Der Autor der literarischen Vorlage zu „Der Mann, der niemals lebte“, David Ignatius, ist hauptberuflich Journalist und war auf die Berichterstattung über die CIA und den Nahen Osten spezialisiert, bevor er prominenter Kolumnist für geopolitische Themen wurde. Daher darf man annehmen, dass seine fiktionalisierte Darstellung von CIA-Aktivitäten im Irak, in Jordanien, Dubai und der Türkei nicht völlig aus der Luft gegriffen ist – was im Umkehrschluss erklären mag, warum die Verfilmung seines jüngsten Romans die Konventionen des zu unrealistischen Extravaganzen neigenden Agentenfilm-Genres unterläuft: Anstatt komplizierte Scharaden vorzuführen, wirft der Protagonist, CIA-Agent Roger Ferris, zur Tarnung schlicht ein traditionelles arabisches Gewand über, als er sich am helllichten Tag und zu Fuß dem abgelegenen Wüstenversteck irakischer Terroristen nähert. Und wenn sich Gelegenheit zu einer ausgedehnten Verfolgungsjagd bieten würde, kürzt Ferris meistens schon im Ansatz unspektakulär mit einem gezielten Schuss in den Kopf oder Messerstichen in die Brust ab. Regisseur Ridley Scott scheint es weniger auf fantasievolle Spannung abgesehen zu haben als vielmehr darauf, die Legitimität und Effizienz jener Mittel zu reflektieren, die im realen Krieg gegen Terror zum Einsatz kommen. Sein Film beginnt mit der Einblendung eines Verses von W. H. Auden: „Ich und die Öffentlichkeit, wir wissen, was jedes Schulkind lernt: Denen Böses getan wird, die tun wieder Böses.“
Gleich in der einleitenden Montagesequenz lässt Scott den von Leonardo DiCaprio gespielten Ferris Zeuge werden, wie ein anonymer Gefangener von einem amerikanischen Soldaten gefoltert wird. Nachdem in Dialogen mehrere Referenzen auf Guantanamo eingestreut wurden, leitet eine kurze Rückblende auf besagte Folterszene schließlich eine Wendung ein, die Audens Diktum indirekt zu bestätigen scheint. Ferris versucht, im Irak einer islamistischen Terrorzelle auf die Schliche zu kommen, die für eine durch europäische Großstädte wogende Anschlagswelle verantwortlich ist. Dabei muss er, um seine Enttarnung zu verhindern, gelegentlich spontan terroristische Mitläufer liquidieren, was ihm offenkundig zuwider ist, aber durch die Umstände legitimiert scheint. Das Verständnis, das man als Zuschauer für seine professionelle Kaltblütigkeit aufbringen mag, wird dadurch verstärkt, dass er sich bei der Ausübung seines schmutzigen Geschäfts ständig in Lebensgefahr begibt und einen ersten Ermittlungserfolg, der ihn nach Amman führt, beinahe mit dem Leben bezahlt.
Weil Scotts Inszenierung das hektische Chaos eines verdeckten Einsatzes vor Ort betont, wirkt der Kontrast, der sich durch regelmäßige, kurze Wechsel der Erzählperspektive einstellt, umso drastischer: Die sichere Entfernung, aus der man in der Washingtoner CIA-Zentrale jede Bewegung Ferris’ verfolgt, wird durch die distanzierten Bilder von Beobachtungssatelliten ebenso unterstrichen wie durch die Banalität der Alltagstätigkeiten, die Ferris’ Vorgesetzter ausübt, während er in fast ständigem Telefonkontakt mit seinem Agenten steht. Im Gegensatz zu Ferris, der sich in Bagdad und Amman die Hände schmutzig macht, kann Ed Hoffman dank moderner Handytechnik nämlich im beschaulichen US-Suburbia die Kinder beaufsichtigen und zugleich seine kontraproduktiven Dienstanweisungen erteilen. Dieser von einem pummeligen Russell Crowe gespielte Bürokrat entpuppt sich bald als dumpfer Schreibtischtäter, dessen skrupellose Mittel besonders verwerflich scheinen, weil sie nicht zweckdienlich sind. Wiederholte Beispiele von Hoffmans ignoranter Selbstgefälligkeit wirken freilich schnell redundant, sodass man sich, spätestens wenn er unangemeldet in Amman aufkreuzt und mit rüdem Auftreten die Kooperationsbereitschaft des jordanischen Geheimdienstchefs Hani sabotiert, fragen muss, warum Ferris diesen Unsinn überhaupt mitmacht. Sobald sich diese Frage stellt, wird plötzlich deutlich, wie wenig man in diesem Film über den Mann, auf den wohl der deutsche Filmtitel gemünzt ist, eigentlich erfährt: Die Hauptfigur bleibt letztlich von papierener Leblosigkeit. Dazu passt auch, dass Ferris’ Romanze mit einer iranisch-jordanischen Krankenschwester jede Glaubwürdigkeit fehlt. Unter diesen Umständen verdient sich eine Nebenfigur zunehmend die Aufmerksamkeit: Dem stets als perfekter Gentleman gekleideten Hani verleiht der britische Schauspieler Mark Strong nämlich eine genau dosierte Eleganz, die regelmäßig einen subtilen Schauer auslöst, weil sie in so augenfälligem Kontrast zu den Vorstellungen steht, die man sich vom Beruf der Figur macht. Dass der Mann nicht zimperlich ist, hat er schnell bewiesen, als er Ferris zum Zusehen nötigt, während er einen nackten Gefangenen auspeitschen lässt. Umso irritierender, dass sich seine Handlungen letztlich als rationaler und plausibler entpuppen als die beider amerikanischer Gegenparts.