Anfang der 1980er-Jahre erobert der Wiener Hans Hölzel unter dem Künstlernamen Falco die Musikcharts und schreibt mit seinen außergewöhnlichen artifiziellen Songs Pop-Geschichte. Das biografische Drama beschreibt Aufstieg und Fall einer Kunstfigur, die sich so perfekt selbst erfunden hat, dass der eigentliche Mensch hinter ihr verschwindet. Dabei gelingt dem Film das Kunststück, selbst Pop zu inszenieren, ohne nach der Essenz hinter dem Schöpfungsmythos zu fragen. Die Aneinanderreihung von Anekdoten und "trashigen" Melodram-Elementen wirft über den Protagonisten hinaus ein beredtes Schlaglicht auf Werte und Wesen der Pop-Kultur.
- Ab 16.
Falco - Verdammt, wir leben noch!
Biopic | Österreich/Deutschland 2008 | 118 Minuten
Regie: Thomas Roth
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Filmdaten
- Originaltitel
- FALCO - VERDAMMT, WIR LEBEN NOCH!
- Produktionsland
- Österreich/Deutschland
- Produktionsjahr
- 2008
- Produktionsfirma
- MR Filmprod./EOS Ent.
- Regie
- Thomas Roth
- Buch
- Thomas Roth
- Kamera
- Jo Molitoris
- Musik
- Lothar Scherpe
- Schnitt
- Bernhard Schmid
- Darsteller
- Manuel Rubey (Falco alias Johann "Hans" Hölzel) · Nicholas Ofczarek (Markus Spiegel) · Christian Tramitz (Horst Bork) · Patricia Aulitzky (Jacqueline) · Susi Stach (Maria Hölzel)
- Länge
- 118 Minuten
- Kinostart
- -
- Fsk
- ab 12; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 16.
- Genre
- Biopic
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Heimkino
Diskussion
Sein größter Hit gibt sinnfällig den Tonfall dieses so überraschend wie erstaunlich gelungenen „bio pics“ vor: „Es war um 1980 – und es war in Wien...“ Dies ist die wundersame Geschichte des Hans Hölzel, der sich Ende der 1970er-Jahre aus den schmuddelig-anarchoiden Untiefen der auslaufenden Hippie-Underground-Alternativ-Bohème-Kultur in Wien aufmachte, um ein internationaler Star zu werden, dem es auf dem Höhepunkt seiner Karriere gelingen sollte, als erster deutschsprachiger Künstler mit „Rock Me Amadeus“ die Nr. 1 der US-amerikanischen Billboard-Charts zu erreichen. Es ist die Geschichte von Falco, der sich selbst als Avantgarde-Kunstfigur gegen den Zeitgeist neu erfand, und zwar so perfekt und so konsequent, bis selbst die besten Freunde zu zweifeln begannen, ob noch Reste von Hans vorhanden waren, wenn sie mit Falco sprachen. Es grenzt schon an ein Mysterium, wenn man – zumal retrospektiv – die Verwandlung von Hansi in Falco beobachtet. Hier scheint jemand tatsächlich instinktiv (Hansi war kein Intellektueller) realisiert zu haben, dass die Werte der Popkultur um das Jahr 1980 radikal umcodiert wurden: Statt „Wärme“ jetzt „Wollen“, statt „Offenheit“ jetzt „Abgrenzung“, statt „Gefühl“ jetzt „Verstand“. Mehr dazu, ja fast alles steht in Diedrich Diederichsens „Sex Beat“, als dessen „Verfilmung“ mindestens die ersten 20 Minuten von „Falco“ gelten können. Falco, der Popstar sui generis, wagt ein radikales Experiment in Kälte und Selbst-Distanzierung, das künstlerische Zeitgenossen wie „Trio“ bestenfalls ironisch zu inszenieren wussten.
„Falco“ ist aber keine poptheoretische Studie, sondern zunächst einmal großes, kleines Kino, zusammengebastelt aus lauter für sich schmierigen Trash-Melodram-Elementen, aus einem Wahnsinn aus Drogen, Eifersucht, Selbstzweifeln und Grandezza, der zu jedem Zeitpunkt seine Herkunft aus der Pop-Provinz virulent hält. „Falco“ ist eine seltene Blüte, geboren aus den Gesetzen der Daily Soap, basierend auf Wiener Schmäh und der Idee, dass man es als nur leicht verspätete David-Bowie-Kopie (oder doch eher Lou Reed?) bis ganz nach oben schaffen kann. Ohne Rücksicht auf Authentizität, dem Schlüsselwort des vorangegangenen Jahrzehnts! Wenn es Bowie gelang, als unberechenbares Chamäleon seine Karriere auf der Auslöschung einer identifizierbaren Persönlichkeit zu gründen und sich stattdessen als durchgestylte Persona, als Maske zu entwerfen, dann müsste das dem Hansi mit etwas Glück doch wohl auch gelingen. Ironischerweise hatte Bowies Karriere just zu diesem Zeitpunkt ihren Zenit überschritten und trudelte nur noch uninspiriert aus. Hansis Rechnung geht jedoch auf, allerdings: Der Preis, der für den Erfolg zu zahlen ist, ist hoch, zu hoch, denn Popstar zu sein ist ein Fulltime-Job: Keine Atempause, Geschichte wird gemacht.
