Basierend auf einem Kriminalfall aus den 1960er-Jahren, wird die Leidensgeschichte einer 16-Jährigen aufgerollt, die von einer Pflegemutter, deren Kindern und einigen Nachbarskindern im Keller gefangen gehalten und gequält wurde. Dank großartiger Hauptdarstellerinnen und einer Regie, die auf die effekthascherische Ausbeutung des Falls verzichtet, gelingt ein differenziertes Drama, das den Gründen nachspürt, wie es zu solchen Auswüchsen menschlicher Grausamkeit kommen kann.
- Ab 16.
An American Crime
Drama | USA 2007 | 93 Minuten
Regie: Tommy O'Haver
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Filmdaten
- Originaltitel
- AN AMERICAN CRIME
- Produktionsland
- USA
- Produktionsjahr
- 2007
- Produktionsfirma
- First Look/Killer Films
- Regie
- Tommy O'Haver
- Buch
- Tommy O'Haver · Irene Turner
- Kamera
- Byron Shah
- Musik
- Alan Ari Lazar
- Schnitt
- Melissa Kent
- Darsteller
- Ellen Page (Sylvia Likens) · Catherine Keener (Gertrude Baniszewski) · Hayley McFarland (Jennie Fae Likens) · Ari Graynor (Paula Baniszewski) · Evan Peters (Ricky Hobbs)
- Länge
- 93 Minuten
- Kinostart
- -
- Fsk
- ab 16
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 16.
- Genre
- Drama
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Heimkino
Diskussion
Das (Kauf-)DVD-Cover lässt befürchten, dass man es hier mit einem weiteren „Torture Porn Movie“ zu tun hat: An mit einem groben Strick gefesselte Mädchenhänden rinnt reichlich dunkelrotes Blut hinab. Tatsächlich geht es um eine 16-Jährige, die, so der Klappentext, „1965 im beschaulichen Bundesstaat Indiana in den Keller gesperrt und aufs gehässigste gequält“ wird; mit „Saw“ oder „Hostel“ hat das allerdings nichts zu tun. Wenn Parallelen zu aktuellen Folterfilmen gesucht werden, bietet sich als Referenz eher „Standard Operating Procedure“ (fd 38 735) an, denn in Morris’ Dokumentarfilm wie in Tommy O’Havers Spielfilm-Rekonstruktion eines wahren Falls werden die Geschehnisse anhand der Aussagen der Folterer bzw. derjenigen, die das Verbrechen zumindest geduldet haben, aufgerollt.
Die Basis dazu geben in „An American Crime“ Zeugenaussagen ab, die 1966 während der Gerichtsverhandlung um die Misshandlung des Mädchens aufgenommen wurden. Diese Statements, in denen die Beteiligten ihr Verhalten zu erklären versuchten, dienen in der Rahmenhandlung als Aufhänger für lange, in sanften Braun- und Pastelltönen zunächst harmlos wirkende Rückblenden. Stück für Stück ergibt sich daraus die Leidensgeschichte der jungen Sylvia, die während des Sommers zusammen mit ihrer jüngeren Schwester von den Eltern der Obhut von Gertrude Baniszewski anvertraut wird. Dieser, selbst Mutter einer großen Kinderschar, kommen die 20 Dollar, die Sylvias Eltern alle 14 Tage für den Unterhalt der Töchter schicken, gerade recht, ist doch die finanzielle Lage der alleinerziehenden und obendrein gesundheitlich schwer angeschlagenen Frau so prekär, dass sie jeden Cent gut brauchen kann. Zunächst scheint es den Mädchen trotz der Not ihrer Pflegemutter bei den Baniszewskis recht gut zu gehen. Doch dann vertraut die älteste der Baniszewski-Töchter, Paula, Sylvia an, dass sie von ihrem verheirateten Freund schwanger ist. Ohne dass Sylvia wirklich etwas dafür kann, wendet sich dieses Geheimnis mehr und mehr gegen sie: Angesichts der drohenden Schande, sollte die Schwangerschaft publik werden, richtet sich Paulas Groll gegen ihre Mitwisserin. Sie erzählt der Mutter Lügen über Sylvia, was dazu führt, dass diese immer drastischeren Strafen unterworfen wird. Während Paulas Zustand von der Familie verdrängt wird, landet Sylvia als unerziehbare „Schlampe“ im Keller, wo sie von Mrs. Baniszewski, deren Kindern und bald auch einigen Kindern und Jugendlichen aus der Nachbarschaft grausam malträtiert wird.
Tommy O’Haver macht aus diesem „american crime“ einen verstörenden Film, in den sich das Grauen ganz langsam einnistet. Die Fakten werden nie reißerisch ausgeschlachtet, die Analyse fällt äußerst differenziert aus. Ohne so weit auszuholen, dass die dichte Geschichte zerfasern würde, gelingt es dem Regisseur und seinen großartigen Darstellerinnen, allen voran Catherine Keener als Gertrude, unterschwellige Missbrauchs- und Gewaltstrukturen zu reflektieren, die auf die Baniszewski-Frauen einwirken: die Normen einer konservativen, bigotten Gesellschaft, in der eine Frau wie Gertrude (deren Ehemann sie verlassen hat und deren jüngstes Kind von einem Geliebten stammt) nur wenig vom sozialen Aus trennt. Sylvia wird in dieser Situation zum Sündenbock, an dem der Druck ausagiert wird. Wenn gezeigt wird, wie ein Nachbarmädchen von den anderen Kindern in Sylvias Keller-Gefängnis geführt und eingeladen wird, das „böse“ Mädchen wie die anderen Kinder mit einer brennenden Zigarette zu quälen, und sich schließlich mit einer Mischung aus Abscheu, Faszination und Neugier auch darauf einlässt, wirft das indes unangenehme Fragen nach der Natur des Menschen auf. Wegerklären kann und will O’Haver die Beweggründe, die dazu führen, dass Menschen anderen Menschen etwas so Grausames antun, letztlich nicht – und gerade das macht seinen Film zu wesentlich mehr als der Rekonstruktion eines historischen Falls.
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