Nach den dröhnend drohenden Generalbässen der Surround-Anlage erscheint aus der Schwärze der Leinwand zunächst ein irritierendes Pausenzeichen, bevor die Einblendungen suggerieren, dass das, was nun folgt, der Inhalt eines von den amerikanischen Behörden sichergestellten Digi-Tapes einer Privatperson ist. Es zeigt die Aufzeichnungen jenes Tages, der für Manhattan der letzte sein wird; ungefiltert, ungeschönt und ungeschnitten. Es beginnt mit dem idyllischen Beisammensein zweier offensichtlich frisch Verliebter, um dann unvermittelt in die chaotische Aufzeichnung einer Überraschungsparty zu münden. Sie wird zu Ehren eines jungen Mannes namens Rob veranstaltet, der sich anschickt, in Japan Karriere zu machen. Nach einigen Abschieds- und Freundschaftsbekundungen kommt das Dröhnen der Bässe zurück, das nun auch den Agierenden auf dem Tape nicht verborgen bleibt. War es ein Erdbeben, eine Explosion? Wenige ungelenke Schnitte später finden sich die Freunde draußen auf der Straße wieder. Panik macht sich breit; weitere Erschütterungen folgen, und plötzlich kracht ein riesiger Brocken unweit von ihnen auf die Straße. Es ist der Kopf der Freiheitsstatue – das Ende der Welt ist nahe!
Es ist besser, dass ich nichts weiß – ist hier das Konzept der Filmemacher um „Lost“-Produzent J.J. Abrams. Man ertappt sich dennoch bald nach Beginn des Films bei der Hoffnung, das unübersichtliche Handkamera-Gewackel möge aufhören, das Tape stoppen und stattdessen eine nachvollziehbare, klare Einführung in die Handlung erfolgen. Doch nichts passiert, was den Zuschauer in jene Sicherheit wiegen könnte, die die Konventionen klassischer Genrefilme garantieren. Die ungelenke Amateurkamera – Drop-Outs, Überlagerungen von eigentlich gelöschten Sequenzen, das Rauschen, das Ruckeln – und die Ungewissheit werden ständige Begleiter sein. Im Vergleich scheinen die Aufzeichnungen vom „Blair Witch Project“
(fd 33 983) die einer veritablen Hollywood-Produktion zu sein – „You Tube“ lässt grüßen!
Der jugendliche Amateurfilmer ist seit der Überraschungsparty der eher unbedarfte Hud. Einmal von Robs Bruder Jason mit dem Auftrag betraut, die Party aufzuzeichnen, lässt er die Kamera nicht mehr los – auch nicht, als um ihn herum die Menschen sterben. Diese Prämisse muss man akzeptieren, wenn man dem Film weiter folgen will. Was im Folgenden passiert, bleibt im Diffusen. Die beiläufig aufgeschnappten Schnipsel aus Nachrichtensendungen nähren den Eindruck einer Invasion. Irgend etwas Großes ist aus dem Meer gekommen und wütet in der Stadt. Ein Monster – wie weiland Godzilla – stellt die planlos agierenden Ordnungskräfte vor eine unlösbare Aufgabe. Wie ein Titan wirkt es in den rudimentären Kameraeinstellungen – und hat obendrein ekelhafte Insekten mit sich gebracht, die es zusätzlich auf die Menschen abgesehen haben. Die Flucht vor der Bedrohung organisiert sich schleppend. Rob will seine Freundin nicht zurücklassen und beginnt seine Suche nach ihr zusammen mit Marlena, Lily und dem Kameramann Hud. Es ist der Beginn einer Odyssee.
„Cloverfield“ ist sicherlich die radikalste Variante des MTV-Ablegers von cinéma vérité – und es ist die stimmigste. Alles, was der Zuschauer hat, sind die letzten Aufzeichnungen einer Gruppe, die verzweifelt versucht zu überleben. Was sonst mit nerviger Attitüde daherkommt und den Kunstanspruch (oder die handwerkliche Unfähigkeit) eines Regisseurs dokumentiert, ist hier zum rohen Dokument mutiert, aus dem sich der Zuschauer mühevoll sein Bild des Geschehens basteln muss. Es ist beachtlich, wie es Regisseur Matt Reeves gelingt, das Dokumentarische zu suggerieren; zumal es sich hier nicht um ein „Dogma“- Projekt handelt, sondern um einen handfesten Horrorfilm. „Cloverfield“ entwirft eine schonungslose Chronologie einer vom Grauen erfassten Menschheit – und lässt den Zuschauer damit allein. Das geschieht – ungewöhnlich für einen aktuellen Horrorfilm – relativ unblutig, ist aber ob der chronischen Lethargie, der allumfassenden Machtlosigkeit und Ungewissheit umso erschreckender und nachhaltig unangenehm. „Cloverfield“ hat seine Wurzeln im japanischen Monsterfilm, ohne ihn zu kopieren. Man könnte orakeln, der Film sei ein konsequenter Kommentar auf den 11. September – manche Bilder der in Chaos gestürzten Stadt legen das ohne Zweifel nahe. Dennoch ist diese Interpretation nicht zwingend, denn die Urangst, die hier beschworen wird, gab es schon lange vor 2001. „Cloverfield“ ist nicht mehr und nicht weniger als ein atemberaubender Horrorfilm. Ob seiner radikalen Machart genießt er den Status des Singulären. Von daher hat „Cloverfield“ dem Horrorfilm einen Höhepunkt beschert, wenn auch vielleicht keinen neuen Weg gewiesen.