In einer wichtigen Szene des Films erfährt Falco, als er „ganz privat“ mit einigen Freunden in einer Kneipe sitzt, dass er den US-Markt „geknackt“ hat. Tief betroffen, fast weinend steht er auf und erkennt: „Erst, wenn ich tot bin, werden mich die Leute jetzt wieder lieben können!“ In einer anderen entscheidenden Szene erfährt er, dass er nicht der leibliche Vater seiner Tochter ist. Große Tragödie: It’s lonely at the top! Der Film schafft es immer wieder, solche dichten „Momente der Wahrheit“ zu kreieren, in denen das Melodramatische in finsterste „Wahrheiten“ umschlägt – wie einst in den Filmen von Douglas Sirk. Man kann sagen, dass Thomas Roth das seltene Kunststück gelingt, mit Pop-Effekten Pop zu produzieren. Wo konventionellere Filme wie „Control“ (über den Joy-Division-Sänger Ian Curtis, fd 38 519), „Walk the Line“ (über Johnny Cash, fd 37 460) oder „Ray“ (über Ray Charles, fd 36 863) so taten, als könnten sie hinter der Pop-Oberfläche etwas Substanzielles, Existenzielles als Motor des Getriebenseins entdecken, als gäbe es etwas hinter der Oberfläche, das überhaupt der Rede wert wäre, da gerät „Falco“ nur mehr zu einem perfekten Feedback von Oberflächen, die stets nur auf sich selbst und ihre Künstlichkeit verweisen. In diesem Feedback wird Hans Hölzel ausgelöscht. Deshalb ist „Falco“ immer „Scarface“ und „Lindenstraße“ zugleich: Pop-Märchen und Kleinbürger-Tragödie. Strukturell und politisch-ideologisch ist „Falco“ ein echtes Filmwunder, das vielleicht sogar kongenial intuitiv entstanden ist, weil der Boden, von dem aus sich Hansi/Falco in die Lüfte erhebt, so vorgestrig erscheint, dass es rätselhaft bleibt, wie hier ein derart offensiver Pop-Entwurf entstehen konnte. Der Film ist zusammengebastelt aus Anekdoten (der Kino-Traum von der Berühmtheit; einzig lebend Geborener von Drillingen; die übergroße Mutter; die einfältige, aber herzensgute „große Liebe“; der beste Freund; der väterliche Manager) und trivialen Schöpfungsmythen; er ist aus zweiter Hand erzählt – und trifft gerade deshalb die „Essenz“, dass man nach einer „Essenz“ besser gar nicht erst sucht. Es sind die späten 1970er-Jahre, als Hans Hölzel als Bassist in legendären Off-Acts wie der Hallucination Company oder Drahdiwaberl spielt. Doch diese Welt ist ihm zu eng und selbstbezogen; er will hinaus in die große Welt, wenngleich er von dieser Welt bestenfalls eine Ahnung hat.
Knapp 20 Jahre später, nach Jahren des Erfolgs und Jahren demütigender Misserfolge, wird Falco 1998 in der Dominikanischen Republik bei einem Autounfall getötet. Ein ironischer Wink des Schicksals, das hier – vier Jahre nach Kurt Cobain – eine provinzielle Variante des „It’s better to burn out than to fade away“ durchspielt. Dazwischen liegen Aufstieg und Fall, privates Glück und tiefste Verzweiflung, Selbstentwurf und -überschätzung. Der Film re-inszeniert – auch dies eine glückliche Entscheidung – die großen Karrieremomente, die künstlerischen Treffer wie die grandiose Single „Junge Römer“ (die die 1980er-Jahre auf den Punkt bringt und, natürlich, floppt), die legendären Videoclips der frühen MTV-Jahre, die großen Skandale („Jeannie“) und Abstürze, die großen Event-Konzerte „dahoam“ in Wien. Er erzählt von einer Zeit, als das Pop-Business noch vergleichsweise als solides Handwerk funktionierte, als Zufall und Timing noch eine entscheidende Rolle spielten, als es noch Zeitzonen gab und kein globalisiertes Medien- und Informationsnetz in Echtzeit. Schließlich wird Hansi Hölzel Recht behalten: Erst postum hat man ihn wieder lieb. Nach Jahren des Misserfolgs wird „Out of the Dark (Into the Light)“ ein großartiges Comeback: „Muss ich denn sterben, um zu leben?“ Er hat es wirklich kapiert: „Falco“ – aus dem Reich der Toten.
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