Biografischer Film über die französische Chanson-Ikone Edith Piaf (1915-63) von ihrer entbehrungsreichen Kindheit im Bordell ihrer Großmutter und beim alkoholsüchtigen Vater bis zu ihrer Karriere von der Pariser Straßensängerin zum Weltstar; dazwischen berufliche und private Höhen wie Tiefen, bis zu ihrem frühen Krebstod. Dramaturgisch holprig springt der Film in der Zeit vor und zurück, verliert Personen aus den Augen und lässt weder den Bildern noch den Geschichten Raum, um sich zu entfalten. Einzig die großartige Hauptdarstellerin und die unvergesslichen Piaf-Chansons heben ihn aus dem inszenatorischen Patchwork-Einerlei heraus und lassen für einige berührende Augenblicke einen Mythos auferstehen.
- Ab 14.
La vie en rose
Biopic | Frankreich 2007 | 140 Minuten
Regie: Olivier Dahan
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Filmdaten
- Originaltitel
- LA MÔME
- Produktionsland
- Frankreich
- Produktionsjahr
- 2007
- Produktionsfirma
- Légende/TF1 Films/Songbird Pic./Okko Prod.
- Regie
- Olivier Dahan
- Buch
- Olivier Dahan
- Kamera
- Tetsuo Nagata
- Musik
- Christopher Gunning
- Schnitt
- Yves Beloniak · Richard Marizy
- Darsteller
- Marion Cotillard (Edith Piaf) · Sylvie Testud (Mômone) · Clotilde Courau (Annetta Gassion) · Jean-Paul Rouve (Louis Gassion) · Pascal Greggory (Louis Barrier)
- Länge
- 140 Minuten
- Kinostart
- -
- Fsk
- ab 12; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 14.
- Genre
- Biopic
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Heimkino
Diskussion
Das Leben Edith Piafs (1915-1963), jener zierlichen Sängerin mit der voluminösen Stimme, die wie keine andere zum Synonym für das französische Chanson wurde, flackerte schon einige Male über die Kinoleinwände. In „Chanson der Liebe“ (1946, fd 28 425) spielte sie sich quasi selbst, auch wenn die biografischen Anleihen rudimentär waren und eine „Film im Film“-Geschichte beim Umbruch zwischen Stumm- und Tonfilm im Mittelpunkt stand. Brigitte Ariel lieh 1973 dem „Spatz von Paris“ im gleichnamigen Film von Guy Casaril (fd 19 103) ihre täuschend ähnliche Stimme, drang aber wie die Inszenierung nicht zum Kern des „Mythos Piaf“ vor. Claude Lelouch kam da mit „Edith und Marcel“ (1983) schon näher an die Chanson-Ikone heran, vor allem weil er sich auf den wohl wichtigsten Abschnitt im Leben der Piaf – ihre tragisch endende Liebe zu dem Box-Weltmeister Marcel Cerdan – beschränkte und ihre Lieder im Original beließ. Zudem gelang ihm mit der Besetzung der Cerdan-Rolle durch dessen eigenen Sohn einer seiner schon sprichwörtlich-genialen „Nichtschauspieler“-Coups.
Nun versucht sich der mit Kurzfilmen, Musikvideos und einigen zwischen Anspruch („Frères“, 1994) und Kommerz („Die purpurnen Flüsse 2“, fd 36 423) angesiedelten Spielfilmen aufgefallene Olivier Dahan an Frankreichs Chanson-Denkmal. Und er holt zum großen Rundumschlag auf ihr allzu kurzes Leben aus: die trostlose Kindheit der früh von der Mutter, einer Straßensängerin, verlassenen Edith im Bordell ihrer Großmutter väterlicherseits; ihre jahrelange, auf wundersame Weise geheilte Blindheit; das Leben mit ihrem alkoholsüchtigen Vater, den sie mit 15 Jahren verlässt, um als Straßensängerin nach Paris zu gehen. Stets begleitet von ihrer treuen Freundin Mômone, wird sie dort 1935 von dem Nachtclubbesitzer Louis Leplée entdeckt, der ihr Mentor wird und ihr den Spitznamen „La môme“ (Der Spatz) gibt, der ihr „Markenzeichen“ werden sollte. Ihre magische Stimme macht sie zum Weltstar, ihre leidenschaftlichen Affären füllen die Gazetten. Als sie in den Armen des verheirateten Marcel zur Ruhe zu kommen scheint, stirbt dieser bei einem Flugzeugabsturz. Der Rest ihres Lebens ist geprägt von Alkohol, Drogen, Augenblicken des Glücks und tragischen Abstürzen, denen am 11. Oktober 1963 nach langer, qualvoller Krankheit der Krebstod folgt.
