World Trade Center

- | USA 2006 | 129 Minuten

Regie: Oliver Stone

Ohne Darstellung der Hintergründe und ohne Einbeziehung der Folgeerscheinungen berichtet Oliver Stone über den Terroranschlag vom 11. September 2001. Er tut das ausschließlich aus dem Blickwinkel zweier Polizisten, die unter den Trümmern des einstürzenden World Trade Centers eingeschlossen werden, und deren daheim wartender Familien. Der ganz und gar unpolitische Film besitzt in seiner unverhohlenen Emotionalität mehr therapeutische als historisch erhellende Qualitäten. Von dem rebellischen und regierungskritischen Regisseur früherer Tage ist hier keine Spur zu entdecken. - Ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
WOLRD TRADE CENTER
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
2006
Produktionsfirma
Paramount Pic./Double Feature Films/Intermedia Films
Regie
Oliver Stone
Buch
Andrea Berloff
Kamera
Seamus McGarvey
Musik
Craig Armstrong
Schnitt
David Brenner · Julie Monroe
Darsteller
Nicolas Cage (John McLoughlin) · Maria Bello (Donna McLoughlin) · Michael Pena (Will Jimeno) · Maggie Gyllenhaal (Alison Jimeno) · Jay Hernandez (Dominick Pezzulo)
Länge
129 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Externe Links
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Heimkino

Die Extras umfassen u.a. einen dt. untertitelbaren Audiokommentar des Regisseurs, einen dt. untertitelbaren Audiokommentar von Will Jimeno, Scott Strauss, John Busching und Paddy McGee sowie ein kommentiertes Feature mit neun im Film nicht verwendeten Szenen (17 Min.).

