Dokumentarfilm, der sich dem Wesen und der Welt indischer Transsexueller und Hermaphroditen, genannt Hijras, annähert. Drei Porträts stellen unterschiedliche Lebensumstände vor, wobei überzeugend der Eindruck vermittelt wird, dass der geschlechtliche Zwischenraum als ein Freiraum empfunden wird, der sich auch in der eigentümlichen Verbindung von Tradition, Religiosität und Sexualität niederschlägt. Trotz des eindrucksvollen fotografischen Farbenrauschs leidet der Film an Längen, da ihm eine zwingende Dramaturgie fehlt. (O.m.d.U.)
Between the Lines - Indiens drittes Geschlecht zwischen Mystik, Spiritualität und Prostitution
Dokumentarfilm | Deutschland/Indien 2005 | 95 Minuten
Regie: Thomas Wartmann
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Filmdaten
- Produktionsland
- Deutschland/Indien
- Produktionsjahr
- 2005
- Produktionsfirma
- Filmquadrat/SWR
- Regie
- Thomas Wartmann
- Buch
- Thomas Wartmann · Dorothea Rieker
- Kamera
- Thomas Riedelsheimer
- Musik
- Nils Kacirek
- Schnitt
- Thomas Riedelsheimer
- Länge
- 95 Minuten
- Kinostart
- -
- Fsk
- ab 12; f
- Genre
- Dokumentarfilm
- Externe Links
- IMDb | TMDB | JustWatch
Diskussion
Sie erscheinen wie Wesen aus einer anderen Welt: Transsexuelle und Hermaphroditen, die sich in Frauenkleider hüllen und grell geschminkt im Verkehrschaos auf Bombays Straßen um Spenden bitten. In Indien nennt man diese Menschen des dritten Geschlechts traditionell Hijras. Sie leben seit Jahrhunderten meist in kleinen Gruppen oder Wohngemeinschaften, verdienen ihren kargen Lebensunterhalt durch Prostitution und Bettelei und genießen in der hinduistischen Gesellschaft einen ambivalenten Status, irgendwo in der Grauzone zwischen Faszination, Furcht und Ablehnung. Thomas Wartmann porträtiert drei Hijras aus Bombay, wobei die indische Fotografin Anita Khemka, selbst an diesem Thema interessiert, quasi als „Türöffner“ in die für westlich geprägte Menschen (Männer allemal) gänzlich fremde Welt fungiert. Eingangs sieht man, wie Khemka, eine emanzipierte, moderne junge Frau, am Strand Kontakt mit Asha aufnimmt, die gegen einen Obulus verliebten Paaren ihren Segen spendet. Wer nicht zahlt, wird von ihr mit üblen Schimpftiraden verflucht. 17 Jahre Prostitution, Alkohol und das Leben auf der Straße haben deutliche Spuren in Ashas Gesicht hinterlassen, und den Annäherungsversuchen des Filmteams steht sie zunächst überaus skeptisch gegenüber. Ganz anders als Laxmi, die schrille Auftritte liebt, wie ein Wasserfall plappert und ein Doppelleben führt. Tagsüber arbeitet sie/er, anatomisch noch immer ein Mann, unter dem wirklichen Namen Raju als Choreograf beim Film und lebt immer noch bei den Eltern, die sie/ihn nur in männlichen Outfits kennen. Abends verwandelt sich Raju regelmäßig in den Paradiesvogel Laxmi und ist der Star einschlägiger Nachtclubs. Schließlich ist da die eher zurückhaltende Rhamba, die mit anderen Hijras in einer Art Tempelgemeinschaft lebt und davon träumt, ihren (verheirateten) Freund zu heiraten.
Der Dokumentarfilm verfolgt den Alltag der drei Hauptfiguren über einen längeren Zeitraum, begleitet sie durch die Hektik Bombays und versucht in vielen Gesprächen, das Mysterium des Hijra-Daseins zu ergründen. Dabei bewegen sich Khemkas Fragen zwischen erfrischender Direktheit („Wie pinkelst du?“) und einem behutsamen Tasten, wo es um die persönlichen, psychologisch schwer nachvollziehbaren Beweggründe geht, sich für ein solches Leben zu entscheiden. Alle drei Hijras erklären zumindest unisono, sich in dem geschlechtlichen Zwischenraum wohl zu fühlen, ihn als Freiheit zu empfinden und um nichts in der Welt mit einer eindeutig männlichen oder weiblichen Identität tauschen zu wollen. Was nicht zuletzt mit der spirituellen Dimension zu tun hat, die ihnen ihr Status als Dienerinnen der Göttin Bahuchara Mata verleiht. Schließlich ist es diese eigentümliche Verbindung von Tradition, Religiosität mit offenem (als Prostituierte gänzlich pragmatischem) Umgang mit der Sexualität, aus der auch der Film seine Faszination bezieht. Die bewegliche 35mm-Kamera berauscht sich an den Farben des indischen Alltags wie an den bunten Gewändern der Hijras und kommt den drei Hauptfiguren in Gesprächssituationen bisweilen sehr nahe. Dabei ist der Film, der ohne jeden Off-Kommentar auskommt, gänzlich frei von Voyeurismus. Auf Dauer geht dem Film dennoch zunehmend die Luft aus, zumal dem Geschehen letztlich eine zwingende Dramaturgie fehlt. Zunehmend stellt sich trotz der beeindruckenden Bilder die Wirkung einer überlangen Fernsehreportage ein. Was nicht unbedingt damit zu tun haben muss, dass Thomas Wartmann seit mehr als 25 Jahren vornehmlich Fernsehreportagen in allen Kontinenten gedreht hat und „Between the Lines“ seine erste Kinoarbeit ist.
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