Play Your Own Thing - Eine Geschichte des Jazz in Europa

Musikfilm | Deutschland/Dänemark/Schweiz/Norwegen/Finnland 2006 | 93 (TV 59) Minuten

Regie: Julian Benedikt

Eine filmische Reise durch die Geschichte der Jazz-Musik in Europa seit der Nachkriegszeit in Paris über ihre jeweils länderspezifischen und individuellen Ausprägungen bis zur Gegenwart, in der sich eine Vielzahl vorzüglicher europäischer Musiker als Repräsentanten eines höchst kreativen Jazz erweisen, der zwar seine amerikanischen Wurzeln respektiert und pflegt, zugleich aber stets die Kraft und das Selbstbewusstsein einer eigenständigen kulturellen Identität ausstrahlt. Ein begeisternder Einstieg in eine bislang kaum geleistete musikalische Geschichtsschreibung, ebenso unterhaltsam und kurzweilig wie kenntnis- und informationsreich. (teils O.m.d.U.) - Sehenswert ab 12.
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Filmdaten

Originaltitel
PLAY YOUR OWN THING: A STORY OF JAZZ IN EUROPE
Produktionsland
Deutschland/Dänemark/Schweiz/Norwegen/Finnland
Produktionsjahr
2006
Produktionsfirma
Benedikt Pic./Eikon/Delphi/ZDF/DR/SF/NRK/YLE/Jazzclub Birdland/Von Philipp Foundation
Regie
Julian Benedikt
Buch
Julian Benedikt
Kamera
Peter Indergand · Frank Griebe · Vladimir Subotic
Schnitt
Andrew Hulme
Länge
93 (TV 59) Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 12.
Genre
Musikfilm | Dokumentarfilm
Externe Links
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Diskussion
In den Klangwelten von Musikern wie Jan Garbarek, Bobo Stenson, Bugge Wesseltoft, Terje Rypdahl oder Esbjörn Svenson spiegeln sich jeweils ganz unverwechselbar die Landschaften und Atmosphären Skandinaviens; in den filigranen Trompetentönen Tomasz Stankos bündelt sich eine Klangsphäre, die unverwechselbar für die reiche Tradition der zeitgenössischen polnischen Musik steht; der enorme Reichtum an mediterranen Tönen, Rhythmen und Melodien bricht sich in den mitreißenden musikalischen „Erfindungen“ eines Spaniers wie Chano Dominguez oder von Italienern wie Gianluigi Trovesi, Enrico Rava und Stefano Bollani ebenso wie in den melancholischen Tongedichten einer Griechin wie Elina Karaindrou; von den zum Bersten mit fantastischen Musikern gefüllten deutschsprachigen Ländern, von weiteren osteuropäischen Nationen oder auch jenen von der britischen Insel ganz zu schweigen, die alle eines verbindet: Sie kreieren über ihre jeweils ganz eigene künstlerische Individualität hinaus in der Summe einen umfänglichen, grenzüberschreitenden Klangkorpus, der alle Spielarten und Besonderheiten des musikalischen Europas in seiner ganzen Bandbreite repräsentiert. Dabei fließen jeweils spezifische ethnische Wurzeln und folkloristische Traditionen in der besten Bedeutung des Wortes „Volksmusik“ mit in eine Art Gesamtkunstwerk ein, sodass in der Summe das eine Zauberwort, das alle Musiken und Musiker eint, eigentlich viel zu eng greift: Jazz. Eine umfassende Geschichte des modernen zeitgenössischen Jazz in Europa ist noch gar nicht geschrieben, auch wurde noch keine Topografie erstellt, die annähernd ein (Selbst-)Bewusstsein dafür schafft, dass der europäische Jazz ein großes Stück weit für die kulturelle Identität, die Geistesgeschichte und die Mentalität(en) eines ganzen Kontinents steht. Insofern ist Julian Benedikts musikalisches Filmdokument eine wahre Pioniertat. Auch wenn Benedikt nur die äußerste Spitze eines gigantischen Eisbergs beschreiben, erklären und nahe bringen kann, so signalisiert sich hier doch ein längst überfälliger Aufbruch, dies in Gestalt einer stimmungsvollen und kenntnisreichen, begeisterten und begeisternden musikalischen Reise durch die Sphären des europäischen Jazz. Es ist (neben kürzeren Arbeiten) Benedikts dritter abendfüllender Film über Aspekte des Jazz. „Blue Note – A Story of Modern Jazz“ (fd 33 092) – über das gleichnamige Plattenlabel – und „Jazz seen“ (fd 35 389) – über den Fotografen Willam Claxton – setzten sich dabei pointiert mit amerikanischen Varianten dieser Musik auseinander, und auch zu Beginn von „Play Your Own Thing“ wird diese tiefe Verwurzelung angesprochen: Jazz sei uneingeschränkt Amerikas Geschenk an die Welt, formulierte es Studs Turkel, aber, so fügt der Film hinzu, er sei von Beginn an eben auch eng verwoben mit Europa. Von dieser Prämisse ausgehend, kreiert Benedikt keine didaktisch-dröge musikhistorische oder -theoretische Aufbereitung des Phänomens Jazz in Europa, sondern verschachtelt spielerisch, aber nie verspielt assoziative Stimmungs- und Landschaftsbilder mit Interviews, Musikauftritten und Off-Kommentaren, vor allem auch mit umfangreichem dokumentarischen Material zu einer höchst sinnlich collagierten „Einführung“, die einerseits federleicht daherkommt, andererseits aber stets auch phänomenal informationsreich ihr Füllhorn ausschüttet. Benedikt beginnt im Paris der Nachkriegszeit, von wo aus der europäische Jazz aufbricht, indem er zum geliebten und bewunderten Mythos der Künstler und Intellektuellen wird, die die amerikanischen Jazz-Musiker willkommen heißen, verehren und in ihr eigenes Lebensgefühl integrieren – Paradebeispiel dafür ist und bleibt die Zusammenarbeit von Miles Davis und Louis Malles bei „Fahrstuhl zum Schafott“ (fd 27 804). Von da aus geht es schrittweise vorwärts durch diverse musikalische, auch kulturpolitische Szenerien und Szenen (u.a. den westdeutschen Auf- und Ausbruch aus den Zwängen der Adenauer-Ära sowie den „Jazz-Underground“ in der DDR, aber auch das höchst kreative, „entspannte“ und tolerante Selbstverständnis Dänemarks) bis sich endlich die pure Reinheit aller klanglichen Odysseen in den Ambitionen des Produzenten Manfred Eicher bündelt: In den faszinierenden, intimen und hochkonzentrierten Aufnahmen von Tomasz Stanko und seinem Trio in Eichers Studio (für das ECM-Album „Lontano“) versinnbildlicht sich aufs Schönste jenes Credo, auf das Benedikt zielsicher und beharrlich zusteuert und das er als musikalisch-existenziellen Idealzustand postuliert: den Triumph der Individualität, die sich aber erst und ausschließlich im respektvollen und aufmerksamen Miteinander sowie im schöpferischen Austausch wirklich legitimiert. „Imitiere niemanden, sondern finde zu deinem eigenen Stil: Play your own thing.“
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