Dies ist ein koketter Film: Sein Protagonist spuckt in zwei Stunden so viele rassistisch angehauchte Schimpfwörter, dass es Unbehagen bereitet. Während etwa „Monster’s Ball“
(fd 35563) einen ähnlichen Typen einführte, um sein Weltbild zu erschüttern, bleibt sich der verrentete „Ford“-Arbeiter Walt Kowalski bis zuletzt weitgehend treu. Mehr noch, ihm wird demonstrativ die Absolution erteilt, wenn ein Subplot den skeptischen Katholiken widerwillig den letzten Wunsch seiner kürzlich verstorbenen Ehefrau erfüllen und zur Beichte gehen lässt. Dabei erfährt man, dass der knorrige Grantler in seinem Leben keine schlimmeren Sünden begangen hat, als bei einer Betriebsfeier eine Kollegin zu küssen und dem Finanzamt den mageren Gewinn eines Autoverkaufs zu verheimlichen. Kokett ist in gewisser Weise auch die Unbescheidenheit, mit der sich der Regisseur und Co-Produzent in den Mittelpunkt stellt. Clint Eastwood hat oft behauptet, dass er bei seinen Regiearbeiten nur dann vor der Kamera auftrete, wenn dies pragmatische Gründe erforderten. Doch hier ist nicht zu übersehen, dass er Lust hatte, diese Rolle zu übernehmen. Während er in fast jeder Szene zu sehen ist, wird allen anderen Rollen deutlich weniger Gewicht beigemessen, und sie werden dazu noch mehrheitlich von Laien gespielt. Solche Egozentrik wird mehr als aufgewogen dadurch, dass Eastwood wie in fast allen Rollen der letzten Jahre nüchtern sein Altwerden reflektiert. Wenn Walt in der Badewanne liegt, zeigt eine kurze Halbtotale lapidar den im Kino seltenen Anblick eines bald 80-jährigen Körpers, und ohne dass man erfährt, welche Krankheit Walts gelegentliches Bluthusten verursacht, erahnt man, dass ihm wohl nicht mehr viele Jahre bleiben. Das ruft um so klarer ins Bewusstsein, dass einem auch Eastwood nicht ewig erhalten bleiben wird, und so wirkt dieser kleine Film als eigenwilliges, sehr persönliches Alterswerk.
Wie Eastwood seine Figur anlegt und spielt, erinnert an die Rolle, die ihn in den 1970er-Jahren zum Star machte: Wenn Walt bei der anfänglichen Trauerfeier für seine Frau abschätzig seine Söhne und Enkelkinder anknurrt, presst er die Lippen zusammen, als wollte er den wortkargen Zynismus der Titelfigur von „Dirty Harry“
(fd 17770) parodieren. Man mag sich vorstellen, dass sich jener reaktionäre Cop im Ruhestand ähnlich verhielte wie Walt. Der sitzt meistens Bier trinkend auf der Veranda und beobachtet missmutig den Wandel in seinem zunehmend multikulturellen Viertel, in dem Einwanderer der asiatischen Hmong-Volksgruppe den Ton angeben. Als Thao, ein Hmong-Junge aus dem Nachbarhaus, seinen ungenutzt in der Garage stehenden Sportwagen zu stehlen versucht, ist Walt mit einer Schrotflinte zur Stelle, und ebenso schnell tritt er in Aktion, als eine jugendliche Hmong-Gang die Nachbarsfamilie terrorisiert. Nachdem sich der Korea-Kriegsveteran widerwillig auf einen freundlichen Umgang mit Thao und seine Schwester eingelassen hat, betrachtet er es als seine Aufgabe, die Bedrohung durch die halbstarken Gangster auszuschalten.
Einzelne Aspekte der Handlung rufen „Million Dollar Baby“
(fd 36951) und „Erbarmungslos“
(fd 29800) ins Gedächtnis, doch der reizvollste Bezug ergibt sich aus dem Kontrast zwischen diesem Film und dem, den Eastwood unmittelbar davor drehte: „Der fremde Sohn“
(fd 39086) bestach durch die souveräne Meisterschaft, mit der sich ein stoischer Erzählrhythmus (fast) jeder melodramatischen Zuspitzung verweigerte. Im Gegensatz dazu ist dieser entspannte Film offenkundig nicht um formale Meisterschaft bemüht; er wurde in nur 32 Tagen gedreht, wobei Eastwood das Drehbuch fast unverändert übernahm. Seine Inszenierung ist wieder wunderbar einfach gehalten, doch sind einige Szenen dramaturgisch unergiebig, und Walts Söhne und Enkel dienen vor allem dazu, leichte Lacher zu liefern. Das wollte Eastwood wohl genau so haben, so wie er offenbar Lust hatte, im Abspann mit vorsichtiger Stimme aus dem Off einen Song zu hauchen. Dem Charme solch persönlicher Noten kann man sich unmöglich entziehen, selbst wenn man den politischen Implikationen des Films nicht zustimmen will. Diesmal scheint der ehemalige republikanische Lokalpolitiker Eastwood absichtlich einen politisch provokanten Film gedreht zu haben. Nachdem seine Figur sowohl Hmong als auch Afroamerikaner mit rassistischen Schimpfworten traktiert hat, werben zwei herrlich komische Szenen um Verständnis für solch derbe Umgangsformen. Indem er den polnischstämmigen Walt mit einem irischstämmigen Friseur ähnlich deftige Frotzeleien austauschen lässt, impliziert Eastwood, dass Walts Ausdrucksweise generell als arglose Begleiterscheinung einer raubeinigen, maskulinen Proletenkultur zu verstehen sei. Das ist ebenso kurz gedacht wie ein Subplot, der weismachen will, dass wer wolle, jederzeit einen Job auf dem Bau bekommen könne.
Dennoch regt „Gran Torino“ zu einer fruchtbareren Auseinandersetzung an als all jene vermeintlich politischen Filme, deren gute Absichten sich in einer vorsichtigen Ambiguität erschöpfen, um niemanden vor den Kopf zu stoßen. Entwaffnend wirkt zudem, dass Walt ein Milieu repräsentiert, das ohnehin bald der Vergangenheit angehören wird – was erneut darauf verweist, dass auch Eastwood nicht jünger wird. Weshalb man allen Grund hat, sich über jeden seiner Filme zu freuen.