Eine Bosnierin macht sich auf den Weg in die Schwäbische Alb, um dort nach ihrer während des Balkankriegs nach Deutschland evakuierten und von einer Pflegefamilie adoptierten Tochter zu suchen. Es gelingt ihr, die Verschwundene zu finden, während ihre Anwesenheit bei der deutschen Kleinfamilie zu einigen Verwerfungen führt. Der hellsichtige Film ist beredtes Abbild einer typischen, zwischen romantischer Projektion und Mitleidspathos oszillierenden Haltung vieler Deutscher gegenüber dem Balkan. Dabei lebt er vor allem von der Präsenz seiner Hauptdarstellerin.
- Ab 14.
Stille Sehnsucht - Warchild
Drama | Deutschland/Slowenien 2005 | 104 Minuten
Regie: Christian Wagner
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Filmdaten
- Produktionsland
- Deutschland/Slowenien
- Produktionsjahr
- 2005
- Produktionsfirma
- Christian Wagner Film/Atudio Maj/Viba Film/SWR/BR/arte
- Regie
- Christian Wagner
- Buch
- Edin Hadzimahovic · Stefan Dähnert
- Kamera
- Thomas Mauch
- Musik
- Konstantia Gourzi · Xaver Naudascher
- Schnitt
- Jens Klüber
- Darsteller
- Labina Mitevska (Senada) · Senad Basic (Samir) · Crescentia Dünßer (Adoptivmutter Heinle) · Otto Kukla (Adoptivvater Heinle) · Miranda Leonhardt (Maria)
- Länge
- 104 Minuten
- Kinostart
- -
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 14.
- Genre
- Drama
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Heimkino
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Die Geschichte folgt einer realen Vorlage: Während des Krieges in Bosnien-Herzegowina evakuierte das Rote Kreuz eine Gruppe kranker Kinder nach Deutschland. Einige von ihnen wurden im Glauben, dass ihre Eltern ums Leben gekommen seien, zur Adoption freigegeben. Die zwölfjährige Aida war eines dieser Kinder, die als Kristina Heinle in der kleinen Gemeinde Lonsee bei Ulm aufwächst. Bis Aidas biologische Mutter, die Bosnierin Senada, eines Tages ein Bild ihrer Tochter in der Zeitung entdeckt, sich auf den Weg nach Deutschland macht und auf der Schwäbischen Alb landet, wo sie ihr Kind aufspürt. Doch Kristina lebt in geordneten Verhältnissen und ahnt nichts von ihrer Herkunft; Senada befindet sich zum zweiten Mal in ihrem Leben in der Situation, ihre Tochter zu verlieren.
Drehbuchautor Edin Hadzimahovic variierte für „Warchild“ die Geschichte eines bosnischen Großvaters, der sein Enkelkind in Großbritannien fand. Der Film greift ein wichtiges, universelles Thema auf. Regisseur Christian Wagner kommt das Verdienst zu, dieses Thema in der Mitte Europas zu verorten und damit einige simple Wahrheiten ins Gedächtnis zurückzurufen, die zu oft verdrängt werden: Dass Sarajevo beispielsweise nur einige hundert Kilometer von Ulm entfernt ist, aber doch unendlich fern scheint. Um in die Nähe ihres Kindes zu gelangen, bezahlt Senada einen Schlepper, der sie im Laderaum eines Fischkutters über die Adria befördert. Ohne Pass und Visum wagt sie sich in die bürokratische Vorhölle des Jugendamtes, wo sie auf eine mütterlich-hilfsbereite Beamtin trifft. Diese weiß um das Schicksal der vergewaltigten Frauen in Bosnien, doch das Adoptivrecht lässt keine Ausnahme zu. Sie verlangt von Senada, was diese in den letzten zehn Jahren ständig üben musste: Geduld. Doch genau die hat die junge Mutter nicht mehr. Sie fährt nach Lonsee, um ihr Kind zu sehen, und schafft es schließlich, Kontakt zum Adoptivvater zu bekommen.
Hier nimmt Wagner einen älteren Faden seiner „Balkan Blues Trilogie“ wieder auf, als dessen mittlerer Teil „Warchild“ erscheint. Wie die junge Kroatin in „Zita“ (1999) zwischen die Fronten einer „toten Ehe“ gerät, weckt auch Senadas Erscheinen Begehrlichkeiten beim Adoptivvater, dessen Ehe auf ein Mindestmaß geschrumpft ist. Die Fremde mit dem slawischen Akzent verspricht die Leidenschaft, die im postmodernen Öko-Haus längst verloren gegangen ist. Von nun an wird Senadas Leid von der Ehekrise im Hause Heinle überdeckt. Allerdings werden die Konflikte in bedeutungsschwangerer Schriftsprache intoniert – so spricht in Deutschland seit dem Abgesang auf den Autorenfilm kein Mensch mehr. Obwohl vor jedem Satz nach Atem gerungen wird, geht „Warchild“ bei den Dialogen schnell die Luft aus. Gerettet wird der Film von Labina Mitevska, die seit Milcho Manchevskis „Vor dem Regen“ (fd 31 531) und Michael Winterbottoms „Welcome to Sarajevo“ (fd 33 177) als balkanischer Frauentypus populär ist. Ihre Präsenz bewahrte selbst flaue Arbeiten wie Michael Baumanns „Weg!“ (2002) vor der Bedeutungslosigkeit. In „Warchild“ kommt ihr, zusammen mit dem kongenialen Senad Basic, eine ähnliche Funktion zu. Wagner drapiert sie in Sets, die den südosteuropäischen Wahrnehmungsmustern entsprechen: ein schmuddeliger Marktplatz, die Mafia im Hinterzimmer, eine mit übergeschnappten Kleinkriminellen bevölkerte schwäbische Absteige namens „Hotel Dubrovnik“. Gefangen in den Klischees, agiert Mitevska vor allem als Mitevska, um der Person der Senada zu ein wenig Ehre zu verhelfen. Diese erscheint nämlich vor allem als Opfer. Erdrückt von einem schwulstigen Soundtrack, wurde der resoluten Mittdreißigerin ein Schicksalsschlag nach dem anderen ins Skript geschrieben. Lars Heinle fühlt sich zu der emotional aufgewühlten Senada hingezogen – ein Verhältnis, das symptomatisch ist für die Beziehung vieler Deutscher zum Balkan, die zwischen romantischer Projektion und paternalistischem Mitleidspathos pendelt. Auf dem kleinsten gemeinsamen Mitleidsnenner bleibt den bosnischen Protagonisten, die im Gegensatz zu den deutschen bezeichnenderweise keine Nachnamen tragen, keine Chance, psychologischen Tiefgang zu entfalten. Hinter der politisch korrekten Grundaussage wird ein Unterton spürbar, der den Sympathieträgern bloßen Objektcharakter zuweist.
Am Schluss des Films erscheinen Senada, Samir und der Menschenschmuggler aus Brcko, um Kristina mit nach Bosnien zu nehmen – schwarzhaarig, schlampig gekleidet, unrasiert und mit illegalem Aufenthaltsstatus. Aida/Kristina flüchtet verängstigt in die Arme ihrer Adoptiveltern. Das Kind kommt im übrigen nur zweimal zu Wort, was sehr schade ist, da eine entsprechende Figurenzeichnung dem Plot eine intensive Dreierkonstellation beschert hätte.
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