Dokumentation über die legendäre"Jesus Christus Erlöser"- Rezitation von Klaus Kinski im November 1970 in Berlin, die durch Zwischenrufe des Publikums zum Debakel wurde. Der klug montierte Film gibt die spannungsgeladene Dramaturgie des Abends nahezu chronologisch wieder. Daraus resultiert ein aufregendes und zugleich amüsantes Zeitdokument über das debattiersüchtige Berliner Milieu der frühen 1970er-Jahre, in dem Ernsthaftigkeit und Verbohrtheit oft nahe beieinander lagen.
- Ab 14.
Jesus Christus Erlöser
Dokumentarfilm | Deutschland 2008 | 84 Minuten
Regie: Peter Geyer
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Filmdaten
- Produktionsland
- Deutschland
- Produktionsjahr
- 2008
- Produktionsfirma
- Kinski Prod.
- Regie
- Peter Geyer
- Buch
- Peter Geyer
- Musik
- Florian Käppler · Daniel Requardt
- Schnitt
- Peter Geyer · Konrad Bohley · Michael Dreher
- Darsteller
- Klaus Kinski
- Länge
- 84 Minuten
- Kinostart
- -
- Fsk
- ab 12; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 14.
- Genre
- Dokumentarfilm
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Diskussion
Eine Entdeckung: Klaus Kinski als Jesus-Rezitator bei seinem legendären Auftritt in der Berliner Deutschlandhalle im November 1971. Was lange Zeit nur in den bekannten Klischees vom exzentrischen Provokateur kolportiert wurde, der sich auf der Bühne mit Jesus verwechselte und das Publikum beleidigte, kann seit 2006 als Hörbuch und nun auch als Dokumentarfilm einer genaueren Betrachtung unterzogen werden. Das Resultat ist erstaunlich, in vielerlei Hinsicht. Denn die mediale Häme, die sich über Kinski ergoss, als die Berliner Premiere von „Jesus Christus Erlöser“ im Störfeuer der Zwischenrufe unterging, unterschlug gerade die Dynamik, mit der sich die Aggressionen gegenseitig hoch schaukelten. Ein Teil des Publikums war offensichtlich darauf aus, die Veranstaltung zum Happening umzufunktionieren. Schon Kinskis Auftritt im Blümchenhemd und roten Schuhen wird von spöttischen Halleluja-Rufe begleitet. Die ersten Störmanöver vermag er noch zu ignorieren, doch bald bellt er zurück, erntet Pfiffe und gerät noch mehr in Rage. Das Publikum verlangt eine Diskussion, Kinski lehnt ab. Mehrmals setzt er von Neuem an, unterbricht dann aber seine Performance, zieht sich schmollend von der Bühne zurück, kommt wieder und beginnt trotzig von vorne. Doch auch die Störer legen nach, zunehmend rabiater und befeuert von Kinskis Polemik, der immer mehr in den Gestus des Predigers verfällt und seinen Text als Waffe gegen das Publikum wendet. Die Fronten verhärten sich bis hin zum „Kinski ist – ein Faschist“-Verdikt. Erst nach Mitternacht, als nur noch ein Häufchen vor der Bühne ausharrt, erscheint Kinski ein letztes Mal, gezeichnet und müde. Mit rauer, fast tonloser Stimme hebt er zum siebten Mal an: „Gesucht wird Jesus Christus.“
Der finale Vortrag ist im Film ausgespart. Das ist kein Manko, weil der Fokus auf der spannungsgeladenen Dramaturgie des Abends liegt, der nahezu chronologisch wiedergegeben wird. Das vom Nachlassverwalter Peter Geyer klug montierte Film- und Tonmaterial fügt sich fast wie von selbst zu einer höchst unterhaltsamen Darbietung, die ihre formalen Begrenzungen, vier Kameras und 135 Minuten 16mm-Aufzeichnungen, weitgehend vergessen macht. Denn die visuell limitierte Dokumentation ist ein aufregendes Zeitdokument, das ebenso amüsante wie aufschlussreiche Einblicke ins debattiersüchtige Berliner Milieu der frühen 1970er-Jahre gewährt. Der Witz und Esprit der Zwischenrufe korrespondieren darin perfekt mit Kinskis polemischer Schlagfertigkeit, freilich ohne jeden Anflug von Humor oder Ironie. Die aufmüpfigen Zuschauer meinten es mindestens so ernst wie Kinski, der sich in Interviews vor der Premiere zum Protagonisten der Jesus-Bewegung stilisiert hatte und die geplante Welttournee mit hundert Auftritten als Auftakt zu einem jesuanischen „Welt-Woodstock-Festival“ verstand. Das aktuelle 68er-Bashing, das sich leider auch schon Geyers Dokumentation einverleibt hat, ignoriert jedoch allzu gerne die Ambitionen, die hinter Auswüchsen wie denen bei Kinskis Jesus-Programm standen. Ohne diese wäre aber auch das Textbuch zu „Jesus Christus Erlöser“ nicht denkbar gewesen, eine moderne Evangelienharmonie, die den biblischen Stoff für einen Bühnenmonolog adaptiert. Kinskis Jesus erscheint darin als antiinstitutioneller Aufrührer, als Verbündeter von Randgruppen und Feind aller Satten. Eine solche Deutung mag in die Jahre gekommen sein, nicht aber die Energie und das sprachliche Vermögen, die für Kinski „erregendeste Geschichte der Menschheit“ für die Gegenwart greifbar zu machen.
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