Kleine Tricks

Tragikomödie | Polen 2007 | 96 Minuten

Regie: Andrzej Jakimowski

Ein kleiner Junge in einem Provinzdorf glaubt, in einem Pendler seinen Vater zu erkennen, der die Familie vor langer Zeit verließ. Mit viel Witz und Fantasie schmiedet der Siebenjährige einen Plan, um den Aufenthalt des Fremden in die Länge zu ziehen und eine Familienzusammenführung zu erreichen. Zwischen fantastisch-märchenhaften Elementen und tragikomischer Sozialstudie kreist der humorvolle Film um das Sich-Messen eines Kinderwunschs an der Realität. Dabei nimmt er sich viel Zeit für erzählerische Details und Seitenblicke in dessen Provinz-Kosmos. - Sehenswert ab 10.
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Filmdaten

Originaltitel
SZTUCZKI
Produktionsland
Polen
Produktionsjahr
2007
Produktionsfirma
Zjednoczenie Artystów i Rzemieslników
Regie
Andrzej Jakimowski
Buch
Andrzej Jakimowski
Kamera
Adam Bajerski
Musik
Tomasz Gassowski
Schnitt
Cezary Grzesiuk
Darsteller
Damian Ul (Stefek) · Ewelina Walendziak (Elka) · Rafal Guzniczak (Jerzy) · Tomasz Sapryk (Vater) · Iwona Fornalczyk (Mutter)
Länge
96 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 10.
Genre
Tragikomödie
Externe Links
IMDb | TMDB

Heimkino

Verleih DVD
Kool (16:9, 1.85:1, DD5.1 pol./dt.)
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Diskussion
Zwei Jahre lang tingelte Andrzej Jakimowskis märchenhafte Erzählung von den kleinen Tricks, mit denen der siebenjährige Stefek dem Schicksal unter die Arme greifen möchte, durch die europäischen Filmfestivals, bis der polnische Kritiker- und Publikumsliebling endlich einen deutschen Verleih fand. „Kleine Tricks“ simuliert die glückliche Erfahrung, an einer kleinen Station spontan aus dem Zug zu steigen und einen Sommertag in einem Provinznest zu verbringen. Tagaus, tagein sitzt hier der kleine Stefek auf dem Bahnsteig und beobachtet einen Pendler, von dem er glaubt, dass es sein unbekannter Vater sei. Vor Jahren floh dieser aus der strukturschwachen Gegend mit ihren zerbröckelnden Häusern zu einer anderen Frau und ließ damit seine kleine Familie ähnlich zerfallen zurück: seine enttäuschte Frau und die gemeinsamen Kinder Stefek und Elka. Übrig blieb nur ein Foto, das durch Kugelschreiber-Gekritzel unkenntlich gemacht wurde und für Stefek doch als Identifikationsgrundlage reicht. Nun presst Elka auf seine Nachfrage auf der Bahnhofsbank ein entschiedenes „Nein“ über ihre dünnen Lippen und wendet stolz und zugleich verlegen den Kopf aus dem Sichtfeld des schwarzhaarigen Mannes. Die 17-Jährige und ihr Freund Jerzy kümmern sich um Stefek und versuchen, den Verlust des Vaters wenigstens etwas auszugleichen, auch wenn ihnen der Blondschopf mit den misstrauisch zusammengekniffenen Augen öfters einen Strich durch die Rechnung macht – und vor allem Elkas Bewerbungspläne bei einem italienischen Konzern unwissentlich sabotiert. Dennoch belebt Elka Stefeks tristen Alltag durch kleine Wetten und Kniffe, die dem Schicksal ein Schnippchen schlagen sollen: Da wird die Odyssee einer Brotzeittüte initiiert, bis diese ihr endgültiges Begräbnis im Müllkorb erfährt; oder eine neue Einkaufswagenreihe vor dem Supermarkt etabliert, die einem glücklosen Apfelverkäufer reißenden Absatz beschert. All dies sind jedoch nur Fingerübungen im Vergleich zu den manipulativen Anstrengungen, die Stefek und seine wachsamen Zinnsoldaten eines Tages inszenieren, um den vermeintlichen Vater für einen Tag in der Stadt zu halten. Eine „zufällige“ Familienzusammenführung steht auf dem minutiösen Plan. Stefek rennt, fährt auf dem Rücksitz von Motorrädern, von Autos und in Bahnwaggons und merkt dabei, wie viel Mobilität notwendig ist, um den alltäglichen Lebensrhythmus eines Menschen zum Stillstand zu bringen. „Kleine Tricks“ handelt von den Schwierigkeiten, jemanden mit heimlichen Verzögerungstaktiken sprichwörtlich zum Bleiben zu bewegen. Stefek kneift unentwegt die Daumen ein, wirft mehrere Handvoll Kleingeld zwischen die Gleise und simuliert mit Hut, Pfeife und Krückstock einen Taubenzüchter, um dessen Vögel in den sommerblauen Himmel zu schicken – ein ausgeklügelter Gesprächsstoff für die erste Annäherung, ohne Alternativen, aber mit Charme. Voller Optimismus entfaltet Jakimowski ein wunderschönes, humorvolles Märchen über die Verwirklichung eines ständig vom Zerplatzen bedrohten Kinderwunsches, der sich spielerisch über alle Wahrscheinlichkeiten der Erwachsenenwelt hinweg setzt. Er beraubt Stefek wie seine Zuschauer nicht der Illusion, dass ein klein wenig Glücksmagie das scheinbar aussichtslose Vorhaben doch vorantreiben könnte. Rückschläge und erwachsene Ermahnungen zur Vernunft treffen auf kindliche Beharrlichkeit und Fantasie. Doch auch Stefek stößt an die Grenzen des Planbaren und auf die Tatsache, dass das Gelingen letztendlich in der Hand der Menschen und ihrer Entscheidung liegt. Die Inszenierung lässt dabei immer wieder dieselben Figuren und beschwingten Gitarrenklänge das Bild durchkreuzen, wodurch das lichtdurchflutete Dorf als Topos eine akustische und räumliche Struktur erhält: die Tauben, eine aufgeschlossene Nachbarstochter, der Penner mit der Brotzeittüte. Die „Kleinen Tricks“ markieren dabei ein detailreich schillerndes Highlight, dessen Gewand einer tragikomischen Sozialstudie mit fantastisch anmutenden Versatzstücken besetzt wurde. Ein unaufgeregt, aber gekonntes Charmeur-Stück über die Schönheit der Einfachheit, den fantasiereichen Ausnahmezustand Kindheit und über einen Drive, der sich vielleicht auf Gleisen oder Straßen abspielt, aber letztlich im Herzen seinen wahren Platz findet.
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