AlleAlle
Drama | Deutschland 2006 | 92 Minuten
Regie: Pepe Planitzer
Filmdaten
- Produktionsland
- Deutschland
- Produktionsjahr
- 2006
- Produktionsfirma
- It Works! Medien/Koppfilm/Kulturzentrum Das Haus/K13 Tonstudios
- Regie
- Pepe Planitzer
- Buch
- Pepe Planitzer
- Kamera
- Uwe Mann
- Musik
- Peter Liljeqvist · Calexico
- Schnitt
- Katrin Ewald
- Darsteller
- Eberhard Kirchberg (Hagen) · Milan Peschel (Domühl) · Marie Gruber (Ina) · Simone Frost (Magda) · Christina Große (Caroline)
- Länge
- 92 Minuten
- Kinostart
- -
- Fsk
- ab 6; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Sehenswert ab 12.
- Genre
- Drama
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Der Titel bezieht sich auf den kindlichen Sprachduktus, den eine der Hauptfiguren, der heruntergekommene Gerüstbau-Unternehmer Domühl, anschlägt, wenn er mit dem geistig behinderten Hagen spricht. „AlleAlle“ sagt er im letzten Drittel des Films und streckt ihm die geöffneten, leeren Hände entgegen, was soviel heißen soll wie: fertig, am Ende – rien ne va plus. Gerade, als es aussah, als würde der auf den beruflichen wie persönlichen Ruin zusteuernde, alkoholsüchtige Domühl seinem Leben dank einer neuen Liebe eine bessere Wendung geben können, hat er wieder alles verloren. Aber Hagen ist noch da, übergroß, robust und sanftmütig, und nicht zuletzt durch ihn bekommt die Kleine-Leute-„Dramödie“ aus dem sozialen Nirgendwo südlich von Berlin märchenhafte Züge: Er tritt wie ein netter Riese ins Katastrophengebiet von Dohmühls Existenz, ein naives Kind und zugleich ein mächtiger Fels in der Brandung. Pepe Planitzer vereinigt zwei Strömungen des aktuellen deutschen Films: das Sozialdrama, das sich mit den Lebensbedingungen von Existenzen an den zerfledderten Rändern der Wohlstandsgesellschaft befasst, und die „Neo-Romantik“ mit ihren Naturbildern und ihrer zwischen Skurrilität und Poesie schwingenden Erzählhaltung. Eine Symbiose, die dank hervorragender Darsteller und einer bestechend sorgfältigen Bild- und Tongestaltung bestens gelingt.
Hagen und Domühl lernen sich kennen, als der Behinderte sein Pflegeheim verlässt, weil er zukünftig bei einem Verwandten leben soll. Stattdessen landet er bei dem Unternehmer, der längst kaum noch Aufträge bekommt und wohl nur deswegen noch nicht kapituliert hat, weil er sich ständig Mut antrinkt bzw. seinen Frust im Suff soweit betäubt, dass er damit leben kann. Die Gründe für sein Scheitern erfährt man nur sporadisch; klar wird jedoch, dass er ein später Wende-Verlierer ist, dessen Hoffnungen und Träume auf ein besseres Leben in der angeblich sozialen Marktwirtschaft gescheitert sind – sie stehen nun rührend kümmerlich in Form eines lebensgroßen Sportauto-Holzmodells auf dem alten Kasernen-Gelände herum, das sein Vater einst für den symbolischen Preis von einer Mark kaufte, das mittlerweile aber überhaupt nichts mehr Wert ist. Mit der Verantwortung für einen Behinderten fühlt sich Dohmühl überfordert; er konzentriert sich lieber auf Ina, eine ebenso starke wie abweisende Frau in mittleren Jahren, die gerade auf Bewährung aus dem Gefängnis entlassen wurde und in die Wohnung über ihm eingezogen ist.
Allmählich raufen sich die drei Menschen, die alle auf ihre Art gesellschaftliche Außenseiter sind, zusammen und machen die Erfahrung, dass man manchmal gewinnt, wenn man bereit ist, etwas von sich zu geben. Die Hauptakteure Marie Gruber, Milan Peschel und Eberhard Kirchberg geben ein prächtiges Trio kontrastierender Charaktere ab. Vor allem Milan Peschel, dessen Rolle als kauziger, grantelnder Trinker allzu leicht zur bloßen Karikatur hätte geraten können, legt eine bemerkenswerte Leistung ab: Wenn Domühl etwa im Getränkeladen, wo er sich seinen „Stoff“ besorgt, erkennt, dass dort seit Neuestem Ida an der Kasse steht, und ihm dann auch noch das Geld zum Bezahlen fehlt, kriecht einem seine Scham gnadenlos unter die Haut. Rauschende Blätter, zwitschernde Vögel, Grillengezirp und dazwischen ein wohl dosiert eingesetztes, melancholisches Gitarrenthema geben den akustischen Rahmen des stillen, langsam inszenierten, aber umso mitreißenderen Films ab, der sein Sujet mit feinem Humor und großer Liebe zu den beschädigten Protagonisten angeht.
Die Bilder der flachen Landschaft, die immer wieder in lang gehaltenen, weiten Totalen die Handlung „erden“, vermitteln dabei nicht nur den Eindruck der Strukturschwäche dieser Region. Die Kamera sowie die Soundgestaltung lenken vielmehr die Aufmerksamkeit immer auch auf die Naturschönheiten des „Wilden Ostens“, seine Felder, Bäume, Seen, sodass die Endzeitstimmung, die etwa das alte Kasernengelände vermittelt, durch einen Hauch von Aufbruch, Hoffnung und Pioniergeist aufgefangen wird: Da ist doch noch alles voller Leben.