Am Anfang und am Schluss des Films steht ein Zusammenbruch auf der Bühne: bei Edith Piafs US-Gastspiel, als sie „Heaven Have a Mercy“ singt, und im Pariser „Olympia“, als sie mit „Non, je ne regrette rien“ ihre so zerbrechliche Identität geradezu herausschreit und -schluchzt. Dazwischen springt Oliver Dahans Inszenierung zwischen den Dekaden hin und her. Opulente Außen-Tableaus, denen man allzu oft den Studio-Touch ansieht, wechseln mit kammerspielartigen Szenen von großer Intensität. Manchmal scheint es, als hechle Tetsuo Nagatas CinemaScope-Kamera den Personen und Stationen nur hinterher, ohne die Ruhe zum Porträtieren zu finden. Es gibt außer der Piaf nur wenige Konstanten in diesem biografischen Flickenteppich: der von Gérard Depardieu mit rauer Grandezza verkörperte Leplée, Mômone, der Sylvie Testud eine berührende Authentizität gibt, und Ediths jahrelanger Weggefährte Louis Barrier, dem Pascal Greggory mit stiller Intensität Gestalt verleiht.
Bezeichnend für Dahans unausgegorenen Inszenierungsstil ist, dass ausgerechnet der Mittelpunkt von Ediths Leben, ihre Liebe zu Marcel, weder im Spiel des Darstellers Jean-Pierre Martins Kontur gewinnt noch dass Dahan seiner Hauptfigur genügend Zeit einräumt, um den Zuschauer die tiefe Leidenschaft dieser Liaison miterleben zu lassen. Manche Personen, etwa Ediths ständig wechselnden Männerbekanntschaften, verschwinden so schnell aus Bild und Handlung wie sie in sie eingetreten sind, machen eine Zuordnung unmöglich. Als man am Ende erstmals erfährt, dass Edith Piaf auch eine Tochter hatte, weiß man nicht so recht, ob ausführlichere Szenen dem Endschnitt zum Opfer gefallen sind oder ob Dahan und seine Koautorin einfach geschludert haben. Dieselbe Frage stellt man sich auch bei den Auslassungen: Weder Piafs Unterstützung der Résistance während der Nazi-Besatzungszeit noch ihre Freundschaften mit Yves Montand, Charles Aznavour, Jean Cocteau oder Charles Chaplin finden Erwähnung. Nur die Begegnung mit Marlene Dietrich ist Dahan ein Schlaglicht wert. Kaum gesehen, hastet er weiter zur nächsten oder längst vergangenen Lebensstation. Immerhin zeigt er Respekt vor den Liedern, und so kann man „Padam“, „Milord“, „L’hymne à l’amour“ und „Mon Dieu“ in voller Länge genießen – auch wenn man nicht immer erkennt, ob nun Edith Piaf selbst singt, ein Gesangs-Double oder ihre Darstellerin Marion Cotillard. Diese ist es schließlich, die „La vie en rose“ aus den Niederungen eines ambitioniert gemeinten, aber dramaturgisch holprigen Bio-Pics heraushebt. Wie sie mit aufgerissenen Augen die kokette 18-Jährige, mit grell überschminkten Lippen die launische 30-Jährige und die von Arthritis verkrümmte und vom Krebs gezeichnete 47-Jährige spielt, ist eine schauspielerische Tour de Force, wie man sie beeindruckender von einer jungen Darstellerin schon lange nicht mehr im Kino gesehen hat. So, als sei sie mit der Rolle wirklich gealtert, haucht sie der Piaf ein zweites Leben ein, das berührt, als wäre man unmittelbar Zeuge ihrer himmelhoch jauchzenden und zu Tode betrübten Launen, ihrer Glücksmomente und tragischen Schicksalsschläge.
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