Verleih DVD
Paramount (16:9, 1.78:1, DD5.1 engl./dt.)
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Diskussion
Die Bilder haben sich in unsere Erinnerung eingebrannt: die aus den beiden Türmen steigenden Rauchwolken, die in Angst und Verwirrung empor starrenden Menschen, die verzweifelt aus den Fenstern springenden Opfer, schließlich der Einsturz des höchsten und symbolträchtigsten Gebäudes der Welt. Amerika hat keinen Weltkrieg im eigenen Land erlebt. Die Bombennächte und Ruinenstädte, mit denen die ältere Generation in Europa aufgewachsen ist, und die verheerenden Katastrophen von Hiroshima und Nagasaki, die Japaner heute noch im Traum verfolgen, sind ihnen erspart geblieben. Der 11. September 2001 kam für die sicherheitsgewohnten Amerikaner als Schock: Die Heimat ist nicht mehr unantastbar. Auf den Schock folgte die Apathie. Während George Bush die Attacke auf das Symbol der freien Welt, auf Amerika als Gelobtes Land, rasch in ein Hauptargument für den Irak-Krieg umwandelte, verharrten die meisten Amerikaner in seelischer Erstarrung. Es dauerte Jahre, bis sie zu ahnen begannen, dass sie mit der aus Washington gepredigten Symbiose aus Al-Qaida und Saddam Hussein betrogen wurden. Die realistische, informierte Einschätzung der Vorgänge, die sich erst langsam breit zu machen beginnt, tut doppelt weh, weil die Wunde von 9/11 noch längst nicht verheilt ist. Deshalb darf es nicht Wunder nehmen, dass amerikanische Kinogänger Oliver Stones „World Trade Center“ leichter und williger akzeptieren als Paul Greengrass’ „Flug 93“ (fd 37628), obwohl das der weitaus angemessenere und bessere Film ist. Stone, der einst die Vietnam-Politik aufs Korn genommen hat („Platoon“, fd 26111; „Geboren am 4. Juli“, fd 28167), der Konspirationen und Korruption in der Regierung hinterfragte („John F. Kennedy – Tatort Dallas“, fd 29360, „Nixon“ fd 31795) und der mit seinem elektrisierenden „Salvador“ (fd 26193) noch in Erinnerung bleiben wird, wenn andere Autoren und Regisseure seiner Generation längst der Historie angehören, hat sich bei „World Trade Center“ auf eine ganz und gar unpolitisch erzählte Geschichte eingelassen, die mehr therapeutische als historisch erhellende Qualitäten besitzt. Wahrscheinlich hat er die unverhohlene Emotionalität, mit der dieser Film alle Oliver-Stone-Anhänger verblüfft, sehr ehrlich gemeint. „World Trade Center“ ist ein Ventil, um mit den aufgestauten Bildern der Katastrophe fertig zu werden. Wer auf den Rebell Oliver Stone wartet, der wartet vergeblich. Der Film eröffnet mit einer wunderschönen, geradezu poetischen Morgendämmerung in New York: verklärte Realität, die dazu ausersehen scheint, zerstört zu werden. Auch die Familien der beiden Hauptfiguren, zweier Polizisten der Port Authority, sind Abbilder der funktionierenden, liebevollen amerikanischen Idealfamilie. Stone war in seiner Karriere nie näher am Hollywood-Klischee als hier. Aber er braucht wohl diese Idealisierung, um den „amerikanischen Traum“ in Rauch aufgehen zu lassen. Die beiden Polizisten werden unter den Trümmern des einstürzenden World Trade Centers begraben. Viele Tage lang liegen sie bewegungsunfähig unter Zement und Eisenstangen, während ihre Frauen und Kinder daheim auf eine Nachricht warten. Dies sind die beiden einzigen Schauplätze der Handlung: das Grab unter den Bergen von Schutt und Ascheregen und die adretten Wohnstuben der wartenden Familien. Sie symbolisieren gleichzeitig die Situation aller Amerikaner in den Tagen nach dem Anschlag – das Atemanhalten und die allmählich verglimmende Hoffnung auf ein gutes Ende. Doch in einem Film, der alltäglichen Heroismus und Überlebensfähigkeit preist, darf dieses gute Ende nicht fehlen. Die Tausende, die ihr Leben lassen mussten, sind in die Rolltitel verbannt; die beiden, die entgegen aller Wahrscheinlichkeit gerettet wurden, sind die Helden des Films. Das ist – um, ohne pietätlos zu sein, die Wahrheit zu sagen – der Stoff, aus dem seit eh und je Hollywood-Filme gemacht sind. Ein amerikanischer Kritiker hat geschrieben, „World Trade Center“ sähe aus, als ob er von Ron Howard inszeniert worden wäre. Er hat Recht damit. Niemals hat Stone einen weniger kontroversen Film gemacht. Das zeigt sich nicht zuletzt daran, dass die Konservativen im Lande, die Stone bisher wie die Pest gehasst haben, Elogen über den Film anstimmen. Der unkritisch rechtslastige Fox News Channel verbreitete zum Beispiel diese gar nicht so unzutreffende Einschätzung: „It is one of the greatest pro-American, pro-family, pro-faith, pro-male, flag-waving God Bless America films you will ever see.“ Stone verteidigt sich damit, dass absolut nichts an der Handlung seines Films erfunden sei und er es für notwendig gehalten habe, dieses Thema aus seiner Liebe für Amerika und seinem Patriotismus zu behandeln. Ideologische Implikationen, deren es ein paar ganz am Rande zu entdecken gibt und die sich überraschenderweise alle regierungsfreundlich interpretieren lassen, verblassen angesichts der unversteckt emotionalen Konzeption, der „World Trade Center“ – zumindest in den USA – seinen Erfolg verdankt. Die Amerikaner, die sich nie nach einem 9/11-Film gedrängt haben, können diesen umarmen, weil er ein Film der „second chance“ ist. War „Flug 93“ die schmerzhafte Rekreation eines Albtraums und der Überzeugung, dass die politische Realität mehr solcher Albträume in ihrem Arsenal haben könnte, so ist „World Trade Center“ die Katharsis, auf die das amerikanische Volk gewartet hat, die aber alle politischen Folgeerscheinungen sorgfältig ausspart.
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