamera
- Divis Marek
- Musik
- Vladimír Godár
- Schnitt
- Jan Danhel
- Darsteller
- Pavel Liska (der Dorflehrer) · Zuzana Bydzovská (Marie) · Ladislav Sedivý (Maries Sohn) · Tereza Vorísková (Beruska) · Milos Cernousek (Schuldirektor)
- Länge
- 120 Minuten
- Kinostart
- -
- Fsk
- ab 12; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 16.
- Genre
- Drama
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Diskussion
Im Zentrum steht ein sexueller Übergriff: Petr, der Dorflehrer, vergeht sich an seinem 18-jährigen Nachhilfeschüler, als der Junge nach einer von schmerzhaften Gefühlswirren und zu viel Alkohol umnebelten Party bei ihm übernachtet. Die Szene verfolgt in langen Einstellungen, wie Petr, der selbst keine Ruhe findet, ans Lager des schlafenden Jungen tritt und sich offensichtlich von dem Anblick nicht losreißen kann, schließlich seinen Kopf an die Schulter seines Schülers sinken lässt und beginnt, ihn anzufassen, bis seine Hand unter die Decke und zum Glied des Jungen wandert, dieser aufwacht und voller Abscheu und Wut die Flucht ergreift. So skandalös Petrs Handeln isoliert betrachtet erscheint: als Zuschauer von Bohdan Slámas Film wird man kaum den Stab über den Dorflehrer brechen wollen, hat man doch zuvor lange die untergründige Agonie verfolgt, mit der sich der 30-Jährige in ein emotionales Schneckenhaus verkapselt und versucht hat, sich in sich selbst, seine Bücher und seine Arbeit zurückzuziehen, bloß keinen unerwünschten Bedürfnissen Raum zu geben. Auch wenn das Petrs Übergriff nicht entschuldigt (was auch Petr selbst nicht tut, der die Tat später als Vergewaltigung charakterisiert), sorgt es doch dafür, dass man ihn vor allem als ebenso tragische wie hilflose Kapitulation vor der übermächtigen und nur allzu menschlichen Sehnsucht nach Liebe wahrnimmt, die das eigentliche Thema des Films ist.
Als Petr, den Pavel Liška mit scheuer Tapsigkeit und linkischer Melancholie verkörpert, zu Beginn in einem von sommerlichen Feldern und Wiesen umgebenen Dorf auftaucht, um Naturwissenschaften an der kleinen örtlichen Schule zu unterrichten, ahnt man bald, dass er seine Stelle an einem Prager Gymnasium und das Leben in der Hauptstadt nicht unbedingt aufgegeben hat, weil er sich nach der Beschaulichkeit des Landlebens sehnt, sondern dass er vor etwas wegläuft und nach einem neuen Anfang sucht. Seine Nachbarn und Kollegen sind gerne bereit, den Städter in ihre Gemeinschaft zu integrieren. Er lässt sich die Freundlichkeiten gefallen, wahrt aber eine gewisse Zurückhaltung – nicht zuletzt gegenüber der alleinstehenden Bäuerin Marie, die sich mit ihm anfreundet, sich aber offensichtlich noch mehr von der neuen Bekanntschaft erhofft. Ihr fast erwachsener Sohn wird Petrs Nachhilfeschüler, und während der Junge unter den Rissen in seiner Beziehung zu einer Gleichaltrigen leidet, entwickelt Petr für ihn jene Gefühle, die er bei Marie nicht erwidern kann.
Trotz des explosiven emotionalen Zündstoffs, der in dieser Konstellation steckt, entfaltet sich der Film weitgehend ohne dramaturgische Zuspitzungen; stattdessen gestatten sich Buch und Regie, sorgfältig die Lebenswelt der Charaktere zu erkunden. Da ist Zeit für die alltäglichen Arbeiten, für Ruhepausen, für Gespräche und Begegnungen am Rande. Geprägt ist „Der Dorflehrer“ von der ruhigen Schönheit des böhmischen Sommers, und die Heiterkeit des sinnlichen Ambientes aus in der Sonne trocknenden Heuhaufen, einem kleinen See und Wiesen, auf denen die Grillen zirpen, konterkariert zusammen mit komödiantisch angelegten Nebenfiguren aus dem Dorf-Kosmos das Drama, das sich zwischen den drei Hauptfiguren abspielt. Dieses speist sich, wie in Heinrich Heines Gedicht vom Jüngling, der ein Mädchen liebt, das einen anderen liebt etc., aus dem Schmerz unerwiderter Liebe, wobei Sláma jedoch nicht beim Brechen der Herzen stehen bleibt, sondern seine Figuren entdecken lässt, dass Liebe jenseits des großen Verlangens nach dem Einen oder der Einzigen sehr viele verschiedene Gesichter haben kann. Das eindrucksvollste davon gehört Zuzana Bydzovska als Marie. Zäh, agil und gezeichnet von den Spuren eines wechselvollen und harten Lebens, wird sie, ähnlich wie das junge Paar in Slámas „Die Jahreszeit des Glücks“ (fd 37 573), das sich der verlassenen Kinder einer depressiven Mutter annimmt, bei aller Verwurzelung im aufmerksam beobachteten kargen Bauernalltag zu einer Figur von fast utopischer innerer Stärke. Ihre Fähigkeit zu verzeihen und jenseits eigener Enttäuschungen das Leben und andere Menschen so anzunehmen, wie sie sind, sorgt letztlich dafür, dass aus alldem keine Tragödie wird. War Slámas vorheriger Film, auch wenn er das Glück im Titel trug, letztlich pessimistisch, was dessen Realisierbarkeit angeht, deutet sich hier an, dass Glück zumindest eine Option sein könnte. Zwar leiden die Figuren immer noch daran, dass familiäre und freundschaftliche Beziehungen nur bedingt Rückhalt und Wärme bieten, insgesamt erscheint der private wie vor allem auch der gesellschaftliche Rahmen, in dem sie sich bewegen, wesentlich weniger marode als dies noch in „Die Jahreszeit des Glücks“ der Fall war. Wenn das „Prinzip Hoffnung“ in der letzten Sequenz des Films vielleicht etwas zu plakativ heraufbeschworen wird, mindert das nur wenig die erzählerische Kraft und tiefe Menschlichkeit dieses berührenden , ruhig und sorgfältig entwickelten Films.
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