Die Jahreszeit des Glücks

Drama | Tschechien/Deutschland 2005 | 106 Minuten

Regie: Bohdan Sláma

Ein junger Mann lebt mit seiner Mutter auf einem schäbigen Bauernhof in Tschechien, eine junge Frau träumt von neuen Perspektiven in den USA. Als eine zweifache Mutter von ihrem reichen Freund verlassen und darauf in eine Heilanstalt eingeliefert wird, nehmen sich die beiden gemeinsam ihrer Kinder an, und kurzzeitig scheint die improvisierte Kleinfamilie eine Chance auf Glück zu haben. Pessimistisches, in kühlen Grau-Grün-Tönen und mit beweglicher Kamera fast aufdringlich veristisch gefilmtes Sozialdrama um die Schwierigkeiten der Glückssuche in einer maroden Gesellschaft.
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Filmdaten

Originaltitel
STESTI
Produktionsland
Tschechien/Deutschland
Produktionsjahr
2005
Produktionsfirma
Negativ/Pallas-Film/Ceská TV/ZDF/ARTE
Regie
Bohdan Sláma
Buch
Bohdan Sláma
Kamera
Divis Marek
Musik
Leonid Soybelman
Schnitt
Jan Danhel
Darsteller
Tatiana Vilhelmová (Monika) · Pavel Liska (Toník) · Anna Geislerová (Dása) · Marek Daniel (Jára) · Bolek Polívka (Herr Soucek)
Länge
106 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Genre
Drama
Externe Links
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Heimkino

Die Extras umfassen u.a. ein Feature mit im Film nicht verwendeten Szenen.

Verleih DVD
Neue Visionen (16:9, 1.78:1, DD2.0 tschech./dt.)
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Diskussion
Gleich am Anfang glaubt man sich am Tiefpunkt verlorener Biografien. Ein Mann mit Gitarre und zwei Frauen, die mit ihren tiefen Augenringen Jahrzehnte älter aussehen als sie sind, sitzen in einem lichtlosen Raum. Zigarettenrauch kräuselt sich zwischen ihren über den Tisch gebeugten Körpern, nah dran an der halbleeren Schnapsflasche. Im Hintergrund der Kneipe schläft ein alter Mann seinen Rausch aus, während die Frauen eine Art slawischen Fado-Gesang anstimmen. Dann schaut die Ältere von ihnen sehnsüchtig aus dem Fenster in die Ruinenlandschaft einer Industriestadt, die jede Hoffnung im Keim erstickt. Das ist der dunkle Grundton des nach „Wilde Bienen“ (fd 36 156) zweiten Spielfilms von Bohdan Slama (Jhrg. 1967), und sowohl der Titel „Die Jahreszeit des Glücks“ als auch das farbenfrohe Filmplakat lassen sich da nur als ironischer Kommentar auf das wenig Perspektiven bietende Leben im postkommunistischen Tschechien lesen. Der Originaltitel „Stestí“ heißt „Freude, Glück“, und die gibt es in dem Film nur in homöopathischen Dosierungen. Pavel Liska spielt eine ähnlich angelegte Rolle wie in „Die Rückkehr des Idioten“ (fd 34 351), nur dass er diesmal weniger trottelig, dafür aber genauso antriebslos auf einem abbruchreifen Bauernhof mit seiner resoluten Tante in den Tag hinein lebt. Seine heimliche Liebe gibt sich mit der allgegenwärtigen Tristesse um sie herum nicht zufrieden und träumt davon, ihrem Freund in die USA zu folgen, wo es Arbeit und eine Zukunft geben soll. Vorher muss sie sich jedoch als Verkäuferin in einem Supermarkt verdingen und täglich dabei zusehen, wie die verbitterte Mutter den arbeitslosen Vater am Mittagstisch der Untätigkeit bezichtigt. Monika und der gutmütige bis naive Toník sind verwandte Seelen, auch wenn der Film sich einige Zeit lässt, bis er sie zusammenbringt. Als eine junge ehrgeizige Nachbarin die Abweisung ihres zwar gut verdienenden, aber verheirateten Liebhabers nicht verkraftet und mit einem Nervenzusammenbruch in der Psychiatrie landet, übernimmt Toník aufopferungsvoll die Erziehungspflichten für ihre beiden Kleinkinder, und Monika verschiebt ihre Ausreisepläne, um ihm beizustehen. Bei gemeinsamen Bootsfahrten und dem Organisieren von Kindergeburtstagen knüpfen sie zarte Freundschaftsbande und finden eine kurze Zuflucht vor all den ungelösten Problemen. Wenigstens ihre Patchwork-Familie funktioniert auf Anhieb, wenn da nicht die nach Monaten wieder zum Leben erwachte Mutter wäre, die eines Tages undankbar und voller Vorwürfe die Kinder abholt und mit ihrem neu gewonnenen Ex-Geliebten im protzigen Luxuswagen davon fährt. Es ist schon erstaunlich, dass ein dermaßen trostloser und desillusionierter Beziehungsreigen in Tschechien alle Zuschauerrekorde brach, denn am Ende ist noch nicht mal klar, ob die einzigen Lichtblicke in Gestalt der engelsgleich selbstlosen Helfer Toník und Monika zueinander finden werden oder ob nicht doch noch der Pragmatismus siegt. Aber vielleicht sind es genau diese melodramatischen Ansätze des Plots, allen voran die spektakulären Ausraster und Sex-Eskapaden der zweifachen Mutter, die für ausreichend Mitgefühl und Identifikation, aber auch für die Befriedigung von Voyeurismus sorgen. Die Ansätze zur humoristischen Brechung fallen entsprechend bescheiden aus, auch wenn das sorgfältig gewählte Ensemble – bis in die kleinste Nebenrolle die aktuelle Top-Riege des tschechischen Films – sichtlich Mühe hat, dem Fatalismus ihrer Figuren zu folgen. Passend zur dialoglastigen, wenig Atmosphärisches bietenden Handlung begnügt sich Sláma mit einer sparsamen Bildgestaltung in grau-grünen Tönen. Die bewegliche Kamera sorgt für zusätzliche Nähe, die sich wegen der herausragenden Präsenz der Darsteller unnötig veristisch aufdrängt. Noch nie zeigte sich der Glaube an die Solidarität der kleinen Leute und die Nestwärme der Familie im tschechischen Gegenwartsfilm so erschüttert, die Sehnsucht nach Verlässlichkeit von Freundschaft und Liebe so existenziell. Ein bitteres, jede Sozialromantik meidendes Lehrstück über die Schwierigkeiten der Glückssuche in einer Gesellschaft, die keinen Ausweg aus ihrer Agonie findet.
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