Eine junge, erfolgreiche Künstlerin gerät durch Krankheit und Tod ihrer Eltern in eine tiefe Krise und sieht sich mit der schmerzhaften Notwendigkeit konfrontiert, neue Weichen für ihr Leben zu stellen. Aus einfachen Erzählfäden webt die Regisseurin ein komplexes Geflecht aus Motiven und Variationen, das zur intensiven Wahrnehmung herausfordert und den konfliktreichen Selbstfindungsprozess seiner Protagonistin als sensible Annäherung an die Widersprüchlichkeit der Realität beschreibt. Dabei gelingt ein intensives, meist düster-monochrom gehaltenes, aber auch von burlesken Momenten gezeichnetes Drama, das an das metaphysische Kino Kieslowskis erinnert.
- Sehenswert ab 16.
33 Szenen aus dem Leben
- | Deutschland/Polen 2008 | 98 Minuten
Regie: Malgoska Szumowska
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Filmdaten
- Originaltitel
- 33 SCENY Z ZYCIA
- Produktionsland
- Deutschland/Polen
- Produktionsjahr
- 2008
- Produktionsfirma
- Pandora Filmprod./STI Studio Filmowe
- Regie
- Malgoska Szumowska
- Buch
- Malgoska Szumowska
- Kamera
- Michal Englert
- Musik
- Pawel Mykietyn
- Schnitt
- Jacek Drosio
- Darsteller
- Julia Jentsch (Julia) · Maciej Stuhr (Pjotrek) · Malgorzata Hajewska (Basia) · Peter Gantzler (Adrian) · Andrzej Hudziak (Jurek)
- Länge
- 98 Minuten
- Kinostart
- -
- Fsk
- ab 12; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Sehenswert ab 16.
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Diskussion
Ein rätselhafter Filmtitel: Ob es nun genau 33 Szenen „aus dem Leben“ sind, vermag man kaum nachzuzählen, und aus wessen Leben diese Szenen stammen, ist wohl eher eine philosophische Frage. Primär entspringen sie dem Leben von Julia, einer jungen polnischen Künstlerin Anfang 30, die als kommender Star der Kunstszene gefeiert wird, glücklich mit dem Komponisten Pjotrek verheiratet ist und zu Beginn im Kreise ihrer Eltern und Geschwister eine harmonische Sommeridylle auf dem Land genießt. Doch Julias Leben ist nicht isoliert zu betrachten; was so „rund“ und gefestigt erscheint, wird unweigerlich vom Schicksal der Eltern beeinflusst, von denen langsam, aber unaufhaltsam ein schmerzhafter Ablösungsprozess beginnt. Die Mutter, eine erfolgreiche Schriftstellerin, erkrankt an Krebs, siecht dahin und wird in ihrem langen, quälenden Verfall von der Familie begleitet; diese reagiert erschrocken und bestürzt, ebenso hilflos wie überfordert, manchmal in Tränen ausbrechend, dann wieder in hysterische, pietätlose Albernheiten, so, also wollten Julia, ihr Vater und ihre Schwester die Realität nicht wahrhaben und sich in bessere Familientage zurückversetzen. Davon stark geprägt, sucht Julia nach Nähe und Geborgenheit in ihrem Leben, das erstmals auch beruflich stagniert und Rückschläge bereithält. Pjotrek ist durch Auslandsreisen oft abwesend, Adrian, ein älterer Familienfreund und Julias Mitarbeiter, verhält sich loyal und widersteht lange Julias Avancen. Kurz nach dem Tod der Mutter stirbt auch der Vater: Jurek, im kommunistischen Polen ein renommierter Filmemacher, inzwischen aber lange isoliert, hatte nichts, wohin er nach dem Tod seiner Frau zurückkehren konnte, wie Adrian diagnostiziert. Sein exzessiver Alkoholkonsum führt zum Herztod. Julia bricht mit Pjotrek, ohne sich Adrians sicher sein zu können. Als sie sich zu einer Reise aufmacht, kann er ihr nicht versprechen, ob er auf sie wartet.
Malgoska Szumowska charakterisiert ihren intensiven, meistens düster-monochrom gehaltenen, in vielen schönen Momenten allerdings faszinierend irisierenden Film als Auseinandersetzung mit dem Verlust der Kindheit, dem Ende einer Lebensphase, der Angst, die mit dem Verlust kommt. Viele Teile der Handlung fußen auf persönlichen Erfahrungen, wären aber nicht annähernd so spannend, wenn es der 1973 geborenen Regisseurin nicht so souverän gelingen würde, das Persönliche in grundsätzliche Lebenssituationen einzubinden. Zwangsläufig erinnert ihr Film an das „metaphysische Kino“ Krzysztof Kieslowskis, wenn aus den einfachen Erzählfäden ein immer komplexeres Geflecht aus Motiven und Variationen erwächst, das zur intensiven Wahrnehmung herausfordert und Julias komplizierten, von ihr selbst wie von den „Umständen“ behinderten Selbstfindungsprozess als sensible Annäherung an die Widersprüchlichkeit der Realität beschreibt. Der Protagonistin wird unversehens die Verantwortung für den eigenen Lebensentwurf auferlegt; wie sie zwischen Angst und Sorge, Aufbäumen und Beherrschtheit changiert und ihre Stärken wie ihre Schwächen preisgibt, ist eine grandiose Leistung der Schauspielerin Julia Jentsch, die sich zugleich aber ins hervorragende Ensemblespiel integriert.
Die Inszenierung lebt zudem von komplexen Kunstgriffen und signalisiert eindrucksvoll, dass die Erzählstruktur selbst wesentlicher Bestandteil des Inhalts ist. Immer wieder blickt die Kamera auf Julia durch eine Fensterscheibe, was das irritierende Gefühl vermittelt, dass alles hinter Glas geschieht; gelegentlich erinnert die Struktur der wiederkehrenden Elemente an ein „säkulares Requiem“, zumindest dort, wo die Szenen durch extrem lange Schwarzblenden unterbrochen werden und man sich ganz auf die (kirchen-)musikalische Komposition konzentrieren kann. Solche „Schwere“ konterkariert die Regisseurin immer wieder durch nahezu burleske Szenen, die den Tod und das Abschiednehmen eng an religiöse „Rituale“ binden. Hier löst sich der schmale Grat zwischen tiefer Trauer und ausgelassener Komik kurzzeitig auf, ohne dass ein Gottesdienst oder das Weihnachtsfest karikiert würden; dass sich die Menschen daran erinnern, ohne solche Dinge mit tieferem Sinn füllen zu können, deutet gleichwohl eine entfremdete, desorientierte Gesellschaft auf der Suche nach neuen Zielen und Werten an.
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