Der junge Mann kann gerade noch Hemd und Hose ordnen, bevor er seinem zukünftigen Schwiegervater gegenübertritt. Natürlich werde er immer gut für seine Familie sorgen, versichert er, worauf der Vater der Braut entgegnet, er sei nicht nach Amerika gekommen, um seine Tochter an einen polnischen Habenichts zu verlieren. Damit ist die Hochzeit zunächst einmal abgesagt und gleichzeitig das erste Kapitel einer klassischen amerikanischen Erfolgsgeschichte aufgeschlagen. Während sich Leonard Chess in Chicago daran macht, einen Karriereplan zu schmieden, bekommt es am anderen Ende des Mississippi ein junger Musiker mit der Angst zu tun. Wenn sich Weiße in die Nähe seiner schäbigen Behausung verirren, steckt meistens der Ku-Klux-Klan dahinter; doch dann steigen zwei Männer aus dem Wagen, um die Kunst des einfachen Volks zu dokumentieren. An diesem Tag muss dem Feldarbeiter Muddy Waters aufgegangen sein, dass die Welt nicht hinter der Plantage endet. „Ich fühle mich“, sagt er zum Klang der eigenen Musik, „als wäre ich mir heute zum ersten Mal begegnet.“
Die Geschichte der Bluesmusik beginnt in Darnell Martins „Cadillac Records“ an den Rändern der Gesellschaft – wie könnte es auch anders sein? Irgendwann im Jahr 1947 stolpert Muddy Waters dann gemeinsam mit dem Mundharmonika-Spieler Little Walter in die Kneipe von Leonard Chess, der jüdische Habenichts und der schwarze Musiker finden zusammen und bilden für die nächsten beiden Jahrzehnte ein elektrisierendes Gespann. Später stoßen mit Willie Dixon, Howlin’ Wolf, Chuck Berry und Etta James noch weitere Mitglieder der musikalischen Ruhmeshalle zum heute legendären Plattenlabel Chess Records dazu. Unter der Leitung ihres gewieften Produzenten verhelfen sie dem Blues in die landesweiten Charts und sind maßgeblich daran beteiligt, die schwarze Musik als festen Bestandteil der amerikanischen Populärkultur zu etablieren.
Martins Film ist reich an lokalem Kolorit, glänzend besetzt (u.a. mit der großartigen Beyoncé Knowles als Blues-Queen Etta James), musikalisch überzeugend, und er pinselt die zeitgeschichtlichen Hintergründe mit kräftigen, aber niemals aufdringlichen Farben aus. An historischer Korrektheit allein ist es Martin freilich nicht gelegen: Schon das Fehlen von Phil Chess, Leonards Bruder und Kompagnon, signalisiert, dass sie den Mythos genau so wichtig nimmt wie die Fakten, die ihm zugrunde liegen. Über Details mögen sich die Experten streiten, und natürlich fordert das ohnehin schon exzessive Privatleben der Vorbilder zur Übertreibung geradezu heraus. Doch die Herkunft des Filmtitels ist verbürgt: Chess schenkte seinen Künstlern zum erfolgreichen Einstand jeweils einen brandneuen Cadillac und versüßte ihnen damit die nicht unbedingt zu ihrem Vorteil ausgefallenen Verträge.
Darnell Martin mag sich künstlerische Freiheiten erlaubt haben, doch die Fragen, die nicht nur Blues-Fans unter den Nägeln brennen, geht sie ohne Umschweife an. Sie zeigt den alltäglichen Rassenhass und Alkoholismus, das gleichermaßen heilige wie korrupte Musikgeschäft, die künstlerischen und privaten Eifersüchteleien, die überwältigende Wirkung des Erfolgs und natürlich den Ideenklau des weißen Establishments. Und weil Martin das alles zwanglos in ihrer fließenden, anekdotischen Erzählweise unterbringen kann, dabei weder die kleinen und großen Charakterdramen vergisst, noch aus welchen Quellen die Musik heraufsteigt, ist „Cadillac Records“ ein Muster für das ganze Genre. Die meisten Untiefen der musikalischen Heldenverehrung umschifft die Inszenierung mit bewundernswerter Souveränität. Wenn doch einmal das Klischee umarmt wird, geht es immerhin zu Herzen.