Biografisch orientierter Dokumentarfilm über den englischen Maler Francis Bacon (1909-92), der anhand fünf zentraler Liebesbeziehungen die wichtigsten Stationen von Bacons Lebens nachzeichnet. Der eigenwillige Aufriss dient als chronologisches Gerüst, um zahlreiche disparate Materialien zusammenzuhalten, aus denen besonders die Gespräche und Interviews mit Bacon herausragen. Sie gewähren tiefe Einblicke in seine Art und sein Denken, insbesondere auch in seine Obsession mit dem Tod als Vergänglichkeit. (O.m.d.U.)
- Sehenswert ab 16.
Francis Bacon - Form und Exzess
Dokumentarfilm | Großbritannien 2005 | 95 Minuten
Regie: Adam Low
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Filmdaten
- Originaltitel
- FRANCIS BACON'S ARENA | BACON'S ARENA
- Produktionsland
- Großbritannien
- Produktionsjahr
- 2005
- Produktionsfirma
- BBC2 Arena/The Estate of Francis Bacon
- Regie
- Adam Low
- Buch
- Adam Low
- Kamera
- Dewald Aukema
- Musik
- Brian Eno
- Schnitt
- Sean Mackenzie
- Länge
- 95 Minuten
- Kinostart
- -
- Fsk
- ab 12 (DVD)
- Pädagogische Empfehlung
- - Sehenswert ab 16.
- Genre
- Dokumentarfilm
Heimkino
Diskussion
Die Gemälde von Francis Bacon machen einsam. Vor ihnen erstirbt das übliche Gewisper der Museen und breiten sich klamme Inseln der Stille aus, die den Besucherstrom in lauter Einzelne separieren, so als zwänge sich die abgründige Verlorenheit der großformatigen Bilder dem Betrachter auf. Die bis aufs Fleisch reduzierte Kreatur, exemplarisch auf eine leere Bühne gezerrt, appelliert nicht ans Mitleid, sondern formuliert in immer neuen Anläufen einen unerbittlichen Kommentar auf die „conditio humana“: eines „Schattens Traum“, nämlich sterblich zu sein. Der Bann und die Erstarrung, die von Bacons Bildern ausgehen, hat die Frage nach den biografischen Wurzeln seines Schaffens lange verdrängt, obwohl Bacon mit Auskünften über seine Arbeit oder sein Leben nicht zurückhaltend war. Die zeitgenössische Diskussion interessierte sich jedoch mehr für die Gewalttätigkeit hinter den deformierten Körpern als für sein Bekenntnis: „My work is a reflection of my life.“
Eineinhalb Jahrzehnte nach seinem Tod ist die Öffentlichkeit anscheinend aber bereit, die Vita des Malers als wichtige Quelle seiner Kunst zur Kenntnis zu nehmen. In der BBC-Dokumentation „Bacon’s Arena“ droht sich die Perspektive mitunter sogar zu verkehren, wenn Bacons Leben und Werk anhand von fünf langjährigen Partnerschaften aufgeblättert wird, von denen die Beziehung zu George Dyer in „Love is the Devil“ (fd 33 344) schon einmal auf der Leinwand ausgeleuchtet wurde. Mit knappen Strichen werden hier nun seine Kindheit zwischen Dublin und London nachgetragen, die frühe Erkenntnis seiner Homosexualität, der Weg über Berlin und Paris zurück an die Themse, wo er in Roy de Maistre seinen einzigen Lehrer fand, auf den das religiöse „Vokabular“ in Bacons Bildsprache zurückzuführen ist. Um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten, ist Bacon in den 1930er-Jahren reichen Herren in Badehäusern zu Gefallen, wo er auf den konservativen Politiker Eric Hall trifft, der ihn aushält und als Maler protegiert. In den 1950er-Jahren verbindet Bacon mit dem Pianisten Peter Lacy eine extreme sadomasochistische Beziehung. Häufig hält er sich in Tanger auf, wo Lacy lebt. Zugleich beginnt sein Stern als Maler zu leuchten, dem erste große Ausstellungen gewidmet werden. Den Höhepunkt seiner Popularität erreicht Bacon in den 1960er-Jahren, in denen Dyer, ein kleiner Ganove aus dem Londoner East End, sein Gefährte ist. Dessen Selbstmord am Vorabend der großen Bacon-Retrospektive 1971 im Grand Palais in Paris stürzt Bacon in eine tiefe Krise, die ihn zu einem rastlosen Schaffen antreibt. Mitte der 1970er-Jahre tritt John Edwards in sein Leben, ein junges Modell, das wie Dyer häufig Gegenstand seiner Bilder wird. 1990 zieht Bacon nach Madrid, wo er 1992 an Herzversagen stirbt.
Dieser biografische Aufriss dient Adam Low lediglich als chronologisches Gerüst, um eine Vielzahl disparater Materialien zusammenzuführen: umfangreiches Archivmaterial, Interviews mit dem Künstler aus unterschiedlichen Schaffenszeiten, Gespräche mit Freunden und Weggefährten und nicht zuletzt eine große Fülle an Gemälden, die den Film selbst zur beeindruckenden Bacon-Retrospektive werden lassen. In die Lebengeschichte verwoben sind beispielsweise wichtige bildästhetische Erkundungen, etwa der Einfluss der Fotografie auf Bacons Werk, insbesondere der Bewegungsstudien von Eadweard Muybridge, die immer wieder als Vorlage dienten. Bezeichnend auch die Erkenntnis, dass die berühmte Serie über die schreienden Päpste lediglich von einer „Innozenz X“-Reproduktion angeregt wurde; Bacon weigerte sich sogar, das Original von Diego Velázquez anzusehen, als er in Rom Gelegenheit dazu gehabt hätte. Vor allem die Interviews und Gespräche mit Freunden, in denen Bacon selten nüchtern zu sehen ist, gewähren tiefe Einblicke in seine Art und sein Denken, wobei die Kombination aus Uneitelkeit und intellektueller Schärfe den stärksten Eindruck hinterlässt. Aufs Neue verblüfft auch der krasse Gegensatz zwischen dem mit Malpaletten, Farbtuben und Zehntausenden von Pinseln vollgemüllten Londoner Atelier und den extrem reduzierten Meisterwerken, die inmitten dieser Unordnung entstanden.
Manche der assoziativen Montagen und Kurzschlüsse muten vermessen an, und nicht immer lassen sich die biografischen Notizen mit den Filmbildern in Einklang bringen. Manche Zeitabschnitte und Begegnungen sind gut belegt, andere wie etwa die Beziehung zu Lacy werden mehr an- als ausgeführt. Dies limitiert auch manche Behauptung, etwa über Bacons Sexualität, wenngleich sich die Dokumentation wohlweislich nicht die Last einer kunstwissenschaftlichen Beweisführung auferlegt. Entscheidend aber ist, dass der Film keine übliche Hagiografie sein will, sondern eine These über Bacon und sein Werk wagt, die bereits im englischen Originaltitel anklingt: die (Stier-)Arena als Metapher und Bild eines Daseins, dessen letaler Ausgang unausweichlich ist, selbst wenn der Bulle den Torero zwischendurch auf die Hörer nimmt. Bacons lebenslange Obsession galt freilich nicht dem Moment des Todes oder dem Sterben an sich, sondern der Vergänglichkeit, dem Fleisch und Kadaver, von dem nur Zähne und Knochen übrig bleiben, wie es Bacon bereits im ersten O-Ton intoniert. Aus diesem Grund kommt der Film immer wieder auf die Tötungsszenen in der Stierarena zurück und lässt das letzte lange Interview mit dem betagten Bacon im Bekenntnis enden, dass am Tod, dem „great coming up“, letztlich die Liebe ebenso scheitert wie die Kunst.
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