In einer tristen Stadt, in der alteingesessene Israelis und russische Immigranten leben und doch nicht recht zu einer Gemeinschaft zusammenwachsen können, nimmt ein 13-jähriger israelischer Junge Tanzunterricht, um seiner jugendlichen Angebeteten näher zu kommen. Er wird jedoch einer anderen Partnerin zugeteilt, deren Qualitäten er anfangs nicht erkennen will. Im scheinbar schlichten Jugendkonflikt entfaltet sich das Dilemma einer multikulturellen Gesellschaft, die ihre Probleme noch lange nicht überwunden hat. Der Tanz und die Liebe werden als utopische Möglichkeiten gefeiert, wie trotz aller Hindernisse Nähe gelingen kann. Ein poetisches Kinomärchen.
- Sehenswert ab 14.
Love & Dance
- | Israel 2006 | 97 Minuten
Regie: Eitan Anner
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Filmdaten
- Originaltitel
- SIPUR HATZI-RUSSI
- Produktionsland
- Israel
- Produktionsjahr
- 2006
- Produktionsfirma
- Bleiberg Ent./July August Prod.
- Regie
- Eitan Anner
- Buch
- Eitan Anner
- Kamera
- Itzik Portal
- Musik
- Jonathan Bar-Giora
- Schnitt
- Tali Halter-Shenkarusic
- Darsteller
- Jewgenia Dodina (Yulia) · Avi Kushnir (Rami) · Oksana Korostyshevskaya (Lena) · Kirill Safonov (Roman) · Vladimir Volov (Chen)
- Länge
- 97 Minuten
- Kinostart
- -
- Fsk
- ab 6; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Sehenswert ab 14.
- Externe Links
- IMDb | TMDB | JustWatch
Heimkino
Diskussion
Lieben und Tanzen – zwei mehr oder weniger intensive menschliche Kommunikationsformen, meist personalisiert durch ein Paar, das gemeinsam ein Stück Lebenszeit verbringt, dabei bestimmten Verhaltensregeln und Rhythmen folgt und bestenfalls zu einer harmonischen Einheit zusammenfindet. Doch um diesen Gleichklang zu erlangen reicht es nicht, nur die Schritte zu kennen. Man muss mit dem Herzen dabeisein, denn die „korrekte“ Performance von Beziehungen und Standardtänzen stellt ohne die dazugehörigen Gefühle nichts als eine sinnentleerte Illusion dar.
Diese Lektion muss auch der 13-jährige Chen lernen, als er mit seiner Kamera im Gemeindezentrum Ashdods die schöne Tanzschülerin Natalie bei ihren Übungen vor dem Spiegel einfängt, sich bis über beide abstehenden Ohren verliebt und in ihre Unterrichtsstunden schmuggelt. Die Tanzlehrerin Yulia teilt ihm jedoch zunächst die etwas spröde (und dennoch wesentlich sympathischere) Sharon zu, deren ernsthafte Zuneigungsbekundungen Chen hingegen in seiner Faszination für Natalie unbeabsichtigt immer wieder zurückstößt. Gemeinsam trainieren sie für die Teilnahme am bevorstehenden nationalen Tanzwettbewerb; der tapsige Chen und die eigenwillige Sharon genauso wie die eitle Natalie und ihr besitzergreifender Tanzpartner Artur.
Ashdod stellt sich für die Heranwachsenden als trostlose, am Reißbrett entstandene Heimatstadt heraus, die, eingeschnürt zwischen der ausgedehnten Weite des Meeres und der Wüste, in ihren Plattenbauten alteingesessene Israelis und Immigranten aus der ehemaligen Sowjetunion beherbergt. Die Stadt spaltet sich an ihren Integrationsproblemen in zwei Lager – was erstaunt, müssten sich diese doch eigentlich durch die zahlreichen israelisch-russischen Eheschließungen auflösen. Wie instabil die eheliche Brücke zwischen den Kulturen konstruiert ist, erlebt Chen jedoch täglich anhand des zerrütteten Ehelebens seiner Eltern. Während der Vater stundenlang wandernde Sanddünen abzulichten versucht und beim Broterwerb im eigenen Fotostudio Frischvermählten mit seinen desillusioniert-ironischen Bemerkungen das Lächeln vom Gesicht fegt, wagt die vernachlässigte Mutter fernab der russischen Heimat mit dem Besuch des Salsa-Unterrichts bei Roman, dem Partner Yulias, einen letzten Ausbruchsversuch aus der ehelichen Lethargie. Roman und Yulia Rabinovich, die früher als erfolgreiches Tanz- und Liebespaar die Bühnen Russlands unsicher machten und nun die Tanzstunden im Gemeindezentrum betreuen, bilden das zweite problembeladene, interkulturelle Paar, das mittlerweile nur noch die erforderlichen Schritte ausführt anstatt wirklich gemeinsam zu tanzen, wie es Yulia einmal ausdrückt. Bei den Rabinovichs scheint es, anders als bei Chens Eltern, mehr an den Gefühlen füreinander als an äußeren höflichen Gepflogenheiten im Umgang miteinander zu hapern.
Die Probleme der Erwachsenenwelt mit ihren zerbrechenden Beziehungen unter der nur scheinbar glücklichen Oberfläche und ihren Integrationsschwierigkeiten im zweisprachigen Melting-Pot Ashdod spiegeln sich auch im Verhalten der ebenso nuanciert wie ungewöhnlich ehrlich gezeichneten jungen Charaktere wider, wobei auch deren frühe Veranlagung zu Psychosen nicht ausgespart wird. Der sensible Chen betrachtet seine erdrückende Umwelt zunächst durch das distanzierte Auge seiner Videokamera, die den romantischen Kontakt zu Natalie erst ermöglicht. Das zwischen extremer Unsicherheit und selbstverliebter Eitelkeit schwankende Mädchen träumt von einer Karriere als Model und ist dabei so in ihrer Welt des äußeren Scheins gefangen, dass sie jegliches Selbstwertgefühl verliert und sich nur noch durch die Reflexion in den Augen anderer wahrnehmen kann. Artur, ihr grausamer Tanzpartner, kehrt die selbst erlittene häusliche Gewalt nach außen, anders als sein kleiner Bruder, der als eine der rührendsten Figuren des Films in einem großen Pappkarton mit Gesichtsfenster den Nachbarskindern Küsse für 50 Schekel anzupreisen versucht – 50 Schekel Belohnung für jeden, der ihn küsst, wohlgemerkt. Er versinnbildlicht das kindliche Bedürfnis nach tiefgehender Zuneigung, nach der die kleinen und großen Protagonisten in den sonnendurchfluteten, ausgetrockneten Betonplätzen von Ashdod dürsten. Regisseur Eitan Anner hat dabei in melodischen Bildern eine poetische Liebeserklärung an die Liebe selbst und an den Tanz als ihre bezeichnendste Ausdrucksform geschaffen, die selbst in entbehrungsreichen Zeiten Trost spenden kann. Beim finalen Ausscheidungstanz stürmen die füreinander bestimmten Pärchen regelwidrig die Tanzfläche, drehen sich alle zusammen und doch nur füreinander im Rumba-Rhythmus durch die heruntergekommene Turnhalle, während die in den Beziehungen wie im Tanz unfair spielenden Teilnehmer erfolglos das Parkett verlassen müssen: das wunderschöne Ende eines liebes- und lebensbejahenden Kinomärchens – leider fast zu schön, um wahr zu sein.
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