4 Monate, 3 Wochen und 2 Tage

Drama | Rumänien 2007 | 114 Minuten

Regie: Cristian Mungiu

In Rumänien, noch unter Ceausescus Herrschaft, unterstützt eine junge Frau ihre Freundin bei einer illegalen Abtreibung. Dabei geraten sie in die Hände eines gewissenlosen Mannes, der ihre Situation brutal ausbeutet. Ohne moralische Beurteilung skizziert der Film vor dem Hintergrund der Geschehnisse von wenigen Stunden die Verhältnisse in einem Land, das von Tristesse, Angst und Repression geprägt ist. Dabei bedient sich der Regisseur betont minimalistischer Stilmittel, die adäquat und umso wuchtiger das latente Grauen des Alltags und die allgegenwärtige Unterdrückung zum Ausdruck bringen. (Kinotipp der katholischen Filmkritik) - Sehenswert.
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Filmdaten

Originaltitel
4 LUNI, 3 SAPTAMINI, SI 2 ZILE
Produktionsland
Rumänien
Produktionsjahr
2007
Produktionsfirma
Mobra Films /Saga Film
Regie
Cristian Mungiu
Buch
Cristian Mungiu
Kamera
Oleg Mutu
Schnitt
Dana Bunescu
Darsteller
Anamaria Marinca (Otilia) · Laura Vasiliu (Gabita) · Vlad Ivanov (Herr Bebe) · Alex Potocean (Adi) · Luminita Gheorghiu (Frau Radu, Adis Mutter)
Länge
114 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 16; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert.
Genre
Drama
Externe Links
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Heimkino

Die Extras umfassen u.a. Interviews mit Regisseur Cristian Mungiu und Kameramann Oleg Mutu sowie ein Feature mit nicht verwendeten Szenen.

Verleih DVD
Concorde (16:9, 2.35:1, DD2.0 rum. DD5.1 dt., dts dt.)
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Diskussion

Glaubt man der Mehrzahl der Kritiker, erlebt das europäische Filmschaffen gerade eine Blütezeit: Europäische „Neue Wellen“ und „Filmschulen“ sprießen wie Pilze aus dem Boden. Kaum hat man die österreichische (natürlich: Wiener Schule) ad acta gelegt, lugt bereits die deutsche („Berliner Schule“) um die nächste Ecke. Und während man sich mit deutscher Gründlichkeit um deren Bedeutung irgendwo zwischen ziselierter Sozialkritik und Neuer Innerlichkeit streitet und darüber diskutiert, wer nun dazugehören darf und wer nicht, taucht anderswo bereits eine neue auf. Man hat manchmal den Eindruck, das Etikett behindert den Blick auf den einzelnen Film und seine Geschichte, so ausufernd wird mit „Schulen“ und „Wellen“ um sich geworfen und – noch schlimmer in der Konsequenz – in deren Sinne interpretiert und qualifiziert. Dabei ist nicht jede Filmstory „Schulen“-kompatibel, und manches „Tool“ aus dem jeweiligen Baukasten überdreht eine Schraube eher, als dass es der nötigen Feinjustierung dient. Aber: Erkennbarkeit ist alles, gerade wenn es um Fördergelder geht! Das Suchen nach dem schlagenden „Kaufargument“ und „Alleinstellungsmerkmal“ („Unique Selling Proposition“ nennt es der Fachmann) durchdringt alle Lebensbereiche. Das neueste Film-Wunder jedenfalls spielt sich gerade in Rumänien ab. Es ist sogar objektiv messbar, zieht man als Indikator das Festival von Cannes zu Rate. Das, was jetzt als „Bukarester Schule“ ausgerufen wird (und deren verbindendes Element miserable Produktionsbedingungen sind), hatte an der Croisette nämlich schon in den letzten Jahren in Gestalt von Catalin Mitulescu („Trafic“), Corneliu Porumboiu („12:08 östlich von Bukarest“) und Cristi Puiu („Der Tod des Herrn Lazarescu“) mit Preisen für Aufsehen gesorgt, bevor 2007 Cristian Nemescus „California Dreamin“ (der Regisseur verstarb 2006 kurz nach Fertigstellung des Films) und Cristian Mungius „4 Monate, 3 Wochen und 2 Tage“ triumphierten. Über einen Kamm scheren lassen sich diese eigenwilligen Filme allerdings nicht so ohne weiteres – was das „Schule-Denken“ noch fragwürdiger macht. In „4 Monate, 3 Wochen und 2 Tage“ zelebriert Mungiu jedenfalls einen Minimalismus der besonderen Art. Fast möchte man glauben, die Zahl der Einstellungen an den Fingern zweier Hände abzählen zu können, was natürlich täuscht. Erzählt wird – jedenfalls vordergründig – die Geschichte einer Abtreibung im Rumänien von 1987, also noch unter Ceaucescus Herrschaft. Seit den 1960er-Jahren war dort dieser Eingriff verboten. Bis man explizit erfährt, um was es geht, ist man schon mitten im Film. Bis dahin bleibt alles rätselhaft, was die beiden jungen Frauen da anstellen: das Packen eines Koffers im tristen Studentenwohnheim; das Organisieren von „Kent“-Zigaretten, einer Art zweiter Währung im Land, die verschlossene Türen zu öffnen vermag; das Treffen der einen jungen Frau mit ihrem Freund, dem sie sich nicht anvertrauen kann und dem selbst nur wichtig zu sein scheint, dass seine Freundin pünktlich zur Geburtstagsfeier seiner Mutter kommt; das missglückte Reservieren eines Hotelzimmers und schließliche Ausweichen in ein anderes Hotel. Erst dann folgt die Begegnung, die für den Zuschauer das bisher Geheimnisvolle und Verborgene in ein umso grelleres Licht setzt. Otilia trifft Herrn Bebe, der das ausübt, was es in Rumänien eigentlich nicht geben darf – und offenbar hat er einen gewissen Ruf erlangt für sein Handwerk. Nicht Otilia muss allerdings seine fragwürdige „Kunst“ in Anspruch nehmen, sondern ihre Freundin Gabita, die jedoch viel zu unselbständig ist, um für sich selbst sorgen zu können. Waren bisher schon Tristesse, Angst und Repression zumindest latent spürbar, so werden sie im erpresserischen Feilschen und in der psychologischen (und der nicht gezeigten physischen) Gewalt, mit der Herr Bebe den ihm ausgelieferten Frauen begegnet, mit Händen greifbar. Die stoische Ruhe, ja Gleichgültigkeit der Kamera, die Reduktion filmischer Mittel steht dabei in krassem Gegensatz zu den Emotionen, die diese minutenlange Einstellung provoziert und ist weit davon entfernt, in den Verdacht plumpen Stilwillens zu geraten. Jeder unnötige Schnitt würde tatsächlich nur relativieren und womöglich bewerten, wo Mungius alles der Urteilskraft des Zuschauers überlässt. Nicht weniger an die Nerven geht die sich anschließende Sequenz. Während Gabita nach dem Eingriff unter Gefahr für das eigene Leben auf den „Abgang“ ihres Kindes wartet (der Filmtitel verrät das wahrscheinliche Stadium der Schwangerschaft), kommt Otilia ihrer Pflicht nach und besucht die Familienfeier im Haus ihres Freundes, dessen Vater offenbar ein arrivierter Akademiker ist. Was jedoch dem Stumpfsinn der Veranstaltung und dem erschreckend reaktionären Geist der Beteiligten keinen Abbruch tut. Auch dafür zu begreifen, dass es Otilia, die in Gedanken immer bei ihrer Freundin ist, innerlich zerreißt – zumal sich auch ihr Freund als wenig unterstützend erweist –, lässt Mungius dem Zuschauer jede Menge Zeit. Wie nah Triviales, Banales, Schreckliches, Verzweiflung und Terror in diesem rumänischen Alltag beieinander lagen und den Einzelnen in ausweglos scheinende Situationen brachten, davon erzählt „4 Monate, 3 Wochen und 2 Tage“. Er tut das mit den adäquaten Mitteln, ohne die Ingredienzien des Mainstream-Kinos. Er erfindet das Kino dabei nicht neu (man denke an John Cassavetes), und er muss dafür auch nicht irgendeine „Schule“ absolviert haben. Aber ganz offensichtlich gibt es zur Zeit eine Tendenz, solche Arbeiten – jenseits von Glanz und glatter Oberfläche –, wenn denn die Geschichten überzeugend sind, besonders zu honorieren